Drei Dinge sind in den vergangenen Tagen passiert. Alle drei haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Und trotzdem: so viel, dass man Ende eine ganze Menge weiß über den Stand der Dinge im Medienland.
Das Erste: Der jährliche „Digital News Report“ ist erschienen.
Das Zweite: Die Studie „Worlds of Journalism“ gibt Einblicke in Journalisten und Journalisten.
Und schließlich Nummer drei: Ein beträchtlicher Teil der neuen KI-Funktionen von Apples iOS 18 (siehe dazu auch unseren letzten Newsletter) werden vermutlich in diesem Jahr nicht mehr nach Deutschland und in die EU kommen.
Fangen wir mit dem „Digital News Report“ an. Der ist dieses Jahr deswegen so interessant, weil er im Gegensatz zu den vergangenen Jahren nicht nur Dinge hervorbringt, von denen man das Gefühl hatte, sie ohnehin zumindest geahnt zu haben. Müsste man ihn in einem Satz zusammenfassen, müsste da stehen:
Kommt in die Gänge, Leute!
Zugegeben, im Netz würde man jetzt Clickbaiting nennen. Trotzdem ist das nicht falsch. Weil nach der Lektüre des Reports bei vielen zumindest die Ahnung da sein müsste, dass man so wie bisher nicht weitermachen kann.
Dass Journalismus, Medien und Kommunikation auf ein handfestes Problem zusteuern, wenn sie so weitermachen. Dieses Problem könnte in einem ähnlichen Erstaunen enden wie bei den Freunden und Kollegen aus der Politik gerade:
Huch, die Leute wollen das ja gar nicht mehr!
Bezahlmodelle und Social Media
Es gibt den immer noch weitverbreiteten Glauben, dass es Bezahlmodelle und etwas Social Media schon richten werden, wenn es das bisherige Geschäftsmodell nicht mehr so richtig bringt. Beides war schon immer nur eingeschränkt richtig. Künftig aber gehört beides in das Reich des Irrglaubens.
Fangen wir mal mit dem Offensichtlichen an: Nur 13 Prozent der deutschen Befragten zahlen für Online-Nachrichten. Diese Zahl ist seit Jahren weitgehend gleich schlecht. Und es ist wenig wahrscheinlich, dass sich daran noch sehr viel ändern wird. Nüchtern betrachtet kann man also davon ausgehen, dass ein Geschäftsmodell, das von fast 90 Prozent der User nicht genutzt wird, kein wirklich Gutes ist.
Die Gretchenfrage: Liegt es am User, dem man auch nach jahrelangem mantraartigem Wiederholen nicht eingetrichtert bekommt, dass man für guten Content zahlen muss? Oder liegt es vielleicht doch am Geschäftsmodell, am Produkt selbst? Um bei den Parallelen zur Politik zu bleiben: Das ist so wie der aktuelle Stand der Dinge beim Elektroauto. Auch da sagt man den potenziellen Kunden seit Jahren, dass kein Weg daran vorbeiführt. Trotzdem bekommt man die Mehrheit der Leute anscheinend nicht so richtig davon überzeugt.
Muss man also etwas am Produkt ändern? Ja klar, was denn sonst.
Angesichts der niedrigen Zahlungsbereitschaft müssen Nachrichtenorganisationen innovative Modelle entwickeln, um Abonnements attraktiver zu machen. Dies könnte neben Content vor allem durch noch mehr personalisierte Angebote und bessere Nutzererfahrungen erreicht werden.
Stichwort kontextbezogene KI: Eine Empfehlung, was ich sonst noch lesen könnte, das ist nicht sonderlich prickelnd, gibt es außerdem in dieser Form schon seit über 20 Jahren. Ich brauche beim besten Willen keine Personalisierung, die mir uralte und wenig passende Geschichten aus dem Archiv vorschlägt, nur weil zwei oder drei Schlagworte übereinstimmen.
