Es gibt Tage, da mag man sich über die Akzeptanzprobleme, die Journalismus hat, nicht mehr wundern. Beispielsweise wenn Spiegel Online so wie heute ein Lehrstück abgibt, wie Journalismus nicht sein sollte: wenig fundiert, voreingenommen, vorurteilsbehaftet, ideologisch, vermessen, handwerklich unsauber. Und ahnungslos. Völlig ahnungslos.
Fangen wir mal mit dem kleinsten Schnitzer, dem handwerklichen Schnitzer an: „SPD träumt vom Ministerpräsidenten-Amt“ titelt SPON heute. Bisher habe ich den Text viermal durchgelesen – ich habe nicht eine einzige Passage gefunden, die eine solche Aussage decken würde. Weder als Zitat eines SPD-Mandatsträgers noch als irgendeine Aussage, aus der man diese Überschrift ableiten könnte. Geht ja auch schlecht: Selbst der daueroptimistische Bayern-SPD-Chef Franz Maget träumt laut eigener Aussage lediglich davon, die absolute Mehrheit der CSU im Landtag zu brechen. Selbst wenn man diese bräche, läge ein Ministerpräsidenten-Amt für die SPD in weiter Ferne. Nicht mal zu Wahlkampfzeiten ist man in Bayerns SPD so vermessen, ernsthaft an einen Ministerpräsidenten Maget zu glauben.
Liest man allerdings SPON weiter, dann hat sich in Bayern gerade ein politischer Erdrutsch ereignet. Oder, wie es die Redaktion formuliert:
Schock für die CSU: Bei den bayerischen Kommunalwahlen kassiert sie in München und Nürnberg deftige Niederlagen, in früheren
Hochburgen müssen ihre Bewerber in die Stichwahl. Die SPD blickt im Freudentaumel schon auf die Landtagswahlen im Herbst.
Klingt knackig, ist nur leider barer Blödsinn. Die aktuellste Umfrage zu den bayerischen Landtagswahlen sieht die CSU bei knapp über 50 Prozent, wovon die SPD allerdings nicht wirklich profitiert. Ihr werden 19 Prozent vorausgesagt. Freudentaumel? Selbst wenn die Fallhöhe bei einer Zweidrittel-Mehrheit hoch ist; bei Diskussionen um einen Machtwechsel ist anscheinend immer noch der Wunsch der Vater des Gedankens.
Zumal man bei SPON ein paar Dinge höflich verschweigt. Beispielsweise die Tatsache, dass München seit vielen Jahrzehnten (von einer Ausnahme in den 70ern abgesehen) von einem SPD-OB regiert wird. München ist also seit jeher eine Hochburg der Bayern-SPD; alles andere als ein klarer Wahrerfolg Christian Udes wäre die eigentliche Sensation gewesen. Man muss sich schon ein bisschen mit der politischen Statik Bayerns auseinandersetzen, um diese Wahlen mit ihrem bundesweit einmaligen, extrem auf Persönlichkeitswahlen ausgelegten Wahlrecht zu verstehen. Dieses Wahlrecht befördert in erster Linien Personen; Aussagen über parteipolitische Verschiebungen aus dieser Wahl herauszufiltern, ist extrem schwierig. Ich kann mich erinnern, wie ich 1990 als wirklich noch sehr junger Redakteur meine ersten Kommunalwahlen überregional betreut habe. Damals kippten die CSU-Rathäuser in Regensburg, Straubing und Passau (!). Das war für mich damals so, als wenn Helmut Kohl zur SED gewechselt wäre. Ich habe damals auch einen sehr klugen Kommentar über das nahende Ende der CSU als Staatspartei geschrieben. Der war spätestens bei der nächsten Landtagswahl obsolet. Die CSU ist in den vergangenen 18 Jahren nicht einmal ernsthaft vom Ende ihrer absoluten Mehrheit gefährdet gewesen. In Großstädten hat die CSU schon immer einen schwereren Stand gehabt, ihre eigentliche Domäne ist das flache Land. München oder Nürnberg sagen also über die politische Stimmung in einem Flächenland nichts, aber auch gar nichts aus.
Und dann darf man bei solchen Geschichten nicht vergessen, dass bei diesen Wahlen lokale Gegebenheiten eine sehr große Rolle spielen (und dass der Bayer als solcher von Haus viel rebellischer ist, als man als Außenstehender meint). Beispiel Passau: Da wurde 1990 nach jahrzehntelanger CSU-Herrschaft ein SPD-OB gewählt, den man nach 12 Jahren 2002 wegen allgemeiner Unzufriedenheit in den Ruhestand schickte. Der neue OB, ein CSU-Mann, baute Passau die unbestritten hässlichste Innenstadt Deutschlands hin – und bekam gestern die Quittung. 37 Prozent im ersten Wahlgang, der SPD-Herausforderer fast zehn Prozent vorne, die Abwahl in 14 Tagen vermutlich nur noch Formsache. Nur: Mit allgemeiner Verdrossenheit über die Staatspartei hat das alles nix zu tun. Lediglich mit einer verschandelten Innenstadt. Bei der nächsten Landtagswahl im Herbst wird dieCSU selbstverständlich in Passau eine satte Mehrheit einfahren. So ist dieses Wahlrecht, so ist der Bayer und so isses auch gut. Punkt.
