Ich geb’s gerne zu, die letzten Tage waren ein ständiges Schwanken. Zwischen Zuversicht und Kopfschütteln. Zwischen Begegnungen mit spannenden Leuten und wiederum solchen, bei denen ich mir dachte: Ok, wir sind endgültig verloren.
Weil ich ja ein grundsätzlich optimistischer Mensch bin, erst einmal das Dankeschön: dafür, dass ich in den letzten Tagen ein paar Begegnungen hatte, virtuell und in Präsenz. Und ein paar interessante Unterhaltungen, bei denen ich wieder ein paar Sachen dazu gelernt habe (dafür ist man bekanntlich nie zu alt).
Aber alles in allem dachte ich mir im Laufe dieser Woche leider wieder mal: Es wäre fein, wenn wir in diesem Land im Allgemeinen und in unserer Branche im Kleinen aus unserer Komfortzone herauskämen. Wenn wir begreifen und entsprechend handeln würden, dass es so wie bisher nicht mehr lange weitergehen kann, ohne dass es anfängt wehzutun. Aber wir benehmen uns gerne wie lauter Olaf-Scholz-Miniaturen: Wir reden viel von Zeitenwenden und dann grinsen wir vor uns hin („schlumpfig“ würde der Herr Söder das vermutlich nennen) – und dann geht es weiter wie bisher.
Zweifelt jemand ernsthaft, dass KI die alles entscheidende Technologie der Zukunft ist?
Fangen wir mal wieder mit dem großen und ganzen an: KI.
Gibt es eigentlich auch nur irgendeinen halbwegs realistischen Zweifel daran, dass KI die nächste große (ich hasse dieses Wort ja, aber in dem Fall ist es berechtigt) Revolution sein wird? Dass diese Technologie das Potenzial hat, in vielen Bereichen buchstäblich alles zu verändern? Dass sie zudem ein gigantischer Wirtschaftsfaktor ist, frag nach bei OpenAI?
Stattdessen in Deutschland und Europa: Wir haben erst mal alles so reguliert, dass wir in Europa bis auf Weiteres eine KI 2. Klasse bekommen. Glauben Sie nicht? Werden Sie spätestens in ein paar Wochen feststellen, wenn Apple sein iPhone 16 und sein iOS 18 vorstellt. Da sind viele hübsche Sachen drin, bloß leider in der Europa-Version, ein absurder Digital Services Act lässt grüßen. Würde ich jetzt den ganzen sinnlosen Gesetzestext auseinandernehmen wollen, säßen Sie morgen früh noch hier (und das wollen wir ja alle nicht).
Deshalb nur ein kurzes Beispiel: „Der Begriff ›KI-System‹ in dieser Verordnung sollte klar definiert werden“, schreibt die EU.
Aber: Was ist jetzt eigentlich eine KI? Ist ein Algorithmus bereits eine KI? Und wenn, um beim Beispiel zu bleiben, Apple ein Smartphone auf den Markt bringt, dass viel KI integriert hat, ist dann ein iPhone schon KI und darf es künftig nur noch Smartphones ohne KI geben? Falls die Antwort ja sein sollte, viel Spaß. Es wird schon bald keine Hardware und auch keine Software mehr geben, in der nicht irgendwo im Maschinenraum KI unterwegs ist. Dummerweise beantwortet die EU genau diese Frage nicht.
Was sich also schon jetzt absehen lässt: Das ganze Innovations-Zeug wird außerhalb Deutschlands und Europas stattfinden. Mit der lustigen Konsequenz, dass irgendwann mal das Lamento losgehen wird, amerikanische Firmen würden uns mit ihrer Technik gefangen nehmen. Nur noch mal zum Klarmachen: KI wird demnächst überall enthalten sein, in nahezu jedem Gerät. In Handys, Autos, Computern ohnehin. KI ist für das Funktionieren unserer digitalen Gesellschaft ungefähr so essenziell wie eine Steckdose. Und was machen wir? Regulieren erst mal. Mit der Entwicklung der eigentlichen Technologie befassen wir uns dann mal später (so wie mit 5G an jeder Milchkanne, was schon vor Jahren angekündigt war. Wer einmal quer durch Deutschland das Handy-Netz genossen hat und wer zu Hause immer noch mit lahmen 50Mbit kämpfen muss, der kann darüber nur müde lächeln).
