Wenn man Quote machen will, muss man ein wenig auf Boulevard. Wenn man viel Quote machen will, muss man viel auf den Boulevard. Spiegel Online macht sehr viel Quote und deswegen…leider nicht einfach nur sehr viel Boulevard, sondern auch sehr viel, sagen wir, saloppen Umgang mit Texten, Überschriften und Interpretationen. Mal wird behauptet, Peer Steinbrück habe die Bundestagswahl für die SPD schon verloren gegeben, ein anderes Mal heißt es, die SPD träume bereits vom Ministerpräsidentensessel in Bayern. Beides Überschriften, die durch den anschließenden Text wenig bis gar nicht gedeckt waren. Um nicht zu sagen: Man jazzt eine inhaltliche Nullnummer zur Bombe hoch, bisher – eigentlich – Wesen des Boulevards.
Man darf nicht nur anhand der immer platter werdenden Themenauswahl von SPON, sondern auch wegen des erwähnten saloppen Umgangs mit Überschriften, Texten und Fakten davon ausgehen, dass dies in Hamburg mit voller Absicht geschieht. Neuestes Beispiel von heute: Zum hundersten Mal hat jemand über eine Prominente ausgepackt, diesmal ein ehemaliges Callgirl, die behauptet, ihrer Profession früher mal mit Heather Mills nachgegangen zu sein, die vier Jahre lang unter dem Nachnamen McCartney bekannt wurde. SPON jedenfalls schildert Mills als eine erpresserische, eiskalte, ehemalige Bordsteinschwalbe mit folgender Überschrift: „Heather Mills an Paul McCartney: Entweder du heiratest mich – oder ich bin weg.“
Klingt spannend. Nur, leider mal wieder: Das Zitat ist vom Text nicht im Geringsten gedeckt. Im Text heißt es lediglich:
„Sie sagte damals: ‚Ich werde ihm ein Ultimatum stellen und wenn er mich dann in den nächsten acht oder zehn Monaten nicht heiraten will, dann verlasse ich ihn.'“
Und das wiederum ist ein Zitat der vermeintlichen ehemaligen Callgirl-Kollegin. Zudem: (angeblich) gefallen im Gespräch zwischen den beiden Damen, nie direkt von Mills an McCartney. Und auch nicht autorisiert von Mills oder McCartney oder sonstwem. Ein kleiner, aber feiner Unterschied, wenn man die Überschrift von SPON liest, die eindeutig anderes impliziert.
Aber das ist vermutlich egal. Wenn man die Überschrift klickt, ist der IVW-Pixel und damit der Klick schon ausgelöst. Und nur darum geht´s, bei den „Qualitätsmedien“, die sich ins Internet begeben.
Nun, Herr Jakubetz, man könnte das Argument auch umdrehen: Jeder Leser bekommt das Medium, das er verdient. Im Gegensatz zu Print ist Online eben gnadenlos, minütlich ist hier nachzuvollziehen, was angeklickt wird. Und tatsächlich outen sich die Spiegel-Leser als Boulevardversessen, anders kann ich die Themen und die Aufmacher nicht interpretieren. War da nochmal was mit intellektuell, politikinteressiert, nachdenklich? Ach so, das war vor internet.