Seit einiger Zeit habe ich mir weitgehend abgewöhnt, zu den sogenannten Branchentreffs zu gehen. Das mag vielleicht keine schlaue Entscheidung sein. Aber ich habe zunehmend festgestellt, dass sich mein Erkenntnisgewinn in Grenzen hält und das eigentlich Schöne lediglich ist, dass man immer wieder mal netten Leuten begegnet. Und es gibt noch etwas, was mich stört: Dort wird viel geredet und wenig zugehört. Warum man gerade im digitalen Zeitalter und von Social Media das Zuhören wieder lernen sollte.
Liebe Media-Days in München,
hoffe das ist ok, wenn ich euren Namen ein wenig eingeenglischt habe. Natürlich heißt ihr normalerweise Medientage, aber inzwischen seit ihr so goddamn f*cking cool, dass ich meine guten alten “Medientage” gar nicht mehr recognizen kann. Alter, ey! Sagenhaft, auch wenn vermutlich Wolf Schneider in the grave rotieren würde, wenn er lesen würde, was Medien-People inzwischen so alles von geben. Aber gut, wer braucht Wolf Schneider, wenn er Medientage hat, die ja inzwischen auch ein cooles “Social Event” geworden sind.
Und deswegen findet man bei den Medientagen auch ein “House of Communication”, eine Veranstaltung über “Podcast Power” und eine übers Publishing. Und irgendwie ist es beinahe folgerichtig, dass die Veranstaltung unter dem Motto “Intelligence” steht. Intelligenz wäre wahrscheinlich zu schnöde gewesen.
Nee, keine Sorge, liebe Leute, ich habe nix Deutschtümelndes an mir und ich weiß natürlich auch, dass es Begriffe gibt, die für immer und ewig eingedeutscht bleiben werden, Laptop und Airbag beispielsweise. Das gibt es in anderen Sprache auch, in den USA sprechen sie beispielsweise mit Wonne von einem “Kindergarten”. Wenn man es dann aber macht wie die Freunde der Medientage, wirkt das ein kleines bisschen aufgeblasen. So, als wolle man sich ein kleines bisschen mehr Wichtigkeit verschaffen.
Das könnte uns allen und vor allem mir natürlich herzlich egal sein. Wenn diese Heißluftschleuderei nicht bezeichnend für ein generelles Problem unserer Branche wäre: Man hört sich selbst so gerne reden und manchmal artet das sogar in Geschwätzigkeit aus. Irgendwie menschlich, auf der anderen Seite paradox in einer Branche, die von Kommunikation und einem sorgsamen Umgang mit Sprache leben sollte.
Hört lieber zu (als dauernd heiße Luft zu verbreiten)
Aber das soll gar nicht das eigentliche Thema dieses Textes sein, wir sind ja hier nicht im Proseminar “Besseres Schreiben”. Stattdessen würde ich gerne ein paar Sachen loswerden, die ausnahmsweise gar nicht so viel mit irgendwelchen praktischen Anwendungen oder mit der Digitalisierung zu tun haben. Das kommt dann vielleicht etwas pathetisch daher. Sorry dafür, ist schon etwas spät hier und um diese Uhrzeit und in meinem Alter darf man sich ein bisschen Pathos schon mal erlauben.
Also, bringen wir es hinter uns (Sie können dieses Text danach gerne verlassen, wenn er Ihnen zu…naja, siehe oben, die Sache mit dem Pathos):
Zuhören wird unterschätzt. Reden wird überschätzt.
Wir reden zu viel, blasen zu viel Heißluft raus. Und hören viel zu wenig zu, was aber in Zeiten wie diesen, in denen ein Umbruch nach dem anderen kommt, eine ganz gute Idee wäre (sehen Sie, haben wir die Kurve zum Thema Digitalisierung über Umwege doch noch bekommen). Dabei hätte das Zuhören einen guten Effekt, nicht nur, was die Höflichkeit angeht. Man nimmt mehr mit. Man wechselt die Perspektiven, schlicht: Man lernt etwas (meistens zumindest).
