Nicht mal mehr die Hälfte der Deutschen vertraut Medien, sagt eine neue Studie. Jetzt sollen es Fact-Checking und Transparenz auf Teufel komm raus irgendwie richten. Dumm nur, dass das eigentliche Problem ein ganz anderes ist…
Read MoreIch gehörte mal zur Kategorie der Netz-Euphoriker. Fand alles toll, was im Netz passierte. Ich fand es großartig, dass dort jeder eine Stimme bekam. Und ich habe jeden, der das Netz eher skeptisch sah, für einen Verweigerer gehalten. Für einen Fortschrittsnichtversteher, einen Zeitungspapierliebhaber oder einen Verlagsknecht.
Es hat dann ein paar Jahre gedauert, bis meine Haltung zum Netz differenzierter geworden ist. Heute halte ich es für einen ziemlich großen Müllhaufen, den man unglaublich gerne besucht (ja, das ist ein Widerspruch). Auf diesem Müllhaufen findet man Tag für Tag echte Perlen, weswegen es sich lohnt, auch den ganzen anderen Rest irgendwie in Kauf zu nehmen. Natürlich könnte man sich auch kämpferisch geben und sich vornehmen, den ganzen Müll im Netz weitgehend zu beseitigen und nur noch das Gute existieren zu lassen. Aber so naiv bin ich nicht mehr, nicht nach bald 20 Jahren im Netz.
Deswegen sehe ich auch die momentan überall grassierende Idee des Fact-Checking eher skeptisch. Natürlich ist das ausgesprochen lobenswert, wenn man versucht, die Menschen von Lügen fernzuhalten und sie stattdessen mit der Wahrheit, nichts als der Wahrheit und Fakten, Fakten, Fakten zu konfrontieren. Das ist aber ein bisschen kurz gedacht und mindestens so naiv wie mein damaliger Glaube, dass es eigentlich nur positiv sein könne, wenn jeder eine Stimme bekommt. Tatsächlich müsste jemand, mit dem man ernsthaft reden wollen würde, wenigstens ein ganz kleines bisschen Bereitschaft zum Reden mitbringen.
Der Algorithmus ersetzt Rede und Gegenrede
Genau das aber passiert in den Tagen der Echokammern immer weniger. Wie soll man auch auf die Idee kommen, dass man eventuell nicht im Recht ist, wenn man immer wieder gesagt bekommt, man sei selbstverständlich im Recht? Rede und Gegenrede, dieses urdemokratische Prinzip – es ist eines, das durch Algorithmen aufgehoben wird. Im Reich der sozialen Netzwerke dominiert die Rede; mit der Gegenrede hat man es dort nicht so sehr.
Nur so können die Trumps dieser Welt ihre irrsinnigen Propaganda-Konstrukte aufrecht erhalten. Mit seinen 140-Zeichen-Donnerwettern erreicht Trump ungefiltert Millionen von Menschen, die sich allzu gerne nach dem Motto verhalten: Wenn´s der Präsident sagt, muss ja irgendwas dran sein. Parteien wie die AfD und selbst eher öde Twitterer wie deren Frau von Storch kommen mit Postings mit etwas Glück auf Reichweiten, die denen der Tagesschau nicht unähnlich sind.
Man kann sich also vorstellen, warum diese Sache mit dem Vertrauen so komplex geworden ist. Davon abgesehen: Sie hat nicht nur mit Journalisten zu tun, sondern mit allen zentralen Einrichtungen, die es in so einer Demokratie nun mal gibt. Wenn man so will, dann stehen wir Journalisten sogar noch halbwegs gut da. Die Regierung als solche schafft nicht mal mehr 40 Prozent und über politische Parteien reden wir besser erst gar nicht (18 Prozent).
Es ist ziemlich en vogue geworden, allem und jedem zu misstrauen. Da kann sich der Allwetterjackendeutsche mal so richtig austoben: Parteien, Politiker, Journalisten, weiß man doch, dass die alle lügen. Wer sich jetzt mit einem „Stimmt ja gar nicht und wir zeigen euch auch, warum nicht“ dagegenstemmt, glaubt vermutlich auch, dass Trump demnächst abgesetzt und durch Hillary Clinton ersetzt wird. Fakten checken? Das klingt in diesem Kontext ein bisschen nach Evangelischem Kirchentag und Diskussionsrunden in Sozialarbeiter-Jahrestreffen.
