Skeptiker, die alles für überschätzt halten, Tool-Checker, die den Kontext vernachlässigen, und Kassandras, die grundlegende Veränderungen vorhersagen: Die Entwicklungen beim Thema KI und die Reaktionen darauf sind nahezu identisch mit denen, als vor 20 Jahren das kommerzielle Internet kam. Und auch der Ausgang der Geschichte dürfte identisch sein.
Google hat seinen „Bard“ jetzt auch in Deutschland an den Start gebracht. Und man muss sagen: Er ist ein ziemlicher Trottel, der Bard. Lässt sich schnell austricksen und fantasiert, was das Zeug hält. Zumindest in dieser ersten Version. Trotzdem wundert man sich und würde gerne fragen: Hey, Google, mehr habt ihr aktuell nicht drauf beim Thema KI? Im ersten Moment musste ich an Zuckerbergs erste Präsentationen seines Metaversums denken und den sagenhaft schlechten Avatar, den er damals vorstellte. Man sollte vielleicht von Riesenkonzernen nicht erwarten, dass sie immer die Lösung für alles parat haben.
Das wiederum hat natürlich zu einem Spiel geführt, das wir schon mal bei der ersten großen Chat GPT-Welle hatten. Ein Haufen Leute testet das neue Spielzeug, besonders gerne nach einer Frage nach sich selbst (so eine Art KI-Googeln). Dabei kam stellenweise ziemlicher Unsinn raus, was mal wieder zu der Frage führte: Höhöhö, und dieses Zeug soll mal uns Kreativmenschen ersetzen? Kleiner Hinweis: Ich hab es auch gemacht, und mich prächtig amüsiert über den Schmarrn, den der Bard da zusammenfantasiert hatte.
Noch ein Hinweis: Die meisten, die sich daraufhin genüsslich zurücklehnten und auf die Perspektivlosigkeit des Ganzen hinweisen, waren Männer meines Alters (Ü50) und in sehr tradierten Unternehmen beschäftigt (Tageszeitungen beispielsweise). Hey Jungs, mal im Ernst, wird man in unserem Alter automatisch so trostlos?
Man darf also getrost davon ausgehen, dass Google seinen Chatbot schon bald erheblich verbessern wird. Und selbst wenn nicht: Für die Entwicklung des KI-Themas spielt das keine Rolle (schön, wenn man sowas mal über Google sagen kann). Es ist auch völlig wurscht, wie welches Tool heißt und auf welchem Entwicklungsstand es gerade angekommen ist. Sicher ist auch, dass vieles von dem, was jetzt gerade hektisch auf den Markt geworfen und als “KI” bezeichnet wird, wieder verschwinden wird. Alles wie immer also, wenn große Dinge passieren. Denn das, um was es gerade geht, das ist sehr viel größer als ein bisschen Software.
Nach der industriellen Revolution trifft es jetzt die Dienstleistungs-Gesellschaft
Ich bin ja immer zusammengezuckt, wenn irgendwelche Laberbacken etwas von “Revolution” redeten. Mit solchen Begriffen sollte man etwas vorsichtig sein, schon alleine wegen des Abnutzungs-Efffekts. Wenn man jeden Pups zur “Revolution” stilisiert, dann wird das schnell langweilig. Und irgendwann mal hört dir keiner mehr zu. Ich kannte mal einen, der hat andauernd Revolutionen ausgerufen, digitale Revolution, Social-Media-Revolution undsoweiterundsofort. Heute kennt den kein Mensch mehr, auf ernstzunehmende Podien wird er nicht mehr eingeladen, publiziert hat er ewig nichts mehr. Als er unlängst auf irgendeiner seiner Social-Media-Kanäle die “KI-Revolution” ausrief (die er natürlich als erster gesehen hat), hat ihm keiner mehr zugehört.
Ironie der Geschichte: Jetzt wäre der Begriff der Revolution wenigstens halbwegs angebracht. Nennen wir es mal weniger marktschreierisch so: Das Thema KI erwischt uns als Gesellschaft, als eine, die zu einem beträchtlichen Teil aus Dienstleistungen besteht, ganz erheblich. Und damit auch uns, die wir irgendwas mit Medien und Kommunikation machen. Unsere Branche(n) wird das Thema KI schneller und intensiver verändern als alle anderen. Ich vermeide in meinen Texten ja immer gerne den Begriff “Bedrohung”, weil der mindestens so marktschreierisch und platt ist wie die Revolution. Aber dass kaum ein Stein auf dem anderen bleibt, das ist ausgemacht.
