Es hat sich ausgekompromisst

Jetzt also richtet es die taz, ausgerechnet. Es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet jedes Blatt, dass sich über Jahre hinweg mit mehr oder minder lustigen Marketingaktionen vor dem ökonomischen Untergang gerettet hat, jetzt nach den neuesten IVW-Zahlen als ziemlich einzige Tageszeitung in Deutschland über einen echten, stabilen und auch noch ganz beachtlichen Auflagenzuwachs freuen kann. Wissen die in Berlin also, wie man die bedrohte Gattung Tageszeitung retten kann? Oder stellen die sogar scheinbare Branchengesetze auf den Kopf?

Wahrscheinlich beides nicht. Vielleicht aber zeigt das Beispiel der taz sehr schön, wie man (bei allen Macken, die das Blatt so hat) heute Tageszeitung machen muss, um wahrgenommen zu werden und letztendlich überleben zu können. Immerhin macht die taz ja etwas, was für viele andere auch eine gute Idee wäre. Sie positioniert sich ganz eindeutig, sie ist subjektiv, sie steht für eine klare Grundhaltung. Sie verabschiedet sich von der Idee, eine Tageszeitung müsse noch Nachrichten im Sinne von Neuigkeiten transportieren. Statt dessen nutzt sie den frisch gewonnenen Platz und die neuen Freiheiten dazu, Geschichten zu erzählen, Meinung zu machen oder (manchmal) einfach nur witzig zu sein. Die Idee, eine erste Seite einer Tageszeitung müsse solche Dinge wie einen klassischen Aufmacher und ein paar (Nachrichten-)Rubriken haben, ist angesichts der meisten taz-Titelseiten und angesichts dessen, welche Rolle Tageszeitungen heute in der Mediennutzung noch spielen können, ein witziger Anachronismus.

Erstaulicherweise sind aber immer noch viele Tageszeitungen ein Anachronismus, sie wirken wie eine Zeitreise in die späten 80er. Noch immer versuchen sie, einen Wettlauf zu gewinnen, der nicht mehr zu gewinnen ist. Sie halten sich im Geschäft um und mit der Nachricht von unentbehrlich, sie glauben häufig immer noch, es gäbe auf absehbare Zeit noch Menschen, die ihre Informationen ernsthaft aus der Tageszeitung holen. Mein eigenes Haus- und Hofblatt vor Ort ist immer noch das schönste Beispiel dafür: Nach wie vor macht die „Passauer Neue Presse“ Zeitung, so als wenn die letzten 15 Jahre nichts passiert wäre. Das Blatt, das jeden Morgen auf den Markt kommt, könnte in dieser Form auch 1984 erschienen sein, und manchmal möchte man das milde Lächeln über den Steinzeitjournalismus dort fast einstellen und mit ein wenig Mitleid ersetzen angesichts der zu erwartenden Tragik, die sich dort wie anderswo irgendwann demnächst einstellen wird. Und diese Tragik wird kommen, auch wenn anscheinend immer noch viele auf dem Markt glauben, wenn sich denn erst einmal der Werbemarkt wieder erholen werde, könne man so weitermachen wie bisher.

