Das Zeitalter von Web und App geht schneller zu Ende als gedacht. Ab jetzt geht wieder alles auf Null, sowohl unsere Inhalte als auch die Geschäftsmodelle. Die KI ist das neue Google und die Suchmaschinen und Smartphones von heute wirken plötzlich wie die „Portale“ von gestern…
Manchmal hilft es, die eigenen Prognosen und Ideen einfach ein wenig ruhen zu lassen, sie anzupassen – und dann wieder hervorzuholen. Zum Beispiel diese: Die Idee des Smartspeakers bedroht die bisherigen Geschäftsmodelle der Medienhäuser mehr als alles andere. Mehr als jedes Internet, mehr als jede Suchmaschine, mehr als jedes Social Media. Und das aus einem ganz einfachen Grund: Soziale Netzwerke und Suchmaschinen bieten zumindest theoretisch die Möglichkeit, dass ein Nutzer nach ein paar Umwegen wieder auf der Website, der App oder einem anderen Angebot landet. Das Konzept des Smartspeakers ist anders. Der Nutzer fragt – und bekommt eine Antwort. Von wem diese Antwort kommt, ist ihm in den meisten Fällen ziemlich egal. Natürlich kann man seine Alexa, seinen Google Assistant konfigurieren. Aber ich wette: Die meisten Standard-Nutzer machen genau das nicht.
Der Mensch fragt, er will eine Antwort, eine Problemlösung. Und er erhält nicht etwa ein Menu an verschiedenen Möglichkeiten oder eine Legion von Apps, mit denen er sein Probem lösen kann. Sondern eine einzige Antwort resp.Lösung. Aus einer Hand, schnell, (hoffentlich) zuverlässig. Das klingt für die meisten User nach einer sehr verlockenden Welt. Ist die nicht ohnehin schon komplex genug geworden?
Ab hier übernimmt die KI
Nicht viel weniger als genau das verspricht (ausgerechnet) die Telekom. Sie hat unlängst ein Smartphone vorgestellt, das Schluss macht mit 57 verschiedenen Apps und ewig langen Suchen in Suchmaschinen. Stattdessen, zumindest in der Theorie: Die Hardware wird endgültig komplett von einer KI gesteuert. Und die wiederum (nochmal: zumindest in der Theorie) macht das Handy endgültig zu dem, was es ja ohnehin sein sollte: den ganz persönlichen Assistenten seines Besitzers.
So lautete zwar bisher schon das Versprechen der Smartphones. Aber wenn man ehrlich ist, ist das Smartphone Stand jetzt so was wie Vermittlungsagentur, die dich an vermeintliche Assistenten weiterleitet.
In der Praxis sähe das also so aus: Bisher musst du, um eine Zugfahrt zu buchen, den Assisten (vulgo die App) der Bahn öfffen und dann alles weitere veranlassen. In der neuen KI-Welt macht das alles dein Handy für dich, mit einer App oder einer Webseite der Bahn komst du gar nicht mehr unmittelbar in Berührung. Du äußerst deinen Wunsch und kurz daraif hast du dein Bahn-Ticket. Gut, dazu müsste am Ende die Bahn dann auch wirklich erstmal fahren, aber das ist dann wieder etwas anderes.
KI klaut uns die Leads – und was dann?
Für die Geschätsmodelle von uns Kreativen und Medienmenschen ist das allerdings mindestens fatal. Während es der Bahn wurscht sein darf, wie der Kunde zu seinem Ticket kommt (Hauptsache, er kauft es), stellt diese Idee das bisherige „Empfehlungsmodell“ auf den Kopf. Bisher war es ja eher so, dass am Ende ungefähr alle voneinander profitierten. Wenn am Ende genügend User Kontakt zur Webseite, zur App hatten, ging die Rechnung wieder auf.
Aber was, wenn künftig nicht mehr? Wenn User ihre Inhalte bekommen, ohne jemals dorthin zu müssen, wo diese Inhalte entstehen? Und damit sind wir wieder beim Thema Smartspeaker. Oder besser: bei den Parallelen zwischen Smartspeakern und der KI.
Schon beim Smartspeaker kommt der Nutzer in der Regel nicht mit der Quelle seiner Informationen in Berührung. Zwar kann er in den Einstellungen selbst festlegen, von wem er z.B. Nachrichten erhält. Aber wer macht das schon? Und selbst wenn jemand sagt, er möchte die Nachrichten von der „Tagesschau“ und nicht von RTL, dann hat er wahrscheinlich ohnehin eine klare Präferenz.
