Vor vielen, vielen Jahren hatte ich einen Chef, der sagte gerne: Das ist meine Meinung und auch richtig. Das, was der knorrige, alte Mann damals gerne in Redaktionskonferenzen vor sich hin brummelte, das war erkennbar nicht ernst gemeint (genauer gesagt zitierte er damit lediglich den Verfasser eines Leserbriefes). Heute wäre ich mir bei vielen, die einen solchen Satz verwenden würden, nicht mehr sicher, ob er ironisch gemeint ist.
Kann es sein, dass sich im Journalismus die Lust am Belehren breitmacht? Der Autor als Oberlehrer und Richter und richtig und falsch, so in der Richtung? Man muss mit gefühlten Wahrheiten zwar immer vorsichtig sein, aber wenn dann auch noch empirische Anhaltspunkte dazu kommen…
Die Tage beispielsweise kam eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung in Umlauf. Sie beschäftigte sich mit den öffentlich-rechtlichen Jugendfunkern von (wie originell) “Funk” und wollte eigentlich darstellen, dass dort eine Art “New Journalism” betrieben wird. Viel interessanter war dann aber ein Thema, das ursprünglich nur ein Randpunkt war: Die Jugend-Programme von ARD und ZDF schildern eine sehr, sehr verengte Welt. Sie konstruiert eine Realität (schreibe nicht ich, sondern die Studie).
Das ist auf Dauer mehr als eine politische Angelegenheit, mehr als eine Sache von Trends und Zeitgeist. Stattdessen ist das eine Geschichte, die für Journalismus und Gesellschaft gleichermaßen gefährlich werden wird. Klingt jetzt so ein bisschen dramatisch und pathetisch, ich weiß. Damit es nicht bei einer politiker- und oberlehrerhaften Platitüde bleibt, erkläre ich es mal etwas detaillierter, was ich meine.
Eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Auftrag gegebene Umfrage aus dem Jahr 2023 zeigt, dass 70 Prozent der Befragten politische Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Medien wie ARD und ZDF für glaubwürdig erachten. Im Jahresvergleich ist ersichtlich, dass dieser Anteil geringer geworden ist, die Befragten also seit 2019 politische Nachrichten in öffentlich-rechtlichen Medien immer weniger Glaubwürdigkeit schenken.
Natürlich ist das, wie alle Zahlen, interpretierbar. Man könnte sagen: wow, über zwei Drittel halten die öffentlich-rechtlichen und mutmaßlich auch alle anderen klassisch-etablierten Medien für glaubwürdig. Oder man sagt: upps, rund ein Drittel eher für unglaubwürdig. Je nach Sichtweise also ein gutes oder eher nicht so gutes Ergebnis. Ganz egal, welcher Glaubensrichtung Sie zuneigen, interessant ist vor allem eine Frage: Warum denkt dieses knappe Drittel, Medien zumindest nur eingeschränkt glauben zu können? Alles Querdenker und andere Merkwürdigkeiten?
Und damit kommen wir zur Otto-Brenner-Stiftung. Für letztere wiederum hat Prof. Janis Brinkmann eine interessante Studie vorgelegt. Sie beschäftigt sich mit Funk, Sie wissen schon: öffentlich-rechtlicher Rundfunk für junge Menschen und Berufsjugendliche, zumindest so, wie man sich bei ARD und ZDF die jungen Leute heutzutage vorstellt. Brinkmann untersuchte vor allem die Themen, mit denen sich die Funker beschäftigen. Das Ergebnis: ebenso frappierend wie wenig überraschend zugleich (zumindest dann, wenn man ab und an mal in das Funk-Programm reinschaut).
Kurz zusammengefasst (und selbstverständlich komplett unzulässig verkürzt): Funk macht Programme überwiegend für eine bestimmte Klientel mit einem sehr begrenzten Spektrum und für Menschen mit einem ziemlich gefestigten Weltbild. Das ist, damit keine Zweifel aufkommen, nicht wegen des Weltbildes problematisch. Sondern weil das sinnbildlich dafür steht, was man von Journalisten schon lange ahnt und man es hier mehr oder weniger deutlich bestätigt bekommt: ein erheblicher Teil von in diesem Fall eher jungen Journalisten hängt bestimmten politischen Denkmustern, Strömungen und Weltbildern nach.