Was ich brauche und will: ein Angebot, das mich kennt. Und weiß, was ich benötigen könnte. Letztendlich das, was Apple auf seinen Smartphones künftig machen will. Das ist etwas ganz anderes als das, was ich heute häufig auch als zahlender Abonnent vorgesetzt bekomme. Bisher bekomme ich meistens eine Webseite. Die ist Zeitung als HTML. Was der Digital News Report aber eindeutig belegt: Die Webseite spielt eine immer geringere Rolle. Wundert einen das, wenn man auf der anderen Seite durch KI durchpersonalisierte Angebote bekommen könnte?
Wenn KI zunehmend mehr das Netz von der Suche zur Antwort umbaut, dann werden sich Medien dem nicht verschließen können. Die Idee, dass man eine schöne Wundertüte vorgesetzt bekommt, verliert immer mehr an Relevanz. Dafür gibt es schon zu vieles, was ich lesen und konsumieren müsste.
Lass mich also nicht lange suchen, müsste die Aufgabenstellung an ein gutes Paid-Angebot lauten. Sondern sag mir, was für mich wichtig sein könnte. Lediglich eine Bezahlschranke vor Inhalte hängen, das ist so einfallslos wie vieles, was das deutsche Medienmanagament schon seit Jahren produziert.
Über die Nutzererfahrung, nächster Punkt, muss man nicht viel sagen: Bei der FAZ beispielsweise komme ich mir manchmal vor wie bei der Deutschen Bahn. Ich nutze sie nicht, ich liefere mich ihr aus. Unlängst wollte ich mal meine Rechnungen downloaden. Es war eine mittlere Odyssee, so wie überhaupt (nicht nur bei der FAZ) viele Angebote offenbar mit dem Ziel programmiert worden sind, dass ein halbwegs normal strukturierter Menschen sie nicht versteht.
Und ja, liebe Leute: Benutzerfreundlichkeit gehört genauso zu den Gründen, warum Leute für ein Angebot zahlen (oder eben nicht).
Die Zukunft heißt (auch) Video
Kurzvideos sind irre beliebt und konvertieren wie blöd. Ach, denken Sie sich jetzt, hat der es jetzt auch schon kapiert? Ich meine, Plattformen wie Insta und TikTok machen de facto nichts anderes mehr. Insta war mal eine Foto-Plattform, de facto ist es immer mehr zum TikTok-Klon geworden. TikTok für Erwachsene sozusagen. Es sind diese kurzen 60-Sekünder, die den richtigen Boost bringen (ob man das mögen muss, steht ja wieder auf einem ganz anderen Blatt).
Trotzdem ist bei vielen Angeboten noch reichlich Luft nach oben, was solche Shorties angeht. Zum Merken und Mitschreiben: Bewegtbild hat was damit zu tun, dass sich etwas bewegt. Und dass so ein Ding auch für sich stehen kann und nicht nur erkennbar ein Link, ein Teaser zu einem Angebot sein soll.
Anders gesagt: Foto mit Text und Link ist vielleicht eine Story, technisch gesehen. Aber noch keine Geschichte und nichts, weswegen man jemanden gleich abonnieren würde. Davon abgesehen, dass das Thema (Kurz-)Videos auf vielen redaktionellen Angeboten immer noch so gut wie gar nicht vorkommt. Erstaunlich, gemessen daran, dass fast niemand mehr die enormen Reichweiten abstreiten würde.
Dabei lässt der neue Reuters-Report keine Zweifel zu: Die Präferenz für Videoformate beeinflusst das Nachrichtenkonsumverhalten insgesamt. Nutzer verbringen mehr Zeit auf Plattformen, die ihnen Videos in ansprechender und leicht konsumierbarer Form bieten.
Weniger Social, mehr Media
Noch so eine Sache, an der es nichts zu deuteln gibt:
Traditionelle Social-Media-Plattformen wie Facebook und X verlieren an Bedeutung, während visuelle und videobasierte Plattformen an Relevanz gewinnen. Sofern diese beiden Plattformen also in Ihrer Social-Media-Strategie noch ganz oben stehen sollten, können Sie getrost davon ausgehen, dass Sie es mit einer veralteten Strategie zu tun haben.
