Bei der „Abendzeitung“ in München haben sie in den vergangenen zwei Jahren ziemlich viel ziemlich richtig gemacht. Das Blatt ist grundlegend renoviert worden, bekam eine neue Optik, fokussierte sich inhaltlich eindeutig auf die Kernkompetenz München, Bayern und Sport, ohne aber den speziellen Charme der AZ zu verleugnen. Die AZ, die war immer auch ein bisschen Schwabinger Lebensgefühl, ein bisschen linksliberal, so eine Art Schickimickilinksliberal, wenn es so etwas geben sollte. Für eine Boulevardzeitung hatte sie zudem immer ein wirklich gutes Feuilleton — und wenn man jemals auf den Gedanken kam, wie wohl eine akzeptable und zudem lesenswerte Boulevardzeitung auszusehen hätte, man wäre nahezu zwangsläufig auf das Blatt gekommen, dass witzige Fernsehkritiken der legendären „Ponkie“ ebenso im Portfolio hatte wie die damals uneerreichten Klatschgeschichten von Michael Graeter (für alle, die es nicht wissen: das Vorbild für die Figur „Baby Schimmerlos“ in „Kir Royal“).
Sogar im Netz platzierte sich die AZ richtig intelligent. Die Webseite löste einen furchterregenden Auftritt ab, mit dem sich die AZ in den Jahren zuvor sensationell lächerlich machte. Die Tweets aus der Redaktion sind unterhaltsame Lektüre — und alles in allem hatte man dort (wenn man das mal so anmaßend sagen darf) alles das gemacht, was man von Beraterpack wie mir so alles zu hören bekommt (bevor ich falsch verstanden habe: Die AZ hat das alles ganz alleine und ohne irgend einen Einfluss von mir gemacht).
Die AZ hatte zuvor allerdings auch ungefähr alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Die Chefredaktion vor dem heutigen Chef Arno Makowsky brachte jeden Tag eine Zeitungs-Attrappe auf den Markt, auf der zwar noch das Logo des Blattes prangte, mit modernem Journalismus aber in etwa so viel zu tun hatte wie 1860 München mit der Champions League. Irgendwie war das damals faszinierend zu beobachten, wie sich ein Blatt mit so viel beharrlicher Konsequenz selber ruinierte. In den Leitartikeln ließ man sich schon mal ganz altväterlich über Afghanistan aus und wenn man Studenten oder Volontären zeigen wollte, wie Zeitungen in den 80er-Jahren aussahen, ein Griff zur AZ war da immer eine gute Entscheidung.
Heute kamen dann wieder eher unschöne Nachrichten aus der Redaktion des ohnehin gebeutelten Blatts: 22 Stellen werden in der Redaktion abgebaut, bei einer Gesamtzahl von rund 80 Stellen also nahezu ein Viertel. Ein Aderlass, wie man ihn bei einer deutschen Tageszeitung bisher noch nicht gesehen hat, der gleichwohl (trotz aller irgendwie rührenden und eher hilflosen Appelle des BJV, die Entscheidung nochmal zu überdenken) aber exemplarisch sein dürfte für das, was uns in der Branche in den kommenden Jahren noch erwartet.
Es war also nicht so wirklich überraschend, was da passierte, trotzdem hat es mich weitgehend ratlos zurückgelassen: Wenn ein Blatt so stark und konsequent sich auf die neuen Zeiten einlässt und trotzdem scheitert — welche Chancen haben Tageszeitungen dann überhaupt noch? Noch weniger, als sogar notorische Berufsskeptiker wie ich ich bisher dachten?
Die AZ-Chefredaktion, die wie gesagt am allerwenigsten dafür kann, hat verlauten lassen, auch mit weniger Redakteuren ein qualitativ hochwertiges Blatt zu machen. Sie klang dabei so glücklich wie Politiker, die nach einer krachenden Wahlniederlage ankündigen, eine starke und kritische Opposition zu sein.
Jakubetz hat leider in weiten Teilen völlig Recht. Im Übrigen wurde ungefähr die Hälfte der Redaktion eliminiert, nicht eingeflossen sind in die ominöse Zahl 22 nämlich die in Ruhestand geschickten Redakteure, nicht verlängerte Zeitverträge sowie jene, die freiwillig das Handtuch warfen. Alles in allem trifft es weit über 40 Redaktionsmitglieder.
Danke!
Pingback: uberVU - social comments
Hätte nicht gedacht, dass es die AZ als eine der ersten erwischt. War in meiner Studentenzeit in München d a s Boulevard-Blatt schlecht hin. Tägliche Lektüre Pflicht. Ziemlich traurig, wenn man die Zeitungen tatsächlich dahin siechen sieht…Doch das Ende der Zeitungen ist nicht! das Ende des Journalismus.
Darf ich Richard Gutjahr zitieren ;-): „We are caught between two worlds: the old world is disappearing, but the new one is yet to fully appear. Disruptive times like these do not call for managers. They call for entrepreneurs. Media companies have forgotten what it feels like to make bold decisions, what it means to put money into something that no one has ever tried before, and to put even more money into it, when you don’t succeed the first time…“ http://gutjahr.biz/blog/2010/03/keynote/
In diesem Sinne: kein Trost für die Redakteure eines ratlosen Mediums, doch ein Signal für einen längst fälligen Aufbruch..ab in die Zukunft 😉