Heute habe ich die Papiertonne nach draußen gebracht (lesen Sie bitte trotz dieses banalen Einstiegs weiter). Dabei habe ich festgestellt, wie leer sie ist (bitte lesen Sie…siehe oben). Das wiederum liegt daran, dass ich so gut wie kein Papier mehr verbrauche, was wiederum daran liegt, dass ich keine Print-Abos mehr habe. Wenn ich mich so umschaue, dann müssten inzwischen eine ganze Menge Papiertonnen deutlich leerer sein. So wie auch die absoluten Zuschauerzahlen im klassischen TV immer weiter runtergehen. Das alles führt zu der Feststellung, dass von unserer guten, alten Medienwelt nicht mehr allzu viel bleibt.
Die Tage habe ich mich mal durch das abendliche TV-Programm gezappt – und dann zu meiner Frau gesagt: Es kommt wirklich nichts Gescheites mehr in der Kiste. Die Klage ist nicht neu und auch nicht sonderlich originell. Genau genommen ist sie so alt wie das Fernsehen an sich. Neu ist nur: Diesmal stimmte es. Der Nonsens, der an einem ganz normalen Werktag im deutschen TV so gesendet wird, ist schwer auszuhalten.
Am nächsten Tag las ich dann (nicht in der Zeitung, dazu später mehr), dass der neben RTL größte deutsche TV-Konzern in nächster Zeit mal eben 400 Stellen abbauen muss. Das war selbst für die an schlechte Nachrichten gewohnte Belegschaft von ProSiebenSat1 happig. Bevor ich mich dann mit irgendwelchen wirtschaftlichen Kennzahlen oder Quotenquatsch beschäftigte, dachte ich an das Zapping des Abends davor und an das, was bei SAT 1 und Pro 7 so lief. Und wunderte mich nicht so wirklich. Man muss schon schon eine hohe Schmerztoleranz haben, wenn man sich das anschauen will.
Pro 7 ist (zumindest unter den großen Sendern) der einzig verbliebene, dessen durchschnittlicher Zuschauer jünger als 50 ist. Man kann also sagen, dass die Zuschauer gemeinsam mit den Sendern alt geworden sind. Ich habe selber mal in diesem Konzern gearbeitet, lange ist es her. Damals war der durchschnittliche Pro7-Zuschauer so um die Mitte 30. Wenn er inzwischen gut zehn Jahre älter geworden ist, dann zeigt das ein Grundsatzproblem des klassischen TV: Das jüngere Publikum wandert ziemlich konsequent ab. Die dritten Programme der ARD sind mittlerweile reine Rentnerprogramme und das ist nicht einfach so dahingesagt, sondern quotengestützte Realität. Beim Bayerischen Fernsehen beispielsweise ist das Durchschnittsalter inzwischen 67, beim ZDF sind sie auch nicht wesentlich jünger. Und wer all das noch nicht ausreichend findet, kann sich ja mal die Entwicklung der durchschnittlichen Sehdauer des linearen Fernsehens bei jüngeren Zuschauern anschauen.
Um all das zu verklären, muss man nicht mal Medienwissenschaftler sein. Schauen Sie sich Ihren eigenen TV-Konsum an und zählen Sie mal, wie viele Streaming-Dienste Sie abonniert haben. Dann haben sie eine Ahnung, warum das so ist.
Oder das Beispiel (Tages-) Zeitungen: Bei den meisten gehen die Auflagen seit zwei Jahrzehnten nach unten. Selten dramatisch, aber konstant. Jetzt aber soll die Entwicklung an Fahrt aufnehmen: Rund 40 Prozent der Print-Abos stehen nach einer Prognose des Beratungsunternehmens Schickler in den nächsten Jahren im Feuer. Weniger charmant ausgedrückt: Das klassische Publikum stirbt weg, neues ist nicht in Sicht. In der Generation Z noch Leser einer gedruckten Zeitung zu gewinnen, dürfte beinahe aussichtslos sein. Und ob man das Insta-Publikum für ein teures Digital-Abo gewinnen kann, steht in den Sternen.
Das Paradebeispiel Lokales
Dabei gefielen sich viele Tageszeitungsleute über viele Jahre gerne in der Pose der letztendlich Unverzichtbaren. Selbst zu den Zeiten, als es mit der Gattung der gedruckten Zeitung schon abwärts ging, verwiesen sie insbesondere bei den Lokalzeitungen darauf, dass sie und nur sie lokale Informationen bieten könnten. Aber das stimmt eben auch nur noch sehr eingeschränkt. Man muss nicht mal, wie es vor ein paar Jahren schwer angesagt war, digitale Mikro-Lokalangebote nutzen, um sich schlau zu machen. Inzwischen hat jeder Wald- und Wiesenverein seine Webseite, seine Facebook-Präsenz, sein sonstwas. Wenn ich also wissen will, wie ein Kreisklassenspiel ausgegangen ist oder wie die letzte Generalversammlung verlief, muss ich nicht mehr zwingend zur Tageszeitung greifen. Trotzdem machen sie in den meisten Häusern unverdrossen so weiter wie vorher. Wäre man Spötter, könnte man sagen: Jetzt brauchen sie es auch nicht mehr ändern, der Kipp-Punkt ist schon lange überschritten.
