Ab und zu, wenn ich neue Sachen ausprobiere (und das sind gerade mal wieder sehr viele), dann denke ich mir: Wahnsinn, wie Entwicklungen sich gelegentlich überschlagen. Dann denke ich wieder daran, dass ich noch vor 12 Monaten in meinem Alltag fast alles manuell gemacht habe – und wie heute KI jeden Tag etwas mehr in meine Arbeit drängt. Zukunft eben.
Dann denke ich mir auch, wie man nur so verbohrt sein kann und solche Entwicklungen nicht mit zumindest halboffenen Armen begrüßen kann. Weil die letzten zwei Jahrzehnte auch gezeigt haben, was passiert, wenn man sich mit einem bräsigen “Weiter so” begnügt.
In diesen Tagen hat die Unternehmensberatung Schickler etwas gemacht, was für sie und ihre bevorzugte Branche eher ungewöhnlich ist. Allerdings auch etwas, das bei einem nicht gerade kleinen Kreis von Menschen, die diese Branche gut kennen, Erstaunen auslöst – und die Frage: Warum erst jetzt?
Schickler ist eine Groß-Beratung, die vermutlich seit Dekaden nahezu jedem deutschen Zeitungsverlag ins Ohr flüstert. Bei Publikationen von Schickler habe ich mich immer gewundert, wie sie immer selbst bei problematischen Situationen diesen speziellen Dreh gefunden haben: Die Verlage sind gut aufgestellt, die bekommen das hin.
Gut, muss man auf der anderen Seite ja auch verstehen: Niemand will einen Berater, der dir sagt, dass die Lage ganz schön ernst ist. Seien wir ehrlich zu uns selbst, das ist nur zu menschlich. Wenn wir zu einem Arzt gehen, wollen wir auch nicht hören, wie schlecht es um uns steht. Stattdessen sind wir gerne bereit, einem ärztlichen Rat zu folgen, der uns noch besser, fitter und gesünder macht. Bei Beratern ist das nicht anders. Sag dem Kunden nicht, was er schlecht macht. Sag ihm, wie er noch besser werden kann. Jetzt und in Zukunft.
So gesehen haben sie bei Schickler anscheinend über die Jahre einen guten Job gemacht. Umso erstaunlicher, dass sie dort jetzt (um im Bild zu bleiben) dem Patienten eine erschütternde Diagnose stellen: Könnte sein, dass es euch schlechter geht, als ihr dachtet. Und dass es bald noch schlechter werden wird.
Konkret haben sie folgendes festgestellt:
- Die Altersstruktur der Print-Abonnenten führt zu einem Risiko des Verlustes von 40 Prozent der Abonnements.
- Bisherige Gegenmaßnahmen wie Preissteigerungen und Umfangsreduktionen verschärfen das Problem.
- In den nächsten Jahren werden verstärkt Rückgänge im Print-Geschäft erwartet, während das Digitalgeschäft größere Gewinne erzielen muss, um das Zeitungsgeschäft aufrechtzuerhalten.
Das ist insofern bemerkenswert, weil Schickler auch noch anderes feststellt: Bisher war der Tageszeitungsmarkt geprägt von einer trägen, langsamen Abwärtsbewegung. Eine, die eine trügerische Sicherheit bei vielen Verlagen erzeugt hat: Es ging uns schon mal besser, aber bis der Punkt kommt, an dem es kritisch wird – da ist noch sehr lange hin. Schickler wäre übrigens nicht Schickler, wenn nicht am Ende der Diagnose stehen würde, dass man dennoch eine gute Chance habe, das irgendwie noch hinzubiegen, aber selbstverständlich nur mit Schickler-Hilfe.
Wer gewarnt hat, galt schnell als Kassandra
Mich hat das alles auf der einen Seite verwundert – und auf der anderen Seite nicht. Ich hatte früher verhältnismäßig viel mit Verlagen zu tun, war immer wieder auch bei denen im Haus. Und staunte dann. Weil dieses Argument des langsamen, aber nicht lebensbedrohlichen Erodierens des Kerngeschäfts weit verbreitet war. Mein Lieblingsbild war damals immer das eines Krokodils. Das verbeißt sich erst in seine Beute, um es dann in einer schnellen, überraschenden Rollenbewegung nach unten zu ziehen (sorry, wenn das gerade etwas martialisch ist). “Death Roll” nennt sich das – und ich fand, besser kann man diese Situation leider nicht beschreiben. Aus heutiger Sicht, siehe oben, ahne ich, dass es nicht so rasend klug von mir war, dieses Bild in einem Verlagshaus zu verwenden, weil Arzt und gute Nachrichten und so…man steht dann schnell als Kassandra da.
Anyway, die letzten Jahre liefen erwartbar: Viele Verlage dröppelten weiter vor sich hin, die Verluste waren überschaubar, man redete irgendwas von E-Paper und Paid Content, die größeren kauften ein, die kleineren gaben auf. Aber alles in allem kam kaum jemand auf die Idee, den deutschen Verlagen eine richtiggehende Krise zu bescheinigen. Und diejenigen, die ebenfalls der Theorie von der “Death Roll” nachhingen (da war ich ja keineswegs der Einzige), wurden gerne mal abgetan als Menschen, die ein ganzes Geschäftsmodell darauf aufbauten, die Verlage runterzuschreiben. Bevor Sie lachen: doch wirklich, ich habe das selber über mich auch gelesen und nicht nur einmal.