Erinnerungen an die Onlinenisierung
Ich entdecke gerade ganz viele Parallelen zu der Zeit, als sich vor 20 Jahren abzeichnete, dass dieses Internet ungefähr alles verändern wird. Damals wie heute ließen sich die Leute und ihre Reaktionen in drei Gruppen einteilen:
?? Die “Das wird alles überschätzt”-Fraktion: Siehe auch oben. Schaute sich das alles mal an, stellte dann fest, dass das nix taugt und dass man sowas auch nicht braucht. War damals wie heute insbesondere bei Tageszeitungen und klassischen PR-Agenturen weit verbreitet.
?? Die Tool-Checker: Diejenigen, die wie ein Schwamm alle möglichen Tools aufsaugen und mitnehmen wollen. Oft anzutreffen bei Seminaren. Nehmen alles mit, schreiben brav auf, vergessen dabei aber den strategischen Kontext und das Big Picture. Und sie unterschätzen, wie schnell sich die Dinge weiterentwickeln und die hübsche Toolsammlung wieder wertlos geworden ist.
?? Die Kassandras: Stimmt eigentlich gar nicht, diese Bezeichnung. Sie werden nur gerne von den Anderen als solche tituliert, weil sie darauf hinweisen, dass es eben nicht nur bei ein paar neuen Tools bleiben wird, sondern grundlegende Veränderungen bevorstehen. Und dass da der eine oder andere auf der Strecke bleiben wird.
Ich muss, Sie ahnen es, mich immer wieder in Gruppe 3 einordnen, auch wenn ich den Kassandra-Begriff allmählich nicht mehr hören kann. Obwohl, wenn ich mir den aktuellen Zustand etlicher Tageszeitungen, die damals alles Digitale doof fanden, so anschaue, dann kann ich über einen solchen Begriff nur müde lächeln.
Schauen wir also mal, was als nächstes kommt. Gehen wir erst einmal davon aus, dass die erste Stufe der Medien-Digitalisierung weitgehend abgeschlossen ist. Was man übrigens prima daran erkennt, dass die Fraktionen 1 und 2 sich schon wieder sehr entspannt zurücklehnen. Nur, dass sie jetzt darauf verweisen, in den letzten Jahren irre viel vorwärts gebracht zu haben. Meistens meinen sie damit Apps und Paywalls.
Jetzt also geht es weiter. Mit dem Thema KI, quasi das neue Internet. Schneller, radikaler, gewaltiger als alles, was wir bisher gesehen haben. Dazu muss man ein paar Sachen grundsätzlich festhalten.
Was KI alles ändert
? Schneller als jedes Hirn: Könnten Sie mal eben bitte ausrechnen, wie viel 3876,99 x 376,98 ist? Falls Sie es im Kopf hinbringen, großartig, mein voller Respekt. Ebenfalls nochmal viel Respekt, wenn Sie noch die gute, alte schriftliche Multiplikation beherrschen und auf ein richtiges Ergebnis gekommen sind. Nur: Wirklich Sinn macht es keinen, wenn Sie sich jetzt ernsthaft abgemüht haben. Sie werden nie so schnell und präzise wie ein Taschenrechner sein und ein gutes Smartphone gibt Ihnen die Antwort sogar, wenn Sie die Aufgabe nicht aufschreiben, sondern nur fragen: Wie viel ist…?
Wie absurd ist es also demnach, wenn Sie selbst etwas versuchen, was jede Billig-Maschine besser kann? Ja, es schadet nicht, wenn Sie die Grundlagen der Mathematik beherrschen, aber alles in allem verlieren Sie gegen die Maschine. Trösten Sie sich: Schachgroßmeister verlieren gegen Computer. Ihre nächste Urlaubsreise mit dem Flugzeug macht nicht der Pilot, sondern eine Maschine. Der Pilot startet und landet noch selbst, ansonsten überwacht er die Maschine. Finden Sie gruselig? Wird demnächst aber auch in Ihrem Auto so sein. Schon heute halten neue Autos die Spur, den Abstand, die Geschwindigkeit. Sie sind, sehen Sie es bitte ein, schneller und zuverlässiger als Sie und ich. Das, was Maschinen bei klassischer “Handarbeit” schon lange sind, erreicht nun auch die Kopfarbeit: Sie bedienen die Maschine, Sie überwachen sie, ggf. korrigieren Sie. Aber ansonsten: Ein beträchtlicher Teil Ihrer Arbeit wird sich ändern oder gleich überflüssig.
? Routinierter als jeder Routinier: Mit Routine lässt sich auch in unseren Jobs viel erledigen. Ich mache meine Jobs jetzt schon ein paar Tage und ja: Es gibt Dinge, die erledige ich ohne großes Nachdenken. Stattdessen reine Routine. So routiniert wie eine Maschine werde ich dennoch nie sein. Nebeneffekt: Die Maschine beklagt sich nicht über Langeweile, wenn sie Routine macht (ich dagegen schon).
