Was sollen Journalisten im digitalen Zeitalter eigentlich können müssen? Möglichst viel, so viel scheint klar. Drei Dinge allerdings sind essentiell – ohne sie gibt es keine journalistische Zukunft…
Selbst für die rasanten Entwicklungsschritte im digitalen Journalismus ist das eine verdammt schnelle Entwicklung: Es ist noch nicht so lange her, dass bestenfalls Insidern ein Begriff wie „Snowfall“ etwas gesagt hat – inzwischen sind Reportagen dieses Genres mal eben zur Königsdisziplin ernannt worden. Und das, obwohl es noch nicht einmal einen Namen für dieses Genre gibt, auf den sich alle einigen können. Multimedia-Reportagen, Web-Reportagen, Scroll-Reportagen: alles schon gehört, es meint immer das Gleiche. Lange Stücke, die im Gegensatz zu früher gerne genommenen Darstellungsformen immer auf einer Seite bleiben. Und statt auf einer Verlinkung auf andere Seiten das Prinzip von Kapiteln und Unterseiten verwenden (drüben beim Universalcode ist das Prinzip ausführlich beschrieben, ebenso wie die Vor- und Nachteile einer solchen Form des digitalen Journalismus).
Gleichzeitig habe ich diese Woche mal wieder Post bekommen. Das passiert mit öfter – und meistens ist es Post von jungen und häufig auch ambitionierten Journalisten, die von mir gerne den einen oder anderen Ratschlag ihre berufliche Zukunft betreffend hätten. Die Fragen ähneln sich häufig: Was muss man künftig können? Lohnt es sich, audiovisuell zu arbeiten? Und wo genau liegt jetzt eigentlich die journalistische Zukunft: Irgendwo in einem konventionellen Medienunternehmen oder vielleicht doch wieder ganz woanders?
Das eine hat mit dem anderen auf den ersten Blick nicht sehr viel zu tun. Und auf den zweiten Blick dann eben doch. Viel, sehr viel sogar. Weil solche Entwicklungen, gepaart noch dazu mit den Möglichkeiten, die mobile Werkzeuge wie Smartphones inzwischen bieten, auch an Journalisten plötzlich ganz andere Anforderungen stellen. Selbst an solche, die eigentlich mit Multimedia nicht viel am Hut haben, weil sie bei irgendwelchen Verlagen arbeiten und meinen, sie hätten mit dem ganzen Kram bestenfalls am Rande zu tun. Dabei ist das womöglich sogar der größte Trugschluss. Und deswegen wird es mal wieder Zeit für ein paar generelle Feststellungen. Darüber, was Journalisten, egal wie alt und gleichgültig, wo sie arbeiten, dringend können müssen, wenn sie zukunftsfähig sein wollen:
- Video! Zugegeben, ich habe selber lange Zeit gedacht, dass dieses Thema in die Kategorie nice to have gehört, wenn man nicht gerade bei einem TV-Sender arbeitet. Ich dachte, es reiche aus, wenn man eine Kamera irgendwie halbwegs unfallfrei gerade halten und damit ein paar passable Aufnahmen machen kann. Inzwischen ist klar: Das gehört zu den etwas größeren Irrtümern, die man begehen kann. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Studien, Thesen und anderen Indikatoren, die eindeutig darauf hinweisen, dass Videos schon jetzt der möglicherweise wichtigste Inhalt im Netz sind. Videos im Netz sind deshalb auch für Journalisten ein unbedingtes Muss. Die Trends zu langen Multimedia-Reportagen und Mobile Journalism verstärken das zudem. Eine Multimedia-Reportage ohne Videos – das geht schlichtweg nicht. Im digitalen Zeitalter muss man sich aber auch verabschieden von der Bewegtbild-Produktion guter alter TV-Tage. Das Drei-Mann-Team hat im Fernsehen natürlich weiterhin seine Berechtigung. Im Netz ist es nie angekommen und wird das auch nie tun. Selbst ist der Video-Mann, so einfach ist das. Wer das nicht einigermaßen beherrscht, schließt sich von den essentiellen Darstellungsformen des Onlinejournalismus aus, nicht nur von der Form des klassischen gebauten Beitrags (der im Netz ohnedies in seiner bisherigen Form nur noch eine untergeordnete Rolle spielt). Kein Video, kein Onlinejournalismus, diese Regel gilt ohne wenn und aber.