Siehe also oben: Schön, wenn Sie noch fleißig Links irgendwohin posten. Es spricht auch nichts dagegen, das weiterhin zu tun. Sie sollten dennoch diese Sache mit den Videos beherzigen. Zumal sich auch der Charakter sozialer Netzwerke rapide verändert. Soziale Netzwerke haben immer weniger mit ihrer ursprünglichen Idee zu tun. Der Austausch wird unwichtiger, stattdessen werden sie zunehmend mehr zu dem, was Medien schon immer waren. Es dominiert (wenig überraschend) der Content. Allerdings unter anderen Vorzeichen.
Es sind (auch das ist bei Lichte betrachtet nicht überraschend) mehr und mehr die Persönlichkeiten, die zählen. Für uns Ältere ein echter Paradigmenwechsel: Früher hatte sich der Autor der Marke unterzuordnen. Zu Zeiten meines Volontariats, kurz nach der letzten Eiszeit also, war es schon ein Privileg, wenn man mal eine Autorenzeile mit vollem Namen bekam. Ansonsten wurde man verschämt hinter Kürzeln versteckt. Heute sind Influencer und andere Performer zu echten Konkurrenten, gerade in solchen Netzwerken, geworden.
Trauen wir uns also und machen (auch) Menschen zu Marken.
Medien ticken immer noch sehr traditionell
Werfen wir jetzt dann mal einen Blick auf die deutsche Realität, unterfüttert mit den Ergebnissen der Studie „Worlds of Journalism“. Kleiner Hinweis zunächst: Ich habe mich zu dieser Studie mit einer der Macherinnen, nämlich Anna von Garmissen, für den Podcast Satzzeichen unterhalten. Die ganze Folge können Sie hier anhören.
Fasst man die Sache zusammen, dann ist es vermutlich nicht verkehrt zu sagen: Der deutsche Journalismus tickt immer noch verdammt traditionell. Immer noch dominieren (ältere) weiße Männer, immer noch ist fast jeder Zweite bei einer Tageszeitung oder einem öffentlich-rechtlichen Sender angestellt. Das alles ist sehr ehrenwert, aber klingt nach dem glatten Gegenteil von dem, was oben ausführlich beschrieben ist.
Bevor das „Ja, aber…“ kommt: Natürlich gibt es auch im klassischen Journalismus und in der Kommunikation verdammt gute Leute. Ich würde die klassische Redaktion und die ebenso klassische Agentur jetzt aber nur eingeschränkt als einen Hort der Innovation sehen.
To be oder To do
Die „Süddeutsche Zeitung“, bestimmt kein Anhänger des Manchester-Kapitalismus, hat die Tage eine schöne Formulierung gefunden. In Deutschland, so die SZ, seien wir weitgehend eine To-be-Gesellschaft, während die Gesellschaft in den USA das „to do“ bevorzuge.
Viel schöner kann man es nicht sagen. Und viel treffender kann man den Beleg dafür nicht liefern als Apple und seine neue KI, die ab Herbst in den Geräten laufen soll. Nun wird bekannt, dass der Konzern seine Einführungspläne für Europa revidiert hat. Dort wird es vorerst keine AI-Funktionen in iOS, iPadOS und macOS geben. Bedenken, die Auflagen des Digital Service Act (DSA) nicht erfüllen können, werden genannt.
Das alles will ich jetzt nicht im Einzelnen diskutieren. Nur zeigt sich mal wieder: In Deutschland und in Europa haben wir eine innige Liebe zur Regulation. Zunächst soll alles geregelt sein, dann kommt das Produkt raus (to be). In den USA marschiert man stattdessen erst mal drauflos (to do). Dumm nur, dass sich in den vergangenen 20 Jahren immer wieder gezeigt hat: Mit „to be“ funktioniert Digitalisierung nicht. Es gibt Gründe dafür, warum diese Innovationen seit drei Jahrzehnten eher aus den USA aus Europa kommen.
Viel anders ist das leider auch nicht in unserer Branche. Ich kann keine einzige Veranstaltung zu solchen Themen machen, ohne dass nicht nach wenigen Minuten beispielsweise nach dem Datenschutz (der ja ehrenwert und wichtig ist, keine Frage) gefragt wird. Und in der nicht zumindest ein beträchtlicher Teil an Bedenken auftaucht.
Müsste man diesen sehr, sehr langen Text also zusammenfassen:
Wir bräuchten viel weniger „to be“!