? Größer als jeder Gigant: Vor ein paar Jahren gab es mal den schönen Begriff “Big Data”. Wenn man so will, dann waren das schon die ersten Vorboten des KI-Themas. Weil man damals erkannt hat, was sich aus riesigen Datenmengen alles herauslesen und ableiten lässt. Kein noch so gigantisches Hirn wäre in der Lage dazu. Schaut man sich heute KI an, dann ist das Big Data im Quadrat und die Grundlage für alle GPTs und Midjourneys dieser Welt.
Was das für Medien und Kommunikation heißt
Siehe oben: Noch sind viele Tools ziemlich doof. Wenn man nochmal den Vergleich mit dem Netz vor 20 Jahren bemühen will, dann sind wir gerade im Zeitalter der knatternden Modems, der hässlichen Webseiten mit blinkenden GIFs und 47 Navigationspunkten. Solche Seiten, von denen man sich nicht vorstellen konnte, wie auf ihnen jemals sowas wie vernünftiger Journalismus und andere attraktive Angebote stattfinden könnten. Ich gebe natürlich auch keine präzise Prophezeiung ab, wann sich das ändern wird. Nur, dass sich das ändert, das ist sicher (persönlich glaube ich: schneller als wir meinen).
Wir haben es dann immer noch nicht mit Maschinen zu tun, die “Intelligenz” im eigentlichen Wortsinn in sich tragen. Ein Taschenrechner ist ja auch nicht intelligent. Aber wir haben plötzlich Hochleistungs-Maschinen zur Verfügung.
Und hey, mal im Ernst: Wenn eine Maschine Flugzeuge fliegen und Beethovens 10. komponieren kann – glaubt ihr dann im Ernst daran, dass eure Fähigkeit, einen hübschen Bericht für die Tageszeitung zu schreiben oder eine Pressemitteilung, noch wirklich ein Kriterium für einen guten Job ist?
Die Lücke wird größer – diesmal zu groß
Womit wir dann wieder bei den schon erwähnten Unternehmen der Kategorie “Tageszeitung” und “PR-Agentur” der etablierten Geschäftsmodelle wären.
Eine Zeitung, die aus einem eher beliebigen Querschnitt der Welt und ein paar mäßigen Seiten Lokalteil mit handgeschriebenen Polizei-, Sport- und Versammlungsberichten besteht?
Eine PR-Agentur, deren Geschäftsmodell auf dem Verfassen von Pressemitteilungen fußt?
Euer Ernst?
Zu teuer, zu ineffizient, zu wenig Notwendigkeit dafür. Und bitte, bevor ihr jetzt “Kassandra” ruft: Schon mal einen gut geprompteten Text bei Neuroflash gelesen? Ein gutes Bild bei Midjourney gesehen?
Es gibt KI, die macht inzwischen ganzen Powerpoint-Präsentationen in drei Minuten. Eine KI fasst die Inhalte von Meetings zusammen, eine andere imitiert deine Stimme und schließlich kannst du dich sogar selbst mit einem digitalen Zwilling ausstatten (wie wir in einer der letzten D25-Folgen besprochen haben). Kurzum: Medien, Dienstleistungen, Kommunikation, all das wird KI bald so gut machen, dass wir uns eine simple Frage stellen müssen: Was machen dann eigentlich wir?
Ich hätte da ja ein paar Ideen. Denken Sie an das Beispiel mit den Piloten, wir werden lernen, die Maschinen zu bedienen, sie zu füttern, sie anstatt uns fliegen zu lassen. Und weil diese Maschinen ja nicht wirklich intelligent sind: Wir bekommen die Möglichkeit, uns selbst wieder auf echte Kreativität zu konzentrieren.
Dazu müssten allerdings zwei Voraussetzungen erfüllt sein.
Man müsste, erstens, wirklich kreativ sein. Das, was ich in vielen der oben angeführten Agentur-Zeitungs-Sonstwas erlebe, ist soweit von Kreativität entfernt, dass man das den Produkten auch ansieht.
Und, zweitens: Man müsste Geschäftsmodelle überarbeiten und die Technik-Lücke der vergangenen 20 Jahre schließen. Aber wie das so ist, wenn man sich über lange Zeit nicht wirklich um sich selbst kümmert: Irgendwann wird diese Lücke zu groß, um sie mal eben schließen zu können.
Macht euch also mal nicht zu lustig über die Fantasie-Texte von Bard, über KI-Bilder von Menschen mit drei oder sechs Fingern an jeder Hand. Und glaubt ja nicht, es würde reichen, mal eben ein paar Tools zu checken.
Die Party (um das blöde Wort von der Revolution auch im letzten Satz konsequent zu vermeiden) geht gerade erst los.