Das ist ein ziemlich verwegener Gedanke, weil er unterstellt, die momentanen Probleme der Zeitungen hätten im Wesentlichen mit dem Werbemarkt zu tun. Das haben sie, teilweise zumindest. Aber eben nur teilweise.  Doch selbst wenn der Werbemarkt wieder anzieht, in einem Produkt zu werben, das zunehmend an Reichweite und an Relevanz verliert, ist auch in Zeiten eines anziehenden Marktes wenig lukrativ. Und diesen Reichweiten-und Relevanzverlust werden die Zeitungen nicht verhindern können, wenn sie sich nicht ziemlich schnell etwas wirklich Neues einfallen lassen. Dazu wird es gehören (müssen), endlich die Idee aufzugeben, eine Tageszeitung sei eine Art Gemischtwarenladen, der für alle ein bisschen und für niemanden so richtig etwas hat. Als ich vor 25 Jahren volontierte, galt das Bonmot, man müsse so schreiben und Zeitung machen, dass uns die Putzfrau versteht und der Professor immer noch ansprechend findet. Das ist heute die uninteressanteste Idee überhaupt (gleichwohl sie immer noch durch viele Redaktionsköpfe geistert). Früher mal hätte es vielleicht noch eine Chance gegeben, dass Putzfrau und Professor die gleiche Zeitung gelesen hätten, um sich schlau zu machen, was in der großen weiten Welt so passiert. Zumindest diese Motivation existiert heute nicht mehr. Also müsste man  einer spezielleren Zielgruppe geben was sie möchte, dem Akademiker seine Analysen und Kommentare, der Putzfrau auf dem Land einen hyperlokalen Hyperlokalteil und dem AKW-Gegner die taz-Plakette „Atomkraft? Nicht schon wieder!“. Ein Mix daraus funktioniert heute schlechter denn je — und wenn man dafür einen Beleg bräuchte, die IVW-Zahlen für das dritte Quartal 2009 eignen sich dafür ganz prima.

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. cdv!

    Fein geschrieben, Dank dafür. Und gleichzeitig allen Verlegern von Regionalzeitungen ins Stammbuch geschrieben, um auch wieder mal das Phrasenschwein zu füllen.

  2. Chat Atkins

    Absolute Zustimmung – die taz ist die einzige Zeitung, die täglich in holzgewordener Form auf den Tisch kommt, weil’s einfach Spaß macht, sie zu lesen.

    Bei der tageszeitung kommt eins noch hinzu: Sie hat schon immer aus fehlenden Anzeigen eine Tugend gemacht. Für Journalisten anderswo wäre der Gedanke, nahezu ohne Werbung täglich eine gute Zeitung zu füllen, vermutlich tarifpolitisch eine Zumutung, bei der sie sich an die Stirn tippen würden. Das legt sich aber auch, wenn’s so wie bisher weitergeht – denn zumindest in dieser Hinsicht sind die Verleger der taz ja dicht auf der Spur.

  3. Nic

    Du bringst es auf den Punkt.

    Und was noch erstaunlicher ist und das Gejammere anderer Zeitungen absolut widerlegt: bei der TAZ stehen häufig Artikel online, die erst am nächsten Tag in der gedruckten Ausgabe stehen. Von wegen: online vermindert die Abo-Zahlen…

  4. Ulrike Langer

    Ich gebe Ihnen vollkommen recht. Solange aber Untersuchungen immer noch zu solchen Ergebnissen kommen (http://www.wuv.de/nachrichten/medien/tns_emnid_noch_beziehen_die_deutschen_news_aus_tv_und_zeitung) werden die meisten Verlage wohl ignorieren, dass ein immer größerer Teil der Leser in zwei Minuten mit ihren Druckerzeugnissen fertig ist = die Zeit, die man braucht, um das zu lesen, was nicht a)man sowieso schon weiß oder b) für das persönliche Interesse irrelevant ist.

  5. Helmuth P. Schäfer

    Hallo, guten Tag, ich habe eben Ihre Seiten über die „Freischreiber“ entdeckt. Der Verfasser spricht mir (ENDLICH!!) einmal aus der Seele. Nirgendwo anders (auch NICHT) in Journalisten-Fachzeitschriften) wird das so deutlich gesagt, ist es erlaubt zu sagen/schreiben. Ich habe vor 20 (zwanzig) Jahren als freier Journalist angefangen zu schreiben (den Namen der Zeitung will ich hier freundlichst verschweigen), das Blatt hat zwar inzwischen ÄUSSERLICH ein paar Änderungen (teuer) hinter sich, aber INHALTLICH hat sich (fast) NICHTS geändert. Seit rund 20 Jahren serzt man den Lesern immer wieder die gleiche Mahlzeit vor, obwohl sich die Welt stark verändert hat. Und man wundert sich in der Redaktion, dass immer mehr abbestellen, dass die Auflage fällt… Wer will schon 20 Jahre lang immer wieder das gleiche (fr)essen.. DANKE und freundliche Grüsse:: Helmuth P. Schäfer

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