- Mobile! Es erstaunt mich ja selbst, wie schnell sich das Thema Mobile Journalism zu einer Art Quasi-Standard entwickelt hat. Auch da dachte ich zunächst: nett. Lustig und spannend, wenn man das inzwischen machen kann. Mit der Betonung auf: kann. Nicht muss. Mittlerweile sind viele atemberaubend gute Projekte in der Welt, die ausschließlich von mobilen Endgeräten aus produziert worden sind. Und manchmal wachsen die Dinge jetzt auch zusammen, es gibt mittlerweile sogar eine iPad-App, mit der man kompette Multimedia-Reportagen auf dem Tablet produzieren kann – bis hin zum fertigen Layout. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass wir in Zukunft Journalisten mit mobilen Produktionsgeräten öfter antreffen werden als diejenigen, die mit schwerem Geschütz unterwegs sind. Wem das zu weit geht: Zumindest ist es schon jetzt für einen Journalisten mindestens fahrlässig, sein Smartphone mitsamt ein paar kleiner Apps nicht bei sich zu haben (eine Liste mit solchen Apps ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit: bitte sehr). Das Thema Mobile hat übrigens noch mehr Aspekte als beispielsweise das Thema Video. Weil es nicht nur die Art zu produzieren verändert, sondern auch die Art, wie Inhalte konsumiert werden. Wem das jetzt zu abstrakt ist, dem empfehle ich (nicht nur aus diesem Grund) die wunderbare Serie „House of cards“. Das Smartphone ist dort das zentrale Element des modernen Journalismus. Sowohl für die Produzenten als auch die Konsumenten. Journalisten, die in ihrem Smartphone immer noch ein Gerät zum telefonieren und Nachrichten schreiben sehen, haben ein Problem. Eher über kurz als über lang.
- Sozial! Da werden jetzt die meisten mit den Schultern zucken – und sich denken: Hab ich! Kann ich! Schließlich treiben wir uns ja nahezu alle bei Facebook rum und bei Twitter entdeckt man zunehmend auch mehr Journalisten. Sogar Claus Kleber findet inzwischen seinen Spaß daran und macht das nebenbei auch noch ziemlich gut. Aber das ist nicht das, worum es geht. Wer ein Facebook-Profil und einen Twitter-Account hat, muss deshalb noch läge nicht begriffen haben, wie diese Sache mit dem sozialen Netz funktioniert. Soziales Netz ist sehr viel mehr, als dass man lustige oder auch weniger lustige Links postet und sich selbst ein wenig profiliert (das ist übrigens die größte Falle bei diesem Nonsens-Thema „Journalist als Marke“, dazu gleich mehr). Soziales Netzwerken heißt in erster Linie auch: zuhören, kommunizieren, interagieren. Nicht nur die eigenen Themen annoncieren, sondern auch eine Idee dafür zu haben, was für das eigene Publikum interessant ist. Was passiert, wenn man das vernachlässigt, hat Thomas Knüwer hier anschaulich beschrieben. Ich bin jedenfalls immer wieder erstaunt, mit welcher Nonchalance Journalisten von sich behaupten, in sozialen Netzwerken gut unterwegs zu sein. Vor allem, wenn man dann sieht, wie wenig ihre Auftritte wirklich etwas mit Kommunikation und Interaktion zu tun haben. Es ist jedenfalls verblüffend, wie schlecht Menschen kommunizieren, deren Beruf etwas mit Kommunikation zu tun hat.