Es gibt keine Lösung, für die wir nicht erst einmal ein Problem haben
Was zum nächsten Punkt führt, der ebenfalls sehr deutsch und europäisch ist: die detaillierten Regelungen und Risikoklassifizierungen. Was Unternehmen im Zweifelsfall leisten und belegen müssen, um KI einsetzen zu können, ist so absurd, dass es fast schon wieder lustig ist. Wenn es also um Innovation und Zukunftstechnologien geht, dann herrscht bei uns weiter die Devise: Erst mal ein umfassendes Regelwerk schaffen!
Und damit kommen wir dann direkt in unsere kleine Branche. Den Hang zum Selbstbetrug, zur Schönrednerei und zum „alles halb so wild“ haben in den vergangenen Tagen mal wieder viele Verlage und deren Angehörige zelebriert.
Unser Motto: Alles halb so schlimm!
Fangen wir mal beim Zeitungsverlegerverband an. Der ist seit vielen Jahren in erster Linie damit beschäftigt, die Lage so zu beschreiben, dass das alles nicht so schlimm ist und es im Gegenteil wieder aufwärts geht. Als Beleg dafür nimmt er u.a. in seinem Bericht zur Lage der Zeitungsnation die Zahl der steigenden E-Paper-Abos und der ebenfalls steigenden digitalen Erlöse. Beides ist richtig oder besser gesagt: wenigstens nicht falsch. An den grundsätzlichen Problemen der Häuser ändert das aber nicht viel. Zeitungen, so wie wir sie seit 100 Jahren kennen, sind weder personalisiert noch schnell noch interaktiv. Ihre Produktion ist teuer und vom jüngeren Publikum hat man sich inzwischen so weit entfernt, dass die Unternehmensberatung Schickler von einer „dramatischen Abrisskante“ spricht.
In den letzten Jahren hat man die Rückgänge bei den Abonnenten und den Umsätzen immer wieder mit denselben Mitteln kompensiert: zum Teil drastische Sparmaßnahmen und Preiserhöhungen, teilweise ebenso drastisch. Abos von Regionalzeitungen in Deutschland schlagen inzwischen mit 500 bis 600 Euro im Jahr zu Buche. Man muss nicht BWL studiert haben, um zu sehen: Das geht nicht ewig so weiter, schon gar nicht in Kombination mit immer dünneren Ausgaben.
Wer denkt bei Verlagen sofort an Innovationen?
Was man hingegen überhaupt nicht mit Zeitungsverlagen verbindet: Innovation. Neue Produkte, spannende Ideen.
Bevor das nach Verlags-Bashing klingt: Das ist eine Diagnose, die ich regelmäßig in Deutschland stellen würde. Nicht nur bei uns in den Medien und in der Kommunikation. Stattdessen stoße ich immer wieder auf Technik-Skepsis, auf Zögerlichkeit und ja, leider auch auf das: auf Bequemlichkeit und Saturiertheit.
Solange wir mehr über eine 4-Tage-Woche als über neue Technologien debattieren, solange Begriffe wie Achtsamkeit wichtiger sind als Risiko und Leistungsbereitschaft, werden wir in Probleme kommen. In große sogar. Die Lage der Tageszeitungen ist da womöglich bedauerlicherweise nur ein Role Model.
Wir müssten also langsam mal weg von der Überregulierung, die sogar eine WhatsApp-Gruppe einer Schulklasse oder einen E-Mail-Verteiler zum potenziellen Risiko macht. Weg von der Bedenkenträger-Mentalität, die neue Technologien immer erst einmal als Risiko und weniger als Chance sieht. Und von der absurden Idee, dass es uns immer noch gut genug ginge, um so weitermachen zu können.