Zumal all die hübschen Initiativen zum Faktenchecken jetzt von uns ausgehen, die wir so halbwegs konventionell Medien machen. Das ist vermutlich der Geburtsfehler: In der Logik der Misstrauischen sind wir Lügner, die jetzt Tools entwickeln, die lediglich die Lüge schmal verstärken. Wir checken sozusagen unsere eigenen Fakten. Wäre es nicht so, die Koppverlage, Ulfkottes und andere Alternativfaktenbeschwörer hätten es gar nicht so weit gebracht.
Zeit für einen neuen Realismus
Natürlich hat das alles etwas mit dem Netz zu tun. Mit einem Netz, in dem man, wenn man denn nur will, für jede noch krude Theorie handfeste Beweise findet. Wenn man übrigens die ganze Ambivalenz dieses Themas zeigen will, dann geht das hier ganz besonders gut: Es gibt nichts, was es im Netz nicht gibt. Das kann eine großartige Sache sein und dabei gleichzeitig ganze Gesellschaften zerstören. Der Graben zwischen der Gesellschaft, von der wir bis vor kurzem noch gedacht haben, sie sei ganz ok, und einer Verschwörungs-Parallelwelt wird durch das Netz vielleicht nicht gleich noch tiefer, aber besser wird dadurch leider auch nichts.
Wie schwierig es ist, diesen Trend aufzuhalten, zeigt sich in den Reaktionen der am meisten Betroffenen: Regierungen, Parteien und Journalisten sind sich ja selten einig, wohl aber in der grundsätzlich natürlich überaus begrüßenswerten Auffassung, man müsse irgendwie das Vertrauen der Leute zurückgewinnen. Wie das konkret gehen soll, sagt lieber keiner, weil man es so genau ja nun auch wieder nicht weiß…
Der Herr Sascha Lobo hat vor drei Jahren in einem Beitrag für die FAZ gefordert, es müsse wieder ein neuer Internet-Optimismus her. Weil: Das könne es ja noch nicht gewesen sein, ein Netz, in dem gelauscht, kontrolliert und gnadenlos ausgewertet werde. Den Optimismus hätte ich gerne, sehe aber im postfaktischen Trump-Zeitalter eher weniger Anlass dafür.
Stattdessen eher für Realismus: Die Stellen, an denen das Netz von seiner Struktur her eine Dreckschleuder ist, werden wir kaum bereinigen können. Weil das Problem nicht ist, dass gelogen wird (das wird es, seit es die Menschheit gibt). Das Problem ist die Haltung dahinter: Es gibt keine Lügen mehr, nur alternative Fakten. Es gibt keine Gemeinschaft mehr, sondern nur Peergroups.
Und am Ende gibt es auch keine Wahrheit mehr. Nur das, was man gerne dafür halten würde.
Angenehm differenziert, was schon mal einen Dank wert ist. Bei diesem Post klingt Melancholie heraus. Daher zwei Gedanken zum Trost: 1. Nur nicht den tendenziösen Heise-Artikel für bare Münze nehmen – Journalismus bewegt sich immer schon in diesen Vertrauensregionen, wie der Kommunikationswissenschaftler Carsten Reinemann gut veranschaulicht hat: https://www.piqd.de/medien-gesellschaft/es-gibt-keinen-dramatischen-vertrauensverlust-in-die-medien. 2. Überhaupt hilft die Langzeitbetrachtung. Denn bei grundlegendem Wandel führt der Weg von der Anfangseuphorie zum Zukunftsoptimismus immer über den Realismus. Entscheidende Voraussetzung dafür ist aber, dass wir aufhören, das Digitale für ein magisches Schwert zu halten, mit dem wir alle Problem-Knoten dieser Welt durchschlagen können. Wenn das so weiterginge, hauen wir tatsächlich höchstens alles kaputt.