Und wie durch einen Zufall flattert heute auch noch eine andere Meldung rein: “Blendle”, vor acht Jahren in Deutschland ambitioniert gestartet als eine Art “Kiosk” für einzelne Texte aus renommierten Medien, gibt sein Geschäft zumindest hierzulande wieder auf. Nach langem Siechtum und immer wieder neuen Versuchen, das Geschäftsmodell anzupassen. Man kann also auch hieraus ableiten: Ein nachhaltiges Geschäftsmodell für Journalismus zu etablieren wird immer problematischer. Das Angebot an Content ist schlichtweg viel zu groß geworden.
Selbst die Wohlmeinenden (wie ich) sind beim besten Willen nicht mehr in der Lage, all das zu lesen, sehen und zu hören, was es am Markt so gibt. Das ist kein Urteil über die Qualität (zumindest nicht pauschal), sondern über die Quantität. Ich weiß nicht, ob Sie das auch kennen: Meine Apps (wie Pocket) mit Leselisten, meine Evernote-Clips, meine Podcast-Apps und meine sonstigen Listen quillen über mit Dingen, die ganz sicher großartig sind. Aber auch mein Tag hat nur 24 Stunden.
Und noch eine Meldung vom heutigen Tag: Die neuen Ergebnisse der Print-MA sind da. Wenn man es kurz zusammenfassen will: Es geht den Printobjekten nicht mehr gut, egal, ob Tageszeitung, Wochenzeitung, Magazin.
Was noch Zukunft hat – und was nicht
Wenn es also zu viel von allem gibt, was machen? Ausprobiert wurde schon viel, wirklich geholfen hat nur wenig. Soll heißen: Vermutlich kommen Medien und Kommunikation um ein paar grundlegende Erkenntnisse und Veränderungen nicht rum.
- Von allem, wirklich allem, was wir bisher kennen, gibt es ein Überangebot. Der ökonomische Wert von “General Interest” geht gegen Null. Man kann also beispielsweise als Tageszeitung oder auch als TV-Sender noch so viel an Layouts und Sendungen herumdoktern, an der grundsätzlichen Malaise ändert sich nichts. Nicht umsonst gibt es schon seit zwei Jahrzehnten keine nennenswerten Neugründungen in diesem Bereich. Ob RTL oder “Augsburger Allgemeine”, sie leben von der Substanz und vom Bestandspublikum. Kann sein, dass das noch eine ganze Zeit gutgeht, aber die Zeitfenster werden sich schließen, weil: braucht halt dann niemand mehr.
- Wer von allem alles für jeden macht, wird über oder lang (eher kurz) untergehen. Eintopf braucht keiner mehr.
- Nicht nur das “alle” ist erledigt, sondern auch das “jeder”. Zielgruppen werden potentiell kleiner und auch die erwarten hochwertiges Material.
- Und weil wir gerade bei diesem Thema sind: Natürlich kann man immer weiter runtersparen, automatisieren, zusammenlegen. Aber mal ehrlich, wer braucht mediokre Massenware?
Was also machen, wenn das alles nicht mehr so funktioniert?
- Kennt euren Markt und euer Thema! Bevor man irgendwas in die Weltgeschichte pustet, muss man erstmal wissen, wer da überhaupt am anderen Ende sitzt. Zielgruppe alle (siehe oben): erledigt. Ebenso wie “viele” oder “die, die sich für xy interessieren”. Geht davon aus, dass es für alle genügend Angebote gibt. Wer also genau soll sich für euer Material interessieren?
- Findet die richtigen Kanäle! Ich werde immer wieder gefragt, warum weder ich noch HYBRID Eins noch D25 auf TikTok zu finden sind. Einfache Antwort: Weil ich und wir nicht glauben, dort die für mich und uns relevanten Leute zu treffen. Bevor wir jetzt darüber debattieren, ob es sich dabei um eine Fehleinschätzung handelt: Hört auf, Geschichten wahllos irgendwo hinzustreuen. Der Mut zum Weglassen und zur Selektion ist im Multi-Super-Channeling-Zeitalter essenziell. By the way: Alles mit Copy und Paste auf möglichst viele Plattformen zu packen, ist noch kein Multi-Channeling und auch keine Strategie.
- Hebt euch ab! More of the same ist kein Geschäftsmodell, Spezialisierung und High-End dagegen schon.
- On demand und personalisiert! Ein großes Problem der bisherigen alten Medien: Sie sind starr, unpersönlich und userunfreundlich. Lineares TV sendet halt nach einem Programmschema, nicht nach den Möglichkeiten der Zuschauer. Eine Zeitung kommt einmal am Tag und wer sich für bestimmte Sachen dort nicht so sehr interessiert, der hat Pech gehabt. Umkehrschluss: Stellt so viel wie möglich on demand zur Verfügung und macht eure Angebote so skalier- und personalisierbar wie möglich.
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