Kleiner Einschub, nochmal: Das wäre genauso problematisch, wenn diese Einseitigkeit in die entgegengesetzte Richtung ginge. Problematisch ist das Ungleichgewicht als solches.
Ich mach mir die Welt…
Darunter leiden nicht nur die öffentlich-rechtlichen, sondern alle, die sich irgendwie dem bisherigen journalistischen Standards verpflichtet sehen
Brinkmann attestiert den Funkern auch noch anderes: dass sie sich häufig in einem Genre bewegen, das sich mit “New Journalism” gnädig umschreiben lässt (nicht jeder der Funker ist ein potenzieller Tom Wolfe; genauer hingesehen würde ich sogar sagen: keiner von denen). Dieser neue Journalismus ist einer, der bewusst ein paar der Grundregeln des klassischen außer Kraft setzen will. Stattdessen setzt er auf radikale Subjektivität, eigenes Erleben, auf das Erzählen aus der Ich-Perspektive. Das darf man schon machen, aber die Ergebnisse, die Brinkmann vorlegt, bringen das ganze Problem in zwei Worten auf den Punkt: „konstruierte Wirklichkeit“.
Konstruiert (und damit potenziell unjournalistisch) sind solche Wirklichkeiten nicht nur, weil die hippen Jung-Selbstdarsteller ihr eigenes Erleben vor der Kamera inszenieren. Sondern vor allem deswegen, weil sie nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit abbilden. Brinkmann hält fest: Vor allem wendet “Funk” sich Geschichten aus der Großstadt zu, die im Westen der Republik spielen. Das Ausland, das flache Land und der Osten sind deutlich unterrepräsentiert.
Andersrum formuliert: Westdeutsche Großstadt-Nachwuchsjournalisten machen Geschichten für urbanen West-Nachwuchs. Das ist, nebenbei bemerkt, eine ziemlich merkwürdige Definition eines öffentlich-rechtlichen Auftrags, der jedes Jahr mit rund 45 Millionen Kosten zu Buche schlägt.
Wenn Menschen sich unverstanden fühlen
Kleiner Schlenker zurück: Vor Jahresfrist sorgte eine (nicht-repräsentative) Umfrage bei den Volontären der ARD für Aufsehen. Gefragt nach ihren politischen Präferenzen, dürfte bei den Grünen lauter Jubel und bei der Union Katzenjammer ausgebrochen sein: 57 Prozent nannten die Grünen als die Partei ihres Herzens in der klassischen Sonntagsfrage, die rot-rot-grüne Kombination brachte es auf sagenhafte Werte jenseits der 90 Prozent.
Auch das ist, natürlich, legitim. Sieht man sich allerdings den “Neuen Journalismus” von Funk an und nimmt man dann noch die “Sonntagsfrage” hinzu, dann ist es kein Wunder, dass sich dem einen oder anderen der Eindruck aufdrängt: Im Journalismus und keineswegs nur im öffentlich-rechtlichen gibt es ein paar eindeutige Tendenzen und Präferenzen.
Das ist gefährlich und wird noch gefährlicher, weil die Jungschaffenden irgendwann mal aus dem Funk-Alter entwachsen und dann in die “großen” Redaktionen nachrücken. Könnte dann also gut sein, dass wir ein eklatantes und größer werdendes Missverhältnis sehen. Nämlich zwischen einer breiten Mehrheit in Deutschland, die immer noch vergleichsweise konservativ wählt – und einem Journalismus, der exakt in die andere Ecke neigt.
Und damit wieder zurück auf Los: Rund ein Drittel der Deutschen hält etablierten Journalismus nicht mehr für glaubwürdig. Damit meinen die Leute (oder zumindest ein beträchtlicher Teil, ein paar Unbelehrbare gibt es ja immer) ganz sicher nicht: die sitzen da und fantasieren sich da irgendwas zusammen. Dieses “nicht glaubwürdig” steht eher als Synonym dafür, dass sie sich nicht mehr repräsentiert fühlen. Der Facharbeiter-Kevin und der gendernde Rundfunk-Torben-Hendrik, das passt nicht zusammen. Muss es auch nicht. Blöd nur, wenn ein paar wenige Torbens und Carlas den Kevins und Mandys sagen, dass ihre Art des Lebens ziemlich daneben ist. Oder, was es nicht besser macht, sich erst gar nicht um Kevin und Mandy kümmern.