Dem User ist es weitgehend egal, mit wem er da spricht
Und fragen Sie mal jemanden, mit wem er gerade „gesprochen“ hat? Ich wette, 99 Prozent sagen „Alexa“ (oder so ähnlich). Kaum jemand käme auf die Idee, dass er gerade mit der Tagesschau interagiert hat. Hat er ja streng genommen auch nicht. Also Medien als Hardware- oder KI-Lieferant, das ist die Rolle, die in so einem Modell übrig bleibt. Keine sehr gute, weil, siehe oben: Anders als bei Suchmaschinen oder Social Media gibt es keine Chance, dass dieser Kontakt mit einem Nutzer zu mehr als bestenfalls einer flüchtigen Erwähnung führt (bei KI-Modellen vielleicht nicht einmal das).
Das Ende der Web- und App-Ära ist deshalb die logische Konsequenz. Offen ist: Was kommt danach? Denkt man die Sache nüchtern, kommt man zu einem simplen Schluss: Alles auf null, wir müssen nochmal alles von vorne aufsetzen. Wo es keine Webseiten und keine Apps mehr gibt, existiert auch kein entsprechendes Geschäftsmodell mehr. Vor allem: Man fängt besser gleich damit an, sich auf diesen erneuten Radikalwandel einzustellen. Wenn man sich die rasende Entwicklung beim Thema KI in den letzten eineinhalb Jahren anschaut, dann ahnt man, wie wenig Zeit uns bleiben wird.
Zumal man besser nicht darauf setzen sollte, dass es sich dabei um einen der im Netz immer wieder auftretenden Hypes handelt. Wenn wirklich der Computer irgendwann eine Art Erweiterung unseres Verstandes sein soll, dann führt an der Idee der Abschaffung von Seiten und Apps kein Weg vorbei. Zu umständlich, zu unübersichtlich, zu unbequem.
Wer gewinnt? Wie immer die Schnellsten und Schlausten!
Schauen wir nochmal kurz zurück, ehe wir von der Zukunft sprechen. Vor rund 30 Jahren tüftelten ein paar Nerds in der Redaktion des „Spiegel“ an einer Seite für das WWW. Weitgehend unbehelligt und eher belächelt, weil: Spiegel im Web, was soll das bitte schön? Vermutlich hätten nahezu alle der damals am Heft beschäftigten Redakteure (m/w/d) laut gelacht, hätte ihnen jemand gesagt, dass da ein paar Nerds an der Zukunft des ganzen Hauses arbeiten.
Tatsächlich aber lebt der „Spiegel“ genau deshalb heute immer noch ganz passabel, weil er als einer der ersten im deutschsprachigen Journalismus erkannt hat, dass diese Sache mit dem Netz die Zukunft sein könnte. Als andere sich irgendwann bequemten, zu recherchieren, was HTML und WWW bedeuten könnten, hatten sie in Hamburg bereits eine ganz passable Grundstruktur für eine digitale Redaktion entwickelt. Wer also gewinnt? In solchen technologischen Umbruchszeiten immer diejenigen, die als erste die Potenziale neuer Technologien und ihrer Anwendungen erkannt haben. Nochmal ein kleiner Rückblick: Die Geschichte von Google begann, als ihre Gründer erkannten, dass die Menschen im immer dichter werdenden Netz vor allem eine einfache und zuverlässige Möglichkeit suchten, schnelle Antworten für komplexe Fragen zu finden.
Und wieder steht die Idee des „Portals“ vor dem Ende
Die Älteren unter uns erinnern sich: Das war zu einer Zeit, als Unternehmen noch dachten, „Suchmaschinen“ müssten möglichst umfangreiche „Portale“ sein; zentrale Anlaufstellen für ungefähr alles. Google verstand die Idee der zentrale Anlaufstelle schon auch, präsentierte aber eine deutlich userorientierte Lösung: ein Eingabefeld, schnelle und zuverlässige Ergebnisse. Sie merken also: ja, es geht auch um die (eigene) Bequemlichkeit. Die Idee des KI-Smartphone (und aller folgenden Produkte) ist vergleichbar mit den damaligen Portalen und Google. Heute sind Apps und Webseiten auf dem Handy das Portal, durch das man sich irgendwie durchackern muss. Aber angenommen, jemand vereinfacht das alles ganz erheblich (zumindest für den User)? Sie sehen vermutlich die Paralelle… Natürlich kann heute noch niemand absehen, wie das alles in 10 oder 20 Jahren sein wird. Welche Geschäftsmodelle daraus resultieren könnten und wie sich Nutzer dann verhalten. Aber das wussten die Nerds vom „Spiegel“ Mitte der 90er Jahre auch nicht.
Also, an die Arbeit!