Das mit den Thesen ist so eine Sache. Es gibt sie mittlerweile inflationär, viele von denen, die ich in diesem Jahr gelesen habe, fand ich gut, manche unsinnig. Dass ich jetzt selbst mal zehn Thesen zur Zeitungszukunft geschrieben habe, sollte eigentlich mein einziger Ausflug ins Reich der Thesen bleiben. Aber weil ich morgen auf einer Ausbildertagung der öffentlichen-rechtlichen Sender etwas sagen soll und man mir explizit klar gemacht hat, dass so etwas wie Thesen hübsch wäre – kommen jetzt auch noch meine Thesen zur künftigen Journalistenausbildung. Davon abgesehen ist es ja auch keine ganz schlechte Idee, sich mit diesem Thema intensiv zu befassen, wenn man gerade ein Buch zur Journalistenausbildung auf den Markt bringen will. Und weil ich schließlich am Wochenende beim Jahrestreffen des IfP in Stuttgart bin und sich dort naturgemäß sehr vieles um Ausbildung drehen wird, passt mir das gerade ganz gut in den Kram (danach isses dann auch wieder gut mit der Thesenaufstellerei, fest verspochen).
1. Wir müssen dahin, wo die schon sind
Es klingt zunächst wie ein Paradox: Wir Journalistenausbilder konnten bis vor wenigen Jahren diesen Satz problemlos auf diejenigen anwenden, die wir ausbilden sollten. Kommt ihr mal dahin, wo wir schon sind. Lernt von uns — und ihr werdet irgendwann vielleicht mal können, was wir können. Die momentane Entwicklung dreht diesen Satz exakt um. Wir sind es, die dorthin wollen und müssen, wo eine digital aufgewachsene Generation sich befindet. Es geht nicht darum, dass wir plötzlich alle zu Berufsjugendlichen mutieren und es geht explizit auch nicht um die Entwicklung irgendwelcher Jugendprogramme/Jugendseiten. Es geht darum, eine Lücke im Verständnis digitaler Medien zu schließen. Für uns sind digitale Medien viel zu häufig noch „neue Medien“. Für die, die wir ausbilden sollen, sind sie Bestandteil ihres täglichen Lebens. Wir werden also von denen, die wir ausbilden, genauso viel zu lernen haben wie umgekehrt. Dass im Übrigen gerade öffentlich-rechtliche Sender eklatante Probleme mit dem jungen Publikum haben, hat neben vielen anderen Gründen auch den, dass sie einen Bezug zu einem jungen Publikum schon lange verloren haben. Wer sich in den diversen „Hauptabteilungen“ von ARD und ZDF umsieht, hat auch eine Ahnung, warum das so ist. (Bevor jetzt jemand in den Zeitungsredaktionen jubiliert: Leider liegt auch bei ihnen die Betonung beim Wort „Volontärsvater“ auf dem Vater…)
2. Wir müssen uns und die Ausbildung ständig auf den Prüfstand stellen
Klingt wie selbstverständlich — und vermutlich wird auch nahezu jeder Ausbilder das von sich behaupten: Natürlich stellen wir uns ständig auf den Prüfstand (und ab und an hinterfragen wir uns sogar). Gemeint damit ist aber nicht ein jährlicher Workshop, bei dem man sich über die neuesten Entwicklungen auf dem Medienmarkt informieren lässt. Sondern tatsächlich ein jährlicher Abgleich und eine jährliche Erweiterung der Ausbildungsrichtlinien (doch, so etwas gibt es in dem einen oder anderen Unternehmen). In einem Zeitalter, in dem sich Journalismus und Medien in einem rasenden Tempo verändern, ist es ein hoffnungsloser Anachronismus, nach den Erkentnissen der 80er oder 90er Jahre auszubilden. Was insbesondere fehlt ist eine stringente Einbindung des Themas Digitalisierung. Praxis ist vielerorts immer noch, dass man jungen Leute auch mal in die Online.Redaktion steckt. Oder dass die Online-Redaktion eine Wiederaufbereitungsanlage für Inhalte aus dem eigentlichen Muttermedium ist. Kurzum: Wir machen vielerorts immer noch eine Ausbildung, die noch auf Grundsätzen aus einer Zeit basiert, als es das Netz noch gar nicht gab. Eigene Erfahrung am Rande: Seit drei Jahren machen wir inzwischen mit jeder DJS-Klasse am Anfang der Ausbildungszeit ein paar Einführungstage, wo es um die Entwicklung im (digitalen) Journalismus im Großen und Ganzen geht. Diese Einführungstage hatten noch nie das gleiche Programm und letztlich ist das ja auch zwingend: Mit dem Programm von 2007 hätten wir die Teilnehmer von 2010 vermutlich nur zum Lachen gebracht.
3. Lernen ist keine Einbahnstraße mehr
Hefte raus, Klassenarbeit! Früher kam ich mir in Ausbildungsveranstaltungen öfter mal so vor und meine eigene Ausbildung habe ich durchaus noch als Schulunterricht klassischer Prägung in Erinnerung. Ich wollte etwas von dem da vorne lernen. Heute ist es umgekehrt. Wir Ausbilder müssen ggf. bereit sein, etwas von dem mitzunehmen, was unsere Volontäre etc. mitbringen. Vielleicht verstehen wir mehr von klassischem journalistischen Handwerk. Aber dieses selbstverständliche Wandeln in einer digitalen Welt wird bis auf Weiteres deren natürliche Domäne bleiben. Schlimm? Nein. Lernen wir was davon. Früher war´s mir unangenehm, wenn ich von einem längeren Ausbildungsprojekt zurück kam und den Eindruck hatte, mindestens genauso viel gelernt zu haben wie die Teilnehmer. Heute freue ich mich darüber.
4. Wir müssen uns von Lehrsätzen verabschieden
Man sollte nicht mehr glauben, was man sieht oder was man liest. Immer öfter, wenn ich an irgendwelchen Online-Projekten arbeite, merke ich, wie hohl, leer und verbraucht viele unserer journalistischen Dogmen sind. Text darf nicht länger sein als X-Zeichen, Zuschauer ertragen lediglich 1.30-Beiträge, danach sind sie weg. Und einen Teaser fürs Netz muss man soundso formulieren, damit er gelesen wird. All das hat in der digitalen Welt wenig Bestand. Mit den Glaubenssätzen analoger Tage können wir nicht in der digitalen Welt bestehen. Also: Weg mit den Dogmen, weg mit der reinen Lehre von Zeichen- und Minutenbeschränkungen. Lehren wir stattdessen wieder Journalismus mit all seinen Qualitäten und Fähigkeiten, nutzen wir die Chance, die uns die Digitalisierung gibt. Im Netz spielen Formatierungen nur noch eine sehr untergeordnete Rolle.
5. Wir müssen Journalisten als Journalisten begreifen
Ich dachte immer, ich hätte in erster Linie Journalismus gelernt. Ich dachte immer, es gehe letztendlich um eine journalistische Grundlage, die für alle gelte. Und dann darum, dieses Grundlagen mit einem bestimmten Handwerk für einen bestimmten Kanal nutzbar zu machen. Momentan hingegen lese ich eher Debatten um das Überleben des Journalismus in einzelnen Gattungen. Journalisten separieren sich momentan erstaunlicherweise. Das alles spielt aber in Zukunft — und damit auch in der Ausbildung – keine entscheidende Rolle mehr. Wir machen Journalismus, wir reden von Journalismus. Und wir brauchen Journalismus, die Journalismus können. Die Journalismus auf vielen Plattformen begreifen und ihn machen können. Wir brauchen keine Fernsehleute, die jetzt auch ein bisschen Online machen. Wir brauchen keine Zeitungsschreiber, die man auch im Netz lesen kann. Wir sollten Journalisten ausbilden, die Journalismus machen wollen.
JA. Und bitte ruhig mehr Thesen dieser Qualität.
Danke für These 5! Eigentlich hätte es gereicht, nur diese eine These aufzuschreiben. Nummer 5 kann sich jeder über seinen Bildschirm pinnen, die trifft den Kern der ganzen Sache. Ob ein Journalist seine Geschichten mit Hilfe von Storify erzählen will oder mit einer Schreibmaschine, ist völlig egal. Er muss nur gute Journalismus machen wollen und ein paar Grundlagen beherrschen.
Die Thesen 1-4 sagen dagegen nur: Hilfe, wir haben die digitale Welt noch nicht verstanden.
Servus Christian,
interessant (und ermüdend) an dieser ganzen Online-Debatte finde ich ja nicht nur, dass die Zeitungen und traditionellen Medien bald aussterben, sondern auch die Rede von den „Digital Natives“. Ich habe diese Entwicklung ja um 3-4 Jahre verpasst und bin als Frühmigrant in diese Welt eingestiegen. Aber mal ganz ehrlich: Jeder der jungen, nachwachsenden Generation kann zwar vielleicht mit dem Rechner umgehen, hat auch evtl. mal ein Video geschnitten aber vollkommen routiniert gehen sie damit dennoch nicht um. Ich habe jetzt auch schon mehrere Seminare mit Schülerzeitungsredakteuren gemacht und finde dort einige Cracks (meist aus der Informatik-AG der Schule), die die Homepage bauen, Blogs einrichten, etc… Ein kompetenter Umgang mit der Web-Recherche, mit Social Media und Co findet dort nicht statt. Und ich glaube das liegt einfach daran, dass dies für die meisten Jugendlichen eben ZU alltäglich ist. Sie hinterfragen diese Dienste i.d.R. nicht, so wie wir das tun. Wir stürzen uns als Migranten auf alles neue, probieren es aus, wollen es verstehen und setzen uns damit intensiver damit auseinander. Nicht umsonst haben – so meine Erfahrungen aus der Schule und dem Deutschunterricht – Migranten ein viel höheres Wissen um die Grammatik des Deutschen als Muttersprachler. Wir sollten da die Hoffnungen also nicht auf eine nachwachsende native Generation setzen für die das alles eh Routine ist. Wir müssen uns eher dazu zwingen, immer wieder die neuen Entwicklungen zu hinterfragen und journalistisch einzusetzen. Nur reingeboren werden reicht nicht.
Ich hätte da mal ne Frage – vielleicht hab ich es einfach nicht richtig verstanden, aber wo ist inhaltlich der Unterschied zwischen These 1 und These 3? In beiden Fällen ist die Kernaussage doch, dass Ausbilder nicht nur ihren Auszubildenden etwas beibringen, sondern auch selbst etwas lernen können/sollen/dürfen…
Oder fällt das in die Kategorie „Wichtiges kann man nicht oft genug sagen“?