Die Fronten verhärten sich
Dazu kommen soziale Netzwerke und ihr alltäglicher Bubble-Irrsinn. Da bin ich zwar leider noch (siehe oben) im Bereich der gefühlten Wahrheiten. Aber nach diesen gefühlte Eindrücken verhärten sich die Fronten gerade immer mehr, quasi analog zum Verlust der Glaubwürdigkeit der (öffentlich-rechtlichen) Medien. Egal, ob Twitter, das in den letzten Monaten zur echten Shitshow geworden ist, oder sogar LinkedIn.
Selbst in der Schwachmaten-Pinnwand LinkedIn (den Begriff habe ich mir von Stuckradt-Barre geklaut) kommt es immer mehr zu erbitterten Auseinandersetzungen. Dabei war das bis vor wenigen Monaten noch ein Platz, in dem man Höflichkeiten, Peinlichkeiten und Visitenkarten austauschte. Heute erlebe ich dort immer wieder das Reflexhafte kritisieren und eine zunehmende Verflachung der Argumentationen. Social Media eben, der Platz, in dem Differenzierung immer weniger stattfindet.
Der Eine heißt den Andern dumm, am End‘ weiß keiner nix. (Das Hobellied, 1834, Österreich). Wie es ist, wenn es erst einmal soweit ist, sieht man seit Jahren in den USA. Soweit ist es bei uns nicht, aber das kann und wird sich ändern. Unser Trump heißt AfD und wenn die sich dort nicht gerade völlig vertrottelt anstellen (worauf man ja immer hoffen kann), werden wir irgendwann mal sehen, wie sich die Braunblauen auch auf Bundesebene über die 20-Prozent-Marke bewegen. Protest kann ein großer Antrieb sein, sich gedemütigt und zurückgelassen fühlen auch.
Was dabei verloren geht, wenn Torben und Carla dem Rest der Welt ihre Weltsicht aufdrücken? Das, was der immer empfehlenswerte Autor Wolf Lotter unlängst in einem Essay so beschrieben hat:
“Der Glaube bewahrt vor besserem Wissen, vor der Realität. Solche Kollektive denken nach innen, orientieren sich an den Worten der Führung, verhalten sich also eher wie Funktionäre als jene Freidenker, die sie so gerne vorgeben zu sein. Es ist ein Klima, das Opportunismus und Establishment fördert. Das Volk? Die Leser? Irrelevant. Laien, die erzogen werden müssen.“
Dabei müssten Medien und Kommunikation heute, im digitalen Zeitalter, ganz anders aussehen. Sie müssten den Dialog suchen, statt Gewissheiten zu postulieren, sich auf offene Fragen einlassen, anstatt nicht variable Antworten zu formulieren.
Nochmal Wolf Lotter:
“ Wir schreiben keine Gebrauchsanweisungen für das Leben anderer Leute, wir unterstützen sie mit einer Dienstleistung, mit Informationen, Hinweisen, Einwenden, Fragen und zuweilen auch dem Versuch einer Antwort dabei, das selbst hinzukriegen. Wir sind keine Missionare, wir sind Dienstleister, deren Service in einer turbulenten Welt ziemlich wichtig ist, für die Demokratie, Freiheit und Zivilgesellschaft. Das ist ein Job für Erwachsene. Erwachsene sind Leute (m/w/d), die sich nicht einbilden, Eier zu brauchen, sondern welche haben. Die keine Angst haben, was der Flur sagt, aber Respekt vor dem, was „die Leute da draußen“ denken. Das ist eine ziemliche Zeitenwende für die meisten Redaktionen.”
Wäre nicht schlecht, wenn man diese Sätze in vielen Redaktionen an die Tür nageln würde. Bei “Funk” wäre das mal ein Anfang.
Podcast D25
Fachkräftemangel – den Begriff kennen wir alle. Hat womöglich auch damit zu tun, dass für viele junge Leute handwerkliche Berufe nicht als sonderlich attraktiv gelten. Das muss aber nicht so sein. Wie es besser geht und was Digitalisierung damit zu tun hat, erzählt uns Lucas Althammer in der neuen Folge von D25.
Anhören:
https://open.spotify.com/episode/0OFHV8dsC0XqAmKia5Xvkx?si=9efc19e829fa4e41
Und natürlich überall da, wo es gute Podcasts gibt.