Es wird spannend und rumpelig zugleich: 2024 dürfte das Jahr des großen Umbruchs in Medien und Kommunikation werden. Was übrig bleibt, wer geht, was kommt: eine Bestandsaufnahme.
Grundgütiger, eigentlich dachte ich ja, 2023 habe gerade erst angefangen. Dabei ist das Jahr fast schon wieder vorbei. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass es sogar eine wissenschaftliche Begründung dafür gibt, dass man mit steigendem Alter das Gefühl hat, die Zeit verfliege immer schneller (ich kriege sie bloß nicht mehr auf die Reihe, was wiederum damit zu tun hat, dass man mit zunehmendem Alter nicht zwingend schlauer wird.) Jedenfalls, liebe Generationen Z bis X, falls ihr hier mitlest, ihr ahnt, was auf euch zukommt.
Aber eigentlich wollte ich hier gar nicht über das Älterwerden sinnieren, das tue ich demnächst mal wieder an anderer und geeigneterer Stelle. Stattdessen nutze ich die Gelegenheit, das alte Medienjahr hiermit offiziell abzuhaken und ein bisschen ins kommende Jahr zu schauen.
Falls Sie jetzt meinen, das sei aber schon sehr früh, Mitte November: Ich habe Ende Oktober die ersten Weihnachtsdekorationen gesehen, Lebkuchen gibt es schon seit September – und machen Sie sich bitte klar, dass Sie in rund zwei Wochen den ersten Jahresrückblick im Fernsehen sehen werden. Auch wenn man vor allem die von RTL getrost versäumen kann.
Halten wir also rückblickend auf 2023 fest, dass man das Jahr in zwei Buchstaben beschreiben kann: KI. Alle haben darüber geredet und es deutet nicht sehr viel darauf hin, dass sich daran im kommenden Jahr irgendwas ändern wird. Gelernt habe ich in den letzten Jahren, dass Prognosen im Sinne von “10 Dinge, die nächstes Jahr ganz sicher trenden werden” bestenfalls etwas Unterhaltungswert haben, sehr selten aber wirklich eintreffen. Es gibt einen einzigen Kollegen, dessen Prognosen ich immer wieder gerne lese.
Der Rest bewegt sich meistens auf LinkedIn-Niveau. Das ist, falls Sie es noch nicht wissen, ein Synonym für die Mischung aus Allerwelts-Gerede und heißer Luft. Deswegen: An dieser Stelle keine Prognosen über die Weiterentwicklung von KI. Ich bin ja schon ausreichend damit beschäftigt, irgendwie mit den aktuellen Sachen auf dem Laufenden zu bleiben.
Reden wir also stattdessen über den Rest von Medien und Kommunikation. Das wird spätestens ab 2024 ff. eine Mischung aus spannend und dramatisch. Ich würde sogar so weit gehen: Ab 2024 entscheidet sich, wer geht und wer bleibt.
Print: Der rasante Umbruch kommt erst noch
Und da fangen wir dann mal wieder an mit dem Thema Print, insbesondere mit den Tageszeitungen. Da hatte sich in den letzten Jahren mal wieder die anscheinend branchentypische Zufriedenheit mit sich selbst breitgemacht. Motto: Sehr ihr, ihr Schwarzseher, haben wir die Kurve doch ganz gut gekriegt. Meistens verweist man in diesem Zusammenhang auf die folgenden drei Dinge:
- E-Paper
- Plus-Angebote
- Wir schenken euch ein iPad-Angebote
Soll heißen: Nicht mal mehr der verstockteste Verlagsmensch würde heute noch behaupten, dass Print eine große Zukunft hat. Es gibt tatsächlich kein einziges Argument mehr, das einen Glauben an Papier noch rechtfertigen würde.
In diesem Zusammenhang schnell eine persönliche Bemerkung: Ich höre inzwischen wieder gerne und viel Vinyl. Bücher mag ich immer noch am liebsten auf Papier und alles in allem bemühe ich mich intensiv um eine Reduktion meiner Bildschirmzeiten. Das alles hat aber eine ganze Reihe von persönlichen Gründen, die ich jetzt nicht alle aufzählen kann (und will). Trotzdem würde das alles nicht dafür taugen, um eine Rückkehr zur gedruckten Zeitung zu begründen. Das eine sind Genuss-Sachen, die Zeitung ist immer noch Gebrauchsgegenstand.
Von dem her: Vergesst die ganzen Retro-Argumente. Wenn ihr mal 180 Gramm Vinyl auf Halfspeed mastered hört, wisst ihr, was ich meine.