- Journalist sein! Jetzt wird es vollends absurd, mögen Sie sich denken. Man soll Journalist sein, um ein guter Journalist zu sein? Zugegeben: Das steht hier eigentlich nur, weil ich eine andere Forderung, die immer wieder erhoben wird, ablehnen will. Nämlich den Quatsch, dass Journalisten zunehmend eine eigene Marke werden müssten. Das ist verkopfter und theoretischer Unsinn und davon abgesehen sperrt sich mein manchmal etwas bockiges Gemüt dagegen, plötzlich als „Marke“ durch die Gegend laufen zu müssen. Ich persönlich will keine Marke sein und ich will, wenn ich Geschichten lese, die von einem Menschen erzählt bekommen. Nicht von jemanden, der sich als „Marke“ inszeniert. Und wiederum davon abgesehen habe ich in den letzten Jahren zuviele Journalisten gesehen, die vor lauter Markenbildung ganz vergessen haben, so etwas ähnliches wie Substanz aufzubauen. Da war das Marketing wichtiger als der Inhalt und am Ende hatte ich den dringenden Wunsch, mal so etwas ähnliches wie Journalismus zu bekommen – und nicht nur selbstverliebtes Digitalgepose. Also, liebe Leute, macht Journalismus, macht guten Journalismus. zeigt, dass ihr gute Geschichten erzählen könnt, erzählt sie mit allen Mitteln, auf allen Kanälen und mit allen Sinnen. Aber hört bitte, bitte endlich auf, euch als „Marke“ zu inszenieren.
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Ich stimme dir generell zu, nur eine Ergänzung zum letzten Punkt: Wenn Marketing wichtiger ist als der Inhalt, dann läuft die Markeninszenierung sicherlich falsch. Ich denke, dass man aber auch durch gute Inhalte, die man persönlich überzeugend präsentiert, zur „Marke“ werden kann. Vor allem, wenn man sich dafür eine sinnvolle Nische ausgesucht hat.
Was Journalisten noch dringen können müssen: Artikel leserlich layouten, damit das lesen leicht fällt. Bitte mehr Zwischenüberschriften, kürzere Absätze und mehr -tags 🙂
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Ich bin der Leser und kein Journalist. Darum beschränke ich mich auf das Kommentieren von „Journalist sein!“ Ich wünschte, ich könnte da ungeteilt einstimmen, dass der Journalist von morgen sich weniger auf die Selbstvermarktung und mehr auf die Inhalte konzentrieren soll. Doch ist das angesichts der Entwicklung der Medienlandschaft meines Erachtens zu idealistisch. Wer auch in Zukunft von journalistischer Arbeit leben möchte, wird nicht umhinkönnen, sich zu vermarkten – und das härter denn je. Denn die Vielfalt an Medienhäuser, unter denen er bis heute sein Auskommen fand, werden schrumpfen. Die Auflagen schrumpfen, die Werbeeinnahmen schrumpfen, die Zahl der Mitarbeiter wird weiter schrumpfen, deren Gehälter (Honorare) werden schrumpfen und am Ende wird auch die Zahl der Marktteilnehmer auf ein Oligopol schrumpfen. Der Journalismus hat kein tragfähiges und wachsendes Geschäftsmodell. Das hatte er schon vor Jahrzehnten nicht. Immer war er alimentiert von der Werbung oder von staatlichen Institutionen und seine Leistung würde nie ausreichend von seinen adressierten Kunden honoriert – auch in Zukunft nicht. Die Zukunft wird wohl einige idealistische Teilzeit- und viele Freizeitjournalisten sowie ein paar wenigen Star(marken)-Journalisten hervorbringen. Welche qualitative Ausprägung dieser Journalismus haben wird, kann man heute schon sehr gut beim Blick auf den Kulturmarkt erahnen.
Ich sage auch nichts gegen Vermarktung. Das ist vor allem für Freie völlig unerlässlich. Ich habe nur etwas gegen das m.E. zu oft vermittelte Bild, dass man vor allem seine eigene Person in den Vordergrund stellen müsste und dann wird das schon. Einen Journalisten nehme ich immer noch wegen dem war, was er zu erzählen hat. Und nicht deswegen, wer der Mensch hinter der Geschichte ist.
Oha, Journalisten also auf dem Weg zum Alleskönner, wenn man diesen Artikel zu Ende denkt. Am Beispiel „Video“ wird alledings schnell klar, dass das mit Einschränkungen gilt: Hier: „Online-Journalismus“. Trotztdem wird überzeugend dargelegt, dass künftig erheblich mehr Technik-Kompetenz vonnöten ist.