Im Zeitalter von LinkedIn, Instagram und anderen nur dem Namen nach sozialen Medien spielt das Zuhören keine wirkliche Rolle mehr. Für die meisten sind sie ein Instrument zur Selbstdarstellung, zum Monolog, zur Bestätigung der eigenen Sichtweise. Selbst wenn man inzwischen vor allem bei LinkedIn gerne einen Beitrag mit einem pflichtschuldigen “Und wie seht ihr das” beendet, meistens handelt es sich dabei um eine Kommunikations-Attrappe, die einem ein Kommunikationsberater eingebläut hat, damit es mehr Interaktion gibt, die dann wiederum den Algorithmus befeuert. Echte Kommunikation ist das also nicht, wirkliches Interesse an anderen Menschen und Sichtweise auch nicht.
Social Media haben uns (fälschlicherweise) beigebracht, dass alle unsere Meinungen wichtig sind. Schlimmer noch, dass jeder sie hören und kommentieren muss. (Profi-Tipp: Worte sind Wind. Im schlimmeren Fall heiße Luft). Muss ich meine Empörung wirklich zum Ausdruck bringen, und müssen Sie sie wirklich hören? Das gilt übrigens auch für das andere Ende der Gefühlsskala und überhaupt für alles in den Netzwerken. Man muss nicht alles kommentieren und wenn, dann bitte in angemessener Form. Was im Übrigen auch für die eigenen Beiträge gilt. Ich kenne Accounts, bei denen wird aus jeder noch so nichtigen Nichtigkeit ein eigener Beitrag. Meistens zieht er dann genauso belanglose Kommentare nach sich.
Man sollte wissen, nichts zu wissen
Was solche Formen der Kommunikation auch ausmacht: Die meisten Heißluftgebläse leiden unter mangelnder Impulskontrolle, Unwissenheit und Ignoranz. Das vor allem gegenüber der eigenen Unwissenheit – und die sozialen Medien verstärken diese Schwächen noch. Zu wissen, nichts zu wissen, wäre eigentlich ein hehrer Grundsatz. Im Digital-Zeitalter wird er in ein paradoxes Gegenteil verkehrt: Man weiß immer alles und klopft sich dafür gegenseitig auf die Schulter.
In der Grundstruktur von digitaler Kommunikation, vor allem in sozialen Netzwerken, geht es um das Sprechen, nicht um das Zuhören. Social Media hat jedem eine Stimme gegeben und es dabei fertig gebracht, Gehörgänge zu verstopfen. Mit der Folge, dass es immer lauter, schriller, heißluftiger wird. Anders kann man sich ja nur noch schlecht Gehör verschaffen (ich vermute, das erklärt auch das verbreitete Wortgeklingel).
Natürlich, jeder hat das Recht, sich zu äußern. Es geht nicht darum, das Grundrecht zu bestreiten. Sondern um die Frage des “Wie”. Und ob es unbedingt klug ist, immer zu allem irgendwas sagen zu wollen, und das auch noch möglichst laut und mit Cool-Attüde.
Wie man es besser machen könnte (sogar bei Social Media)
- Lasst die heiße Luft, nutzt keine Sprache, die den Verdacht aufkommen lässt, ihr wollt euch größer machen als ihr seid. Schaut euch jeden Anglizismus an und prüft jedes Wort, ob es ein Buzzword ist (bevor ihr protestiert, das war natürlich Absicht). Angenehmer Nebeneffekt: Ihr setzt euch angenehm von vielen anderen ab. Und was wollt ihr sein? Individuell oder einfach nur kommunikative Copy Cats (jaha…schon wieder Absicht).
- Kleiner ist sympathischer. Ich weiß, in sozialen Netzen und in den sogenannten “Karriere-Netzwerken” muss man vermeintlich immer noch ein bisschen größer, schlauer, wichtiger daherkommen. Das führt zu einem Rattenrennen, an dessen Ende alle ein bisschen genervt sind. Gut, nicht alle. Aber zumindest die, die ein wenig bei Verstand sind und die das Spiel durchschauen. Und das sind doch die, die ihr erreichen wollt, oder?