Konkret: Speziell bei den Tageszeitungen schlägt vor allem die Überalterung des Publikums inzwischen voll durch. Dazu ein paar Zahlen, herausgefunden von der Unternehmensberatung Schickler und von der IVW:
- 40 Prozent der Abonnenten von Tageszeitungen sind älter als 75 Jahre.
- 40 Prozent der Gemeinden in Deutschland werden spätestens 2025 zu Gebieten, in denen sich die manuelle Zustellung der Zeitung nicht mehr lohnt.
- 10 Prozent beträgt der Auflagenrückgang der Tageszeitungen alleine im 1. Quartal 2023.
Nimmt man das alles zusammen, kommt man schnell zu einem simplen Ergebnis: Speziell bei den Tageszeitungen dürfte die Entwicklung ab 2024 derart an Fahrt aufnehmen, dass es in vielen Häusern an die Substanz geht. Noch nicht so, dass es zur großen Pleitewelle kommt. Aber dass wir 2024 und 2025 eine wachsende Zahl von Verkäufen, Zusammenschlüssen und anderen radikalen Sparmaßnahmen sehen werden, ist ausgemacht.
Zumal noch anderes dazukommt: Verlage werden immer häufiger zu wenig lukrativen Arbeitgebern. Gute, junge Leute in die Redaktionen zu bekommen, wie soll das gehen? Es ist müßig, jetzt nochmal über die Versäumnisse der letzten Jahre zu reden. Fakt ist, dass für viele der Point of no return überschritten ist.
E-Paper und Co.: Die aktuellen Gegenmaßnahmen sind wenig tauglich
Ja, aber…hört man bei solchen Debatten immer wieder aus der Branche. Man habe doch so viele schöne neue und vor allem digitale Produkte auf den Markt geworfen, die allesamt steigende Zahlen aufweisen. Das stimmt sogar. Meistens aber nur auf den ersten Blick. Einem zweiten, genaueren Blick halten sie aber oft nicht mehr stand.
Fangen wir mit dem E-Paper ab. Problem Nummer eins: E-Paper sind kein wirklich digitales Produkt. Sie sind lediglich eine Reproduktion eines analogen Produkts. Alles, was vor allem ein jüngeres Publikum von einem Medium erwarten würde (beispielsweise Interaktivität und Personalisierung) kann ein E-Paper nicht. Eine Menge Menschen glauben, E-Paper seien eine Brückentechnologie. Kann schon sein, aber wohin führt diese Brücke dann?
Problem Nummer zwei: Ja, auf den ersten Blick sieht das schön aus mit den steigenden Auflagen der E-Paper. Es geht konstant nach oben, wie die IWV-Statistiken zeigen:
Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Ut elit tellus, luctus nec ullamcorper mattis, pulvinar dapibus leo.Dumm nur: Diese Umsätze reichen nicht aus, um die sinkenden Erlöse aus dem Print- und Anzeigengeschäft zu kompensieren. Zumal es sich oft nur um Verlagerungen handelt. Eine komplett digital denkende und lebende Generation macht man mit einem PDF eher selten zu zahlenden Neukunden. Gründe hierfür: siehe unter anderem oben.
Ähnlich ist die Situation bei den inzwischen weit verbreiteten Paywall-Angeboten. Sieht auf den ersten Blick so aus, als habe man die Kurve bei den Bezahlangeboten bekommen. Dumm nur: Sieht man genauer hin, stellt man schnell fest, dass die Kunden anscheinend nicht so wirklich viel Grund sehen, diese Angebote dauerhaft zu nutzen. Das ergibt sich aus Zahlen, die eine ganze Reihe von Verlagen selbst ermittelt haben.
Herausgefunden hat man bei der Dateninitiative “Drive” folgendes:
- 90 Prozent der Artikel hinter einer Paywall generieren nie in ihrem digitalen Leben ein Abo.
- 80 Prozent der Artikel hinter einer Paywall werden von “Drive” selbst als Geisterartikel deklariert. Soll heißen: Sie sind zwar da, werden aber kaum beachtet.
- 60 Prozent der Plus-Abos sind quasi One-Month-Stands. Soll heißen, dass sie schon im Verlauf der ersten vier Wochen wieder gekündigt werden.
