Haben Sie sich heute schon mal richtig gefreut? Oder geärgert? Falls ja, dann verstehen Sie vermutlich auch sehr schnell, warum wir seit vielen Jahren über einen massentauglichen Durchbruch von VR und AR sprechen. Und warum der immer noch nicht in Sicht ist. Und das, obwohl sogar Apple jetzt in diesen Markt einsteigt.
Vor ein paar Jahren habe ich auf der re:publica in Berlin zum ersten Mal die Welt der erweiterten Realität erlebt. Der WDR hatte einen beeindruckenden Stand aufgebaut, an dem man eine virtuelle Tour durch den Kölner Dom machen konnte. Das war spektakulär, technisch perfekt und es fühlte sich…tja, ein bisschen surreal an. Vom ZDF und von Google habe ich zudem zu dieser Zeit zwei zwar billige, aber funktionierende Brillen bekommen, mit denen man ebenfalls ganz simpel via Smartphone beispielsweise als Pilot einer großen Passagiermaschine interaktive Flüge machen und dabei seinen Blickwinkel nach Gusto verändern konnte. Die Kollegen des Schweizer Fernsehens hatten eine eigene Rubrik mit entsprechenden Filmen und auch auf Webseiten größerer deutscher Medien tauchten solche Produktionen auf. Aus heutiger Sicht eine lustige Idee, die entsprechenden Rubriken sind schon lange wieder verschwunden.
Noch drei kleine weitere Geschichten, die auf den ersten Blick kaum einen Zusammenhang haben und beim zweiten Blick dann doch zeigen werden, worauf ich in diesem Text hinaus will.
Geschichte Nummer eins: Vor gut zehn Jahren habe ich mir im Kino gleich ein paar 3D-Filme angeschaut. Nach dem dritten oder vierten fand ich die ganze Sache ein bisschen langweilig und kurz darauf war der Hype um 3D dann auch schon wieder vorbei. Was eine Zeit lang in jedem Dorfkino zu sehen war, ist heute wieder das, was es schon vorher war: eine Veranstaltung für Nerds. Dem ganz großen Rest hat sich nicht so recht erschlossen, was das bringen soll.
Geschichte Nummer zwei: Vor ein paar Jahren kamen die ersten brauchbaren 360-Grad-Kameras auf den Markt. Auch hier entstanden vergleichsweise schnell die ersten eigenen Formate und ganze Rubriken, in denen 360-Grad-Content zu sehen war. Ich gebe gerne zu, dass ich aktuell auch schon meine dritte in Betrieb habe (eine GoPro Max, falls Sie das interessiert). Trotzdem ist sie unter meinen vielen Kameras diejenige, die ich am wenigsten nutze. Einfach deswegen, weil der Mehrwert überschaubar groß ist. Zumal man vergleichsweise viel Aufwand betreiben muss, um sich hinterher die Ergebnisse ansehen zu können.
Geschichte Nummer drei: Im neuen World Trade Center in New York fährt man mit einem Lift bis raus aufs Dach. Das dauert knapp zwei Minuten. In dieser Zeit wird der Fahrstuhl in eine virtuelle Realität verwandelt, man erlebt in dieser Fahrt mit, wie aus einem Ackerland die heutige Metropole wurde. Das ist, mit einem Wort: ATEMBERAUBEND!
Aber: Ich habe noch nie so viel emotionale Aufwallung erlebt, so viele “Ahhs” und “Ohhs” gehört, als in dem Moment, als wir ganz oben Standen, die Jalousien langsam nach oben gingen – und man diesen unfassbar großartigen Blick auf Manhattan hatte. Keine VR, keine Tricksereien, keine Technik, einfach nur: Die großartigste Stadt der Welt in einem unglaublichen Panorama.
Nicht alles, was machbar ist, bringt uns auch was
Man sieht also: Nicht alles, was technisch möglich und ein vermeintlicher Fortschritt ist, bringt uns auch wirklich weiter.
