Manchmal lohnt sich das Lesen von Kommentaren. Das Lesen von Kommentaren loht sich meistens immer. Der hier jedenfalls brachte mich zu einer Studie, in der auf rund 60 Seiten eine ziemlich gelungene Bestandsaufnahme der Entwicklungen von Online-Medien und des dort zu lesenden Journalismus abgeliefert wird.
Erste Erkenntnis daraus: Als alter Privatfunker amüsiert man sich, dass jetzt auch diejenigen, die sich früher gerne darüber lustig gemacht haben, eine fette Quotendebatte an der Backe haben. Seit es Klickstatistiken und irgendwelche Live-Traffic-Tools gibt, können nämlich auch Spiegel und Süddeutsche et al sehen, was die User wirklich gerne klicken. Das ist nicht immer das, worüber man in Redaktionskoferenzen und in abendlichen Veranstaltungen von Presseclubs gerne spricht. Auch der Leser des „Spiegel“ klickt gerne eine Geschichte über Frakturen im Geschlechtsorgan von Dieter Bohlen. Was zur Folge hat, dass der Spiegel in seiner Onlineausgabe ziemlich oft Geschichten über Frakturen im Intimbereich von Protagonisten aus dem Privatfernsehen bringt. Und dass es bei der Süddeutschen online Klickmaschinen über die 100 besten Biere der Welt gibt. Und dass sich bei N24.de regelmäßig halbnackte Frauen räkeln, weil halbnackte Frauen nunmal mehr Klicks machen als gut angezogene Vorstandsmitglieder von M-Dax-Unternehmen bei der Bilanzpressekonferenz. Das muss man nicht schönen, aber es ist nun mal so. Die Frage, ob man sich dem Quotendruck beugen möchte, müssen die gedruckten Qualitätsmedien für ihre Onlineausgaben gar nicht mehr beantworten. Sie haben es schon längst getan, was insofern segensreich sein könnte, weil man dann auf den Medienseiten der Druckausgaben nicht mehr gar so oft die wohlfeile Forderung lesen muss, dass auch im kommerziellen TV die Qualität vor die Quote…der Spruch hat mich früher regelmäßig ins Koma geschickt, weil er zumeist von Leuten geschrieben wurde, die keine Ahnung hatten, was Quotendruck überhaupt heißen könnte.
Zweite Erkenntnis, wenn auch nicht wirklich neu: Die immens hohen Klickzahlen, die inzwischen selbst kleinere Newssites für sich in Anspruch nehmen, haben nichts mit einem wirklich vorhandenen Interesse an Nachrichten zu tun. Tatsächlich, und ich nehme mich da nicht aus, scheinen Nachrichtenseiten im Netz zwar gerne aufgerufen und im Kontext Schlagzeile/Foto/Teaser gelesen zu werden, für einen Klick in die Tiefe und für mehr Interesse reichen aber anscheinend weder Zeit noch Lust noch Nutzungssituation. Das ist nicht weiter tragisch und muss auch nicht zu Jammergesängen Anlass geben. Jedenfalls stammen 4/5 der bei IVW gezählten Klicks nach dieser Studie aus allem möglichen, nur nicht aus den eigentlich journalistischen Inhalten auf der Seite. Das alles deckt sich dann wiederum mit dem bei IVW ausgewiesenen Verhältnis von Visits und PI´s bspw. bei N24.de, was angeblich so bei rund 1:5 liegt. Was den Schluss zulässt, dass die eigentlichen Nachrichten eben nur auf der Homepage via Überschrift und Teaser gelesen und die Klicks in die Tiefe anderswo erreicht werden.
Dritte Erkenntnis: Wer wirklich was anderes haben will als Bohlens Genitalien und die gewagtesten Fotos von Madonna, muss sich nach anderen Nachrichtenquellen umsehen, zumindest im Netz. Er muss nicht nur, er wird auch. Ob das dann wirklich Ziel einer crossmedialen Markenstrategie sein soll, das steht wieder auf einem anderen Blatt.
Das ist so ziemlich die spannendste Rezension, die wir erhalten haben. Gleichgültig dessen, dass sie uns zustimmt – was einige andere nicht unbedingt tun – herzlichen Dank für den tollen Kommentar. Viele Grüße Roland Schweins