Wie andere Kommentaren auch, glaube ich, dass künftig Journalisten nichtsdestrotz auch mehr Aufwand in die (Selbst-) Vermarktung geben müssen. Nimmt man den „Echtzeit-“ Druck dazu, wird die Zeit für inhaltiche Arbeit recht knapp.
Sehr nachdenkenswert finde ich den Hinweis auf hinreichendes Publikums-Gespür. Hochspannendes, eigenllich ewiges Thema. Dabei warne ich aber davor, die Mittelstands- Sozialnetzaktiven – die „Crowd“ oder wie auch immer – mit „dem Publikum“ gleich zu setzen. Ich bezweifle, dass das „Volk“ derzeit seine Debatten im Netz führt. Auch hier geben letztlich nur wenige den Ton an, wenn auch vielfach andere als bislang.
Zu ergänzen ist sicher: Journalisten von morgen müssen in Kanälen denken können. Früher war ein Redakteur nur für sein Medium zuständig: Print ODER Radio ODER TV ODER Online. Wenn wir wirklich den Wandel von Zeitungsverlagen zu Medienhäusern schaffen wollen, dann muss jeder verstehen, wie man unterschiedliche Kanäle bespielt: Print, Online, Facebook, Youtube, Newsletter, Twitter, Mobile, … Jeder Chanel funktioniert nach anderen Regeln; unterschiedliche Ansprache, andere Themen. Damit sind wir wieder beim Punkt dieses Artikels: Video und Social sind wichtig für alle Journalisten,weil es nicht mehr langt, nur ein Medium/Kanal zu bespielen.
„Kein Video, kein Onlinejournalismus, diese Regel gilt ohne wenn und aber.“
Nee. Als Rezipient rege ich mich regelmäßig über diesen zeitraubenden Videowahn auf. Ich lese lieber, da bin ich schneller beim Punkt. Die meisten Videos sind gähnend langweilig gemacht, also das Pendant zu Knipsbildchen, wie sie jeder Redactus vulgus localis in völliger Selbstüberschätzung seiner künstlerischen Fähigkeiten meint abliefern zu müssen. Weniger Video ist daher tendenziell mehr Journalismus.
„Es erstaunt mich ja selbst, wie schnell sich das Thema Mobile Journalism zu einer Art Quasi-Standard entwickelt hat.“
Man kann’s nicht oft genug sagen: Journalismus sollte immer zu einem gewissen Prozentsatz mobil sein, er war es früher auch. Aber hier ist doch wohl die Rede von Handyjournalismus (Mobile = englisches Kurzwort für „Mobiltelefon“). Aber haben wir denn früher von Schreibmaschinen- oder Mikrofonjournalismus gesprochen? Bitte!
„Mittlerweile sind viele atemberaubend gute Projekte in der Welt, die ausschließlich von mobilen Endgeräten aus produziert worden sind.“
Mobile Endgeräte gibt es schon mal gar nicht. Endgeräte sind Fernmeldetechnikersprech; das Wort steht für den Netzabschluss in drahtgebundenen Telekommunikationsnetzen. Wir reden von mobilen technischen Hilfsmitteln für Journalisten, und es ist freilich nett, dass heute ein einziges Gerät alle Funktionen in sich vereint, für die man früher fünf oder sechs Geräte mitschleppen musste. Das bedeutet nur eins: mehr Gelegenheiten, O-Töne und Bilder zu sammeln, wenn man denn tatsächlich noch als Reporter unterwegs ist. Das Entscheidende ist aber, dass man sich wirklich als Reporter versteht und rausgeht, aber sich dabei auf die relevanten Motive konzentriert (und nicht jeden Blafasel filmt, weil Ziggigabytespeicher jetzt so billig sind). Aber nicht, ob man ein Gerät schleppt oder fünfe. Auf jeden Fall muss man sich mit der Technik befassen, denn nichts ist schlimmer als mieser Ton und grieselige Bilder.
Sorry, ein paar Abers zuviel. Kann ich sie zurückhaben? 😉
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