Das alles hätte man in einer halbwegs fundierten Berichterstattung über die Kommunalwahlen berücksichtigen müssen. Stattdessen lesen wir beim Spiegel:
(…)Die ersten Genossen liegen nebenstehenden Genossinnen im Arm. (…) Jubelnde Sozialdemokraten. In Bayern. Und es geht immer weiter. (…)
Ich mein´, ich freu mich ja, wenn Sozialdemokraten so leicht zum Jubeln zu bringen sind. Und ich liebe gute Underdog-Geschichten. Nur das hier ist leider keine. Reden wir im Herbst, nach den 20 Prozent für die SPD nochmal, ok, Kollegen vom Spiegel?
Grmpfl, das ärgert mich immer, wenn geschätzte Kollegen, wie Sebastian Fischer (Münchner SpOn-Korrespondent), unter die Räder kommen. Aber in dem Fall ist es natürlich gerechtfertigt. Bemängeln könnte man freilich noch, dass die SPD-Niederlage in Augsburg als „enttäuschend“ beschrieben wird, dabei handelte es sich um eine Sensation (der CSU-Kandidat zwingt den SPD-Amtsinhaber in die Stichwahl und hatte drei Prozentpunkte mehr) – aber dann, ja dann wäre halt die schöne Geschichte wieder futsch gewesen.
Umgekehrt ist es ja auch nicht besser: Bei allen Stichwahlen haben die Kollegen vom BR gestern abend die Stimmenteile verlesen. Nur aus Passau hieß es verschämt, dass der dortige CSU-OB ebenfalls in die Stichwahl müsse. Dass der gute Mann um zehn Prozentpunkte hinter dem SPD-Herausforderer lag, davon sagte man dann lieber nix. In mancher Hinsicht sind sich SPON und BR möglicherweise ähnlicher, als sie denken.
Es ist auch etwas kurios, lang und breit über Niederbayern zu schreiben, ohne das Ergebnis in Landshut (Hauptstadt des Regierungsbezirks, für Ortsfremde) überhaupt zu erwähnen. In Landshut haben es die Grünen und ein paar kleinere Splittergruppen (u.a. die örtliche SPD) der CSU diesmal so richtig besorgt, Long Tail für Feinschmecker.
http://www.landshut.de/wahl/
Es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, wenn vorne auf dem aktuellen Titel der Horror-Beck als Lenins Wiedergänger inszeniert wird, nur weil er endlich auch dem Westen erlaubt, in Pattsituationen den Wowereit zu machen. Während hinten bei den SpOn-Kollegen trotz dieses printpublizistischen Meinungsgeschnatters die konsomolzische SPD als Triumphatorin ebenso fette wie redaktionell zusammengefummelte Wahlsiege ausgerechnet in Bayern einfahren darf. Im Grunde, wenn man ihn denn noch ernst nehmen könnte, führt der Spiegel seine Meinungsmacht doch ad absurdum: Der Wähler macht was er will, bedeutet diese Beliebigkeit in meinen Augen, egal was die Prinzengarde der Alphajournalisten vorn in der gedruckten Bütt dazu greint …
@Fabian: SPD 14 Prozent, träumt jetzt der SPD-Mann auch vom OB-Sessel in LA, lagen sich die Genossen in den Armen? (Für Ortsfremde:Der OB in LA wird außer der Reihe gewählt). Und was das von dir benannte Kuriosum angeht: Landshut war ein bissl eine Ausnahmesituation, die o.g. Listenverbindungen sind jedenfalls vermutlich kein auf den ganzen Freistaat übertragbares Modell von Dauer. However: CSU-Vorherrschaften knacken geht nach wie vor nur entweder über eigenartige Allianzen oder in politischen Ausnahmesituationen (möglicher grüner Landrat im Flughafen-Landkreis beispielsweise. Oder falls doch mal wieder wider Erwarten jemand eine WAA bauen will).
Dazu muss man wissen, dass Titel und Vorspänne bei SPON von einem Produzenten geschrieben werden, der den Artikel oft kaum richtig gelesen hat – die Titel müssen aber möglichst sensationell klingen, damit die Leute drauf klicken – ein bisschen wie bei BILD. Da kann am Ende der Autor eines guten Textes wenig dafür, dass er mit einer völlig absurden Headline angepriesen wird.
Christian, ich meinte Spon, nicht dich 🙂 Was sie da über Niederbayern schreiben, ist m.E. keine sehr gelungene Zusammenfassung.
@Fabian: In Niederbayern verliert man den Sinn für Ironie. Dass sich die SPD bei uns über 14 Prozent freuen würde, wäre nicht so abwegig, als dass man sowas sofort für Kabarett halten müsste 🙂
@Sven Erickson: Interessanter Kommentar. Falls es bei SpOn da ein ungewöhnliches Outsourcing-Modell gibt, hätten mich dann aber schon noch mehr Details interessiert.