Schicklers Analyse der Zukunft ist ziemlich brutal
Kommen wir wieder zurück zu Schickler, deren Analyse in freundliche Worte gekleidet ziemlich brutal ist. Sie sagt nämlich nichts anderes, als dass viele Verlage in den letzten Jahren mit einer erstaunlichen Einfallslosigkeit auf die Entwicklungen reagiert haben: Preiserhöhungen bei gleichzeitiger Kosteneinsparung durch reduzierte Umfänge und Inhalte. Man macht ein Produkt teurer und reduziert gleichzeitig die verkaufte Menge, das kennt man ja beispielsweise aus der Lebensmittelbranche.
Allerdings weiß man leider halt auch: Das kann man schon mal machen, aber irgendwann ist die rote Linie überschritten. Viele Verlage sind an diesem Punkt angekommen. Meine Heimatzeitung hier beispielsweise hat an normalen Werktagen im Schnitt 24 bis 28 Seiten und würde mich im Jahr dennoch schlanke 600 Euro kosten. Zum Vergleich: Zu meinen lange zurückliegenden Tageszeitungs-Zeiten kamen Ausgaben mit 24 Seiten bestenfalls an einem Montag mitten in den Sommerferien in Betracht, wenn wirklich überhaupt gar nichts mehr los war.
Nüchtern betrachtet: Wenn du irgendwann mal ein hochpreisiges Produkt machst, muss das Produkt dem Preis entsprechen. Und auch, wenn sie sich bei Branchentreffen gerne mal sechs oder sieben “Awards” hinterherwerfen, muss man doch festhalten: High-End-Produkte sind die wenigsten der deutschen Regionalzeitungen.
Warum diese lange Geschichte über Zeitungen, wenn dieser Newsletter sich doch eigentlich mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt? Weil die Geschichte der Tageszeitungen exemplarisch dafür ist, was digitale Disruption ausmacht. Wie unaufhaltsam sie ist, wie sie ganze Geschäftsmodelle zerlegt. Und ja, auch das: wie weit verbreitet menschliches und unternehmerisches Vermeidungsverhalten ist und es mutmaßlich auch immer bleiben wird. Man zögert, zaudert, beruhigt sich selbst – bis es dann irgendwann zu spät ist.
Die ganze Geschichte hat auch noch einen anderen Aspekt. Einen, aus dem sich eine ganze Menge mitnehmen lässt, wenn wir aktuell mal wieder von digitalen Umbrüchen reden (und das wird vermutlich auch für die nächsten 25 Jahre der Fall sein). Ein paar kleine Lektionen zum Mitschreiben und Anwenden, wenn die nächsten großen Dinge passieren. Und sie werden passieren, verlassen Sie sich darauf.
- Im Sand sind Köpfe nicht gut aufgehoben. Nur, weil man etwas nicht will, heißt das nicht, dass es nicht dennoch passiert. Nur weil etwas früher und dann lange Zeit danach immer noch funktioniert hat, bedeutet das nicht, dass es weiter funktionieren wird. Im Gegenteil, man ist gut beraten, wenn man sich bei allem, was man macht, von vornherein darüber im Klaren ist: Es gibt eine überschaubare Halbwertszeit.
- Wir stehen immer noch erst am Anfang der Digitalisierung. Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie sich mal den Weg an, den wir bisher zurückgelegt haben. Genau daran scheitern ja beispielsweise Verlage in schöner Regelmäßigkeit. Viel zu oft glauben sie, das Internet als solches sei die Endstufe dieser Transformation. Dabei werden wir uns spätestens in 10 Jahren über dieses Steinzeit-Web amüsieren. Ein Web, in dem man auf sperrigen Seiten irgendwas mühsam zusammensuchen muss. Genau genommen also geht die ganze Party jetzt erst richtig los.
- Wir werden auch das kommende Vierteljahrhundert mit der Gewissheit leben müssen zu wissen, dass wir nichts wissen. Daraus resultiert: Flexibilität und Schnelligkeit sind die Kernpunkte der digitalen Transformation.
- Digitalisierung macht alles schneller und ungewiss. Dass Schnelligkeit und Flexibilität an sich Werte sind, wird sich auch in den kommenden zwei Dekaden nicht ändern.
Und das schönste daran: Das alles lässt sich schnell zu Konsequenzen für die Zukunft umsetzen. Man braucht nicht mal Schickler dazu.
Podcast D25
Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) ist ein Thema, das sowohl die Technologie-Industrie als auch die Gesellschaft als Ganzes in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entscheidend prägen wird. In der neuesten Episode des D25-Podcasts steht dieses Thema erneut im Fokus, und Professor Iris Lorscheid von der University of Europe for Applied Sciences in Hamburg gibt Einblicke in die Entwicklungen und Perspektiven.
Iris kommt zu einem simplen wie eindeutigen Fazit: „Erkennung war gestern und Generierung ist heute. Und hier sehen wir tatsächlich intelligentes Verhalten, was sehr beeindruckend ist und für uns alle jetzt eben auch mit Chat-GPT erlebbar war.“
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Und natürlich überall da, wo es gute Podcasts gibt.