Womit wir dann endlich zum eigentlichen Thema kommen, nämlich der Frage, wie es mit dem Thema VR/AR/Metaverse und dem ganzen Brillenzeugs weitergeht. Das Thema verfolgt uns schon lange und es hat vermutlich in den letzten Jahren kein einziges gegeben, in dem wir nicht von irgendjemanden gehört hätten, dass das Thema jetzt aber wirklich mal vor dem ganz großen Durchbruch stünde. Zwischendrin sind ein paar neue Technologien gekommen und wieder gegangen (siehe oben). Brillen wurden entwickelt und wieder verworfen und irgendwann mal wurde sogar ein ganzes Paralleluniversum als die schöne neue Welt angepriesen (inzwischen ist das allerdings auch nicht mehr so der Fall). Blöd nur, dass die User bisher lieber Kopfhörer und Smartphones kaufen, als sich mit klobigen Brillen rumschlagen, unter denen ihnen womöglich noch kotzübel wird.
Ein weiteres Hindernis: Gerade visuelle Erlebnisse mag man teilen, ebenso akustische. Mit einem Handy und ein paar Airpods ist das heute kein Problem mehr, einfach den entsprechenden Modus wählen und schon können Sie mit jemand anderem den Podcast hören oder das neue Stones-Album. Filme gemeinsam schauen ist schöner als alleine, Serien gemeinsam auf dem Sofa netter als alleine im ICE.
Merken Sie was?
Optik und Akustik ist fast untrennbar verbunden mit – Emotion. Wenn Sie nicht gerade sozial inkompatibel sind, sind Emotionen schöner, wenn man sie teilen kann. Echte Trauer, Ablehnung, Freude, Erotik, Sieg und Liebe werden in der Gegenwart anderer Menschen erlebt. Headsets dagegen machen uns einsam. Schlimmer noch, sie machen uns weniger menschlich. Ganz davon abgesehen, dass Sie natürlich jemandem erzählen können, wie beeindruckend ein VR-Erlebnis war oder wie toll das neue Stones-Album ist. Die Erzählung wird nie das gemeinsame Erlebnis ersetzen.
Nicht mal Apple glaubt wirklich an das Thema
Ja, aber Apple, könnten Sie jetzt einwenden? Ich glaube, dass Apple sehr wohl weiß, dass dieses Ding nie massentauglich sein wird. Weswegen es sich der Konzern ja auch erlauben kann, die Vision Pro in einem absurd hohen Preissegment anzusiedeln. Ein teures, chices und sicher hochwertiges Spielzeug, aber eben nur für Nerds. Sowas wie ein super aufgemotzter Golf GTI. Macht wenig Sinn, ist sauteuer, findet aber ein kleines, zahlungswilliges Publikum.
Ich gebe zu: Ich war (und bin) immer der Meinung, dass Apple ganze Marktsegmente neu erfinden und definieren kann. Hat man gesehen bei Handy, Tablets, Kopfhörern. Würde man aber versuchen, dass man dieses Argument jetzt auch für das Thema Brillen verwendet, würde man einen Denkfehler begehen. Weil Apple gar nicht an Brillen als Massenphänomen denkt, sondern damit erst einmal nur eine Nische belegt (siehe oben). Apple beherrscht davon abgesehen das Audio-Metaversum schon ziemlich gut und ist ebenso gut vertreten beim Thema Bewegtbild.
Und noch etwas kommt dazu: Apple muss die Headset-Kategorie nicht beherrschen, um den Krieg gegen Meta zu gewinnen. Apple muss nur dafür sorgen, dass die Kategorie nicht von Zuckerberg beherrscht wird. Apple kann mühelos den Spielverderber spielen. Hat ja auch schon ganz gut geklappt. Kritiker, die sowohl die Oculus als auch die Vision Pro getestet hatten, schrieben, dass die Displayauflösung so klar sei, dass sie die Displays in der Oculus „wie eine Fliegengittertür“ aussehen lasse. Dies könnte das erste Produkt in der Geschichte sein, dessen Hauptzweck darin besteht, Verbraucher, die es sich nicht leisten können, daran zu erinnern, wie mies die Konkurrenz ist, die sie sich leisten können.
Aber ansonsten? Glaubt ernsthaft jemand, Apple sähe in der Vision Pro einen Markt und eine Bedeutung wie beispielsweise in, sagen wir, den AirPods? Dafür dümpelt der Brillenmarkt viel zu sehr vor sich hin, da ist nicht viel zu holen.
Und schließlich noch ein letztes, weil wir gerade von den AirPods sprechen: Die sind chic, bequem, stylisch, lange nutzbar. Und jetzt denken Sie mal nach, welches dieser Attribute Sie einer dieser Monsterbrillen geben würden.