- Hört zu! Je älter ich werde, desto mehr ertappe ich mich dabei, zu vielem keine ganz klare Meinung zu haben und eine Adhoc-Meinung sowieso nicht. Ich ahne langsam auch, dass es bei nahezu jedem Thema unendlich viele Aspekte geben kann und tue mich mit einem pauschalen “richtig” oder “falsch” immer schwerer. Und was ich auch mitnehme: Je mehr ich anderen zuhöre, desto mehr habe ich das Gefühl, davon profitieren zu können. Umgekehrt werde ich den Eindruck nicht los, dass sich mein Erkenntnisgewinn bei aufgeplusterter Wortschwall-Kommunikation in engen Grenzen hält.
- Was zählt, ist das Ergebnis. Ich weiß nicht, wie viele Texte (Videos, Audios sind mitgemeint) ich in sozialen Netzwerken in den letzten Jahren gelesen habe, nach deren Lektüre ich meinte, es mit unglaublich großartigen Typen oder Unternehmen zu tun zu haben. Irgendwann habe ich dann allerdings gemerkt, dass laut sprechen noch lange nichts mit gut sprechen zu tun hat. Mehr liefern als erwartet wurde und nicht umgekehrt – was jeder gute Kaufmann zum Prinzip seiner Arbeit macht, sollte auch für eure Kommunikation gelten. In Zeiten der digitalen Dampfplauderei erst recht.
Sie haben völlig recht und mein Eindruck ist derselbe. Absolut furchtbar ist dieses panische Fluten von Anglizismen. Es läßt mich völlig zerschlagen zurück. Bin ich es, der nichts versteht oder sind es die anderen, die mit glückseligem Lächeln verkünden können, dass sie intelligent, klug, gebildet sind und somit des englischem mächtig. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Aber es ist so wie meist und überall. Wenn jene den ersten Gedanken zu Ende brachten, scheitert es schon an der Erkenntnis , dass ein zweiter vielleicht vonnöten wäre. Nur zwei kurze Beispiele: Im Fussball wird nun von „Assists“ geschwafelt. Ein Zungenbrecher, der das einfache, klare deutsche Wort „Vorlage“ ersetzt. Warum wird nun dies benutzt, so es doch überhaupt keine Vorteile, sondern nur Nachteile bring? Ich weiß es nicht. Aber, das ist symptomatisch, auch die Redakteure wissen es nicht. Unlängst fragte ich einen bei der Fahrt ins Fussballstadion – er schaute mich weidwund an und erklärte nach kurzem Zögern: das machen doch jetzt alle…. Ein zweites Beispiel. Bei einer kleineren Filmveranstaltung, es wurde ein Dokumentarfilm gezeigt, vielleicht waren 30 Zuschauer anwesend, viele vom Fach. Am Ende gab es eine Filmdiskussion, die Regisseurin fragte, ob es jemanden gäbe, der kein deutsch spräche. Einer meldete sich. Fortan wurde nur noch englisch gebabbelt. Tja, damit waren viele Fragen gestorben, da sich die meisten nicht äußerten um sich mit einer komplizierten Frage auch noch an sich und dann auf englisch zu blamieren. Das ist ein Vorgang, der so nirgendwo auf der Welt stattfinden würde. Diese Art der Selbstverachtung – denn nichts anderes ist ein solcher Umgang mit der Muttersprache, ist Selbstverachtung. Leider führt dies gemäß der Wellenbewegungen kulturellen Daseins der Menschen immer zum heftigen anderen Ausschlag des Pendels. Und irgendwann sind wir wieder beim Faschismus – und an meiner eingangs aufgestellten Behauptung. Der vom ersten und einzigen Gedanken – und sich dabei auch auch noch besonders gescheit dünkend. (Leider ist hier nicht ersichtlich, ob der Kommentar abgeschickt wurde oder nicht)
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