Es war vor ungefähr 20 Jahren, da betrat ein Kollege mein damaliges Büro. Er stellte mir eine Frage, von der damals weder er noch ich ahnen konnten, dass wir uns beide im Jahr 2023 noch an sie erinnern können: Kennst du eigentlich Google? Da redeten wir, ohne es zu wissen, schon über den Medienwandel.
Das war, Sie ahnen es, zu einer Zeit, als wir noch weit entfernt waren von Begriffen wie „googeln“.Aber zumindest konnte man auf den ersten Blick sehen, dass hier ein echter Gamechanger auf den Plan tritt. Minimalistisch, schnell, mit weitaus besseren Ergebnissen als das, was man damals „Suchmaschinen“ oder „Portale“ nannte. Google tat das, was es machen sollte. Nur viel,viel schneller und besser als alle anderen.
Der Rest ist Geschichte. Die meisten anderen Mitbewohner des Netzes erkannten schnell die Vorteile des googelns. Google wurde schnell zum Standard der Suche im Netz und später für einiges andere mehr auch noch. Für alle, die irgendwas mit Medien und Kommunikation zu tun hatten, änderte das ebenfalls alles. Weil mit Google auch der Zugang zu Informationen im Netz ein anderer wurde. Plötzlich war eine Maschine der Gatekeeper – und nicht mehr die eigene Redaktion, die Webseite. Die Diskussionen darüber dauerten viele Jahre und endeten dann irgendwann in einer deutschen Merkwürdigkeit namens „Leistungsschutzrecht“. Keine sehr originelle Antwort auf den Medienwandel.
Ohne Tech-Know-how keine Medien mehr
Kurz gesagt: Auf einmal mussten Medienmenschen noch ein paar andere Aspekte ihrer Arbeit bedenken, wenn sie ihr Publikum erreichen wollten. SEO beispielsweise, Dinge, die vordergründig mit Journalismus oder PR nicht sehr viel zu tun hatten. Inhaltsmenschen waren und sind gut beraten, das Internet, die Technik dahinter und auch das Publikum neu zu verstehen. Google ist lediglich metaphorisch ein Kiosk, seine Funktionsweise allerdings eine ganz andere.
Kleiner Einschub: Dass vor allem die älteren Kollegen Probleme mit diesem Paradigmenwechsel hatten, wunderte mich nicht so sehr. Ich komme aus einer Zeit, in der es Demos und Protestveranstaltungen gegen die Umwandlung des Journalisten zum „Redaktroniker“ gab. Anlass war die Einführung von PC und Ganzseitenumbruch in Redaktionen, was man damals als ziemliche Zumutung empfand. Heute haben wir dafür bestenfalls ein mildes Lächeln übrig.
Vielleicht werden wir uns in 20 Jahren wieder an so einen „Kennst-du-eigentlich“-Moment erinnern. An den Moment, an dem wir zum ersten Mal von ChatGPT gehört haben. Für die meisten von uns dürfte das der Moment gewesen sein, an dem wir zum ersten Mal mit KI konfrontiert worden sind. Nicht als theoretisches Konstrukt, nicht als abstrakte Vorstellung von intelligenten Maschinen, die irgendwann mal schlauer sind als wir selbst (dazu muss ja im Zweifelsfall auch gar nicht so viel gehören). Sondern als ein Tool. Als ein Arbeitsgerät, das wir plötzlich in unsere Jobs integrieren können.
Und das – noch so eine Parallele zum Google-Moment – auch den Zugang unserer verehrten Kundschaft zu unseren Inhalten ändert. Von dem her hat das Thema KI zwei Aspekte:
- Sie wird zum potentiellen Werkzeug für uns und unsere Arbeit.
- Sie wird zur alles bestimmenden Technologie für die Suche nach Inhalten. Der neue Gatekeeper – und wieder wäre es schon alleine aus diesen Gründen gut, wenn wir uns damit auseinandersetzen würden.
Der Zugang ist – das war noch nie anders – so wichtig wie die Qualität der Inhalte. Du konntest schon immer die tollsten Texte schreiben und die großartigsten Sendungen produzieren, das alles hilft dir nichts, wenn deine Zeitung nicht am Kiosk liegt und dein Sender nicht empfangen werden kann. Die Zwischenphase waren Google und ein Stück weit Social Media. Schlechte Auffindbarkeit dort – gleich weniger Traffic.
Jetzt sind wir am nächsten Punkt. An dem, bei dem sich die Nutzungsgewohnheiten wieder massiv ändern. Dahin, dass Nutzer immer weniger irgendwelche endlos lange Linklisten als Antwort auf eine Frage akzeptieren. Stattdessen: wahlweise präzise Antworten auf klare Fragen. Oder, zweitens: gesprochene Antworten. Beide Zugänge haben eines gemeinsam. Sie geben nur noch eine Antwort, statt eine Ansammlung potentieller Quellen als Grundlage für mehrere Antworten auf eine Frage zu geben.
Auf die meisten Fragen gibt es nur noch eine Antwort
In den allermeisten Fällen ist die Motivation für eine Suche eