Im Hause Burda macht man schon längere Zeit keinen Hehl daraus, dass man nicht unglücklich wäre, wenn dieses Internet doch einfach nur wieder verschwände. Man verdiene damit nur „lousy pennies“, dieser Satz von Hubert Burda ist so was wie ein geflügeltes Wort geworden. Und auch Phillip Weltes Ansage unlängst war mehr als klar: Man werde die Online-Aktivitäten im Haus auf das zurückführen, was man irgendwie noch als dringend geboten erachte. Mehr gibt´s nicht mehr. Muss man sich da wundern, wenn Focus-Online-Chefredakteur Jochen Wegner kurz darauf einigermaßen viel beachtet bekannt gibt, das Haus zu verlassen und sein eigenes Ding macht? Muss man nicht.
Die Demission von Jochen Wegner hat zwei Aspekte. Zum einen: Ich glaube, dass man bei Burda sich nicht im Geringsten darüber im Klaren ist, was das für die Multimedia-Strategie des Hauses bedeutet. Wegner war — vermutlich keineswegs nur nach meinem Eindruck — der eigentliche Kopf in Burdas Digitalstrategie. Bei aller Wertschätzung für´s Team, aber ohne Jochen Wegner wäre Focus Online komplett abgesoffen. Es gäbe keine Ideen wie nachrichten.de (bei allem, was man daran kritisieren kann) und so ganz nebenher ist Wegner ja nicht nur ein kluger Stratege, sondern auch ein so guter Journalist, dass er FOL wieder lesbar machte,was man in der Ära vor ihm beim besten Willen nicht behaupten konnte. Dem Nachfolger muss man eine faire Chance geben, klar — aber ob es zu mehr reicht als einem Redaktionsvorsteher, darf man bezweifeln, zumal man die journalistischen Schwergewichte der Branche kaum mit der Option ködern kann, einen Chefredakteursposten zu übernehmen, der im eigenen Haus bestenfalls als Kostenverursacher gesehen wird.
Andererseit ist die Causa Wegner ein ziemlich gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn in einem Haus keine wirkliche Überzeugung für die neuen Medien da ist, wenn man das Internet immer noch als etwas begreift, was man zähneknirschend macht. Da reicht es dann aus, wenn ein beinharter Printer, der online eh nie mochte, mit einem Federstrich erklärt, dass es das jetzt gewesen sei mit dem Netz. Nur, dass das leider nicht von Herrn Welte entschieden wird.
Burdas Probleme stehen stellvertretend für viele in der Verlagsbranche: Man ist immer noch bereit, Schrott-Produkte wie „Chatter“ auf den Markt zu werfen, ohne jegliche Rücksicht darauf, dass der publizistische Ruf des Hauses erheblich beschädigt wird. Ohne Rücksicht darauf, dass Geld ohne jede Perspektive verbrannt wird. Offensichtlich macht man in der Bewertung des Begriffs „scheitern“ immer noch erhebliche Unterschiede. Anders ist es jedenfalls kaum zu erklären, dass ein Desaster wie „Chatter“ sowohl hausintern als auch in der Branche mehr oder minder schulterzuckend weggesteckt wird. Man stelle sich vor, „Chatter“ wäre kein Print- sondern ein Onlineprodukt gewesen, man könnte Burda und Welte vermutlich noch bis ins nächste Jahr wehklagen hören.
Ebenso erstaunlich ist ja auch die Rangordnung im Haus, was den „Focus“ selbst angeht. Wegner hätte vermutlich noch so viele Relaunches und Produktentwicklungen präsentieren könne, das alles wäre nichts gegen das gewesen, wie Burda jubiliert, wenn Helmut Markwort irgendetwas noch so Unbedeutendes tut. Der gedruckte „Focus“ befindet sich seit Jahren in einem eher beklagenswerten Zustand (wobei das relativ zu sehen ist, weil es ja bedeuten würde, dass er jemals in einem begrüßenswerten Zustand gewesen wäre). Der Print-Focus bekommt jede Zeit ( ehrlich gesagt: auch jede Narrenfreiheit) der Welt, während man bei der Online-Ausgabe beklagt, wie viel Geld man da rein stecken müsste. Es gibt immer noch kein Gleichgewicht in den Verlagen, man gibt online kaum eine Chance sich zu entwickeln, man verlangt sofortige und umfängliche Eigenfinanzierung der Angebote, kurzum: Man legt Maßstäbe an, die man an eine Neuentwicklung im Printbereich kaum anlegen würde. Dass man das Quatschblatt „Chatter“ so schnell wieder eingestellt hat, lag ja mehr oder weniger auch nur daran, dass man zeitig absehen konnte, mit diesem Blatt so ungefähr alles falsch gemacht zu haben.
Was für ein bizarrer Weg also mitten im Jahr 2010: Eines der größten Verlagshäuser in Deutschland vergrault seinen besten Online-Kopf, dampft die digitalen Angebote ein und steckt stattdessen viel Geld und alle Freiheiten in die Lieblings-Spielzeuge älterer Herren und von Damen mit einem gewissen Tratschbedürfnis.
Es wäre kein Wunder, wenn man in München den vermeintlichen „lousy pennies“ aus dem Netz nicht irgendwann mal ziemlich hinterhertrauern würde.
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