Tja. Man könnte jetzt viel über die Ursachen philosophieren. Am Ende kommt man zumindest zu der Erkenntnis, dass es sich dabei anscheinend nicht um ein lukratives Angebot handelt. Solche Zahlen sind einigermaßen desaströs. Vor allem angesichts des gerne gebrauchten Arguments, dass es sich bei den Geschichten hinter der Paywall um den echten “Qualitätsjournalismus” handle, für den man eben bezahlen muss. Das scheint ein beträchtlicher Teil der Kundschaft nicht so zu sehen. Das gerne gebrauchte Argument allerdings, die Leute hätten keinen Bock zu zahlen, ist von verblüffender Denkfaulheit, dazu später dann noch mehr.
Der Trend geht weg vom geschlossenen Produkt
Das alles muss nicht alleine mit der Tatsache zu tun haben, dass bedrucktes Papier jetzt nicht mehr so richtig en vogue ist. Was noch dazu kommt: Das geschlossene, linear aufgebaute Produkt, in dem eine Redaktion Nutzung und Inhalt weitgehend vorgibt, ist zunehmend weniger gefragt. Mag sein, dass sich das wieder ändert. Man hört ja inzwischen auch wieder mehr Vinyl, siehe oben. Aber aktuell und bevor der nächste Retro-Trend einsetzt: Die User mögen es personalisiert und flexibel und jederzeit abrufbar.
Ich habe früher gerne Medien und Kommunikation mit der Entwicklung in der Musikbranche verglichen. Nach ein paar Jahren Pause drängt er sich mehr denn je auf. Sieht man von ein paar spielwütigen Irren wie mir ab, dann wird Musik heute nach mehreren Prinzipien genutzt. Sie muss erstens ständig verfügbar sein, zweitens nicht zwingend mit einer Klammer versehen sein (die Playlist ist das neue Album). Und drittens: flexibel abspielbar, App, Desktop, Mobile, Video. Und das alles dann noch möglichst günstig für eine Flatrate.
Und jetzt vergleichen wir mal diese Anforderungen mit dem, wie immer noch viele Medien-Produkte gestaltet sind…Sie merken was?
Das Gemeine daran: Natürlich wäre es einfach, alle Redaktionen zu empfehlen so zu werden wie “Funk”. Nicht zwingend inhaltlich. Dafür aber strategisch: Inhalte so zu machen, dass sie für jede Zielgruppe und für alle Kanäle passend sind. Nicht also immer (beispielsweise) einen Text produzieren, der dann irgendwie auch noch digital verfügbar gemacht wird. Nicht in Kategorien, sondern in Kanälen denken. Manche Sachen gibt es dann eben nur als Podcast. Oder als Video. Oder als Text. Oder als Livestream.
Das ist, ich gebe es zu, graue Theorie. Wenn man nicht gerade ein öffentlich-rechtlicher Sender mit den entsprechenden Mitteln ist, bleibt das für kleine und mittelgroße Unternehmen ein Wunschgedanke. So viel Personal und Infrastruktur ist für sie nicht zu schaffen.
Es kommt vielleicht doch auf die Größe an
Gut möglich also, dass wir in den nächsten Jahren eine Zweiteilung erleben werden. Die einen, die wirklich Großen, die buchstäblich Massenmedien machen. Und die kleinen, spezialisierten, die gehobene, hochwertige Nischenprodukte anbieten, die sich dann auch gut verkaufen lassen.
Zwei willkürlich heraus gegriffene Beispiele für diese Trends: In Bayern sind in den letzten drei Jahren die “Mittelbayerische Zeitung“ in Regensburg und der “Donau-Kurier” in Ingolstadt verkauft worden. Beides solide Tageszeitungen mittlerer Größe aus mittelgroßen Städten. In beiden Fällen war die “Passauer Neue Presse” Käufer, die jetzt wiederum als “Mediengruppe Bayern” zu den größeren Akteuren am Markt gehört und zumindest die Größe dafür hat, überleben zu können.
Man kann es abwarten, bis die nächsten kleinen und mittelgroßen Blätter übernommen werden, von wem auch immer. Sicher ist nur: Mit den Mitteln des mittelständischen Unternehmens hast du keine Chance mehr in einem Markt, in dem die Kunden die Anforderungen stellen, die ihnen Großkonzerne jeden Tag bieten. Size matters, so einfach ist das dann manchmal eben doch.
Der zweite Trend: hochwertige und hochpreisige Fachinformation. In Berlin hat es Sebastian Turner mit Table Media vorgemacht, Häuser wie die FAZ oder die SZ ziehen gerade nach. Bezahlte, hochwertige und spezialisierte Newsletter zeigen übrigens zweierlei: Zum einen, dass es den Bedarf an solchen Informationen gibt und zum anderen, dass Menschen natürlich zahlungsbereit sind, wenn sie ein entsprechendes Angebot bekommen. Womit wir wieder bei E-Paper und Plus-Angeboten sind, siehe oben. Wenn man an das Geld der Leute will, muss das Angebot stimmen. Bei vielen der aktuellen Paywalls haben die Kunden dieses Gefühl nicht. Und nur auf sie, auf die Kunden, kommt es am Ende an. Und wenn man noch so oft bockbeinig betont, dass guter Journalismus eben seinen Preis habe.
Langer Rede kurzer Sinn: Groß und mächtig – oder schnell und wendig. Das sind die Zukunftsmodelle. Der schwergängige mittelgroße Tanker dagegen steht vor dem Untergang.
Der Druck wächst – auch dank KI
Zu alledem kommt spätestens ab dem kommenden Jahr auch noch das Thema KI. Das ist inzwischen weitaus mehr als “nur” Chat GPT. Open AI macht da gerade zumindest aus deren Sicht gesehen wahnsinnig viel richtig. Nicht nur, dass GPT eine zunehmend multimediale Anwendung wird, die weitaus mehr kann als Texte zu generieren. Dazu kommt die Öffnung für Programmierer, so dass künftig theoretisch jeder sein Mini-GPT programmieren kann. Das ist nicht einfach eine Spielerei, sondern wird die KI-Welt so verändern, wie die App-Stores das Smartphone und Tablets (und auch Desktops) prägen. Die Weisheit der Massen wird dafür sorgen, dass es innerhalb kürzester Zeit für alles und jeden eine spezialisierte Anwendung geben dürfte.
Was das für Medien und Kommunikation bedeutet, kann man sich leicht ausrechnen. Schon heute beginnen die Honorare für Texter zu sinken. Das Argument, dass so eine KI bestenfalls mäßige Texte und andere Ergebnisse hervorbringt, wird sich schon bald erledigen. Was für Medien gilt (entweder groß oder klein in einer richtig guten Nische) gilt dann bald auch für Texter, Autoren, Fotografen und auch Filmemacher: Man ist dann entweder sehr dick im Geschäft oder richtig gut in einem kleinen Segment.
Aber, sorry für diese deutlichen Worte: Niemand braucht dann mehr eine Standard-Pressemitteilung, ein Standard-Foto und womöglich nicht mal mehr den Videomacher. Man braucht vermutlich auch kaum mehr die Leute, die solche Produkte heute veredeln. KI kann heute schon den Tontechniker ersetzen und Sounds so machen, dass sich ein Podcast beinahe so anhört, als sei er in einem Profi-Studio aufgenommen. Colourgrading und Foto-Nachbearbeitung? Wird heute schon sehr häufig von KI gemacht, schneller und effizienter und meistens auch besser, als wie das jeder Fotograf hinbekomme (auch hier gilt: die hochspezialisierte Ausnahme bestätigt die Regel).
Dringend gesucht: Talente
Es wird ja inzwischen gefühlt im ganzen Land jeden Tag darüber diskutiert, wie schwer es ist, gute, junge Leute zu bekommen. Über die Lust oder auch Unlust der Generation mag ich hier gar nicht diskutieren, stattdessen verweise ich gerne auf die neue Folge von D25, die sich damit unter anderem beschäftigt. Sicher ist aber, dass diese junge Generation ziemlich hohe Ansprüche an einen Job stellt und aus diversen Gründen ganz gute Karten hat, diese Vorstellungen auch durchzusetzen. Angesichts dessen kann man sich die Frage schon stellen, wie attraktiv so eine durchschnittliche Redaktion oder Agentur für diese anspruchsvolle Klientel wohl ist.
Meine ganz persönliche Erfahrung aus den letzten Jahren: Ich habe immer wieder mal Seminare in der Volo-Ausbildung gemacht. Und ich sage ganz offen, was vermutlich viele in den betroffenen Häusern nur hinter vorgehaltener Hand aussprechen: Ich habe nicht den Eindruck, dass man dort die Allerbesten eines Jahrgangs findet. Wir müssen ja nicht von High-Potentials sprechen, aber dass es in den Branchen einen Talentmangel gibt, würde niemand ernsthaft bestreiten (es sei denn, er muss sich gerade die Welt bei LinkedIn wieder mal rosarot schreiben). Um die Branche wieder lukrativ zu machen, muss man Perspektiven bieten, solche, die über die kommenden Jahre auch mal hinausgehen.
Viel zu tun also in den nächsten Jahren. Andernfalls könnten wir ein paar eher unschöne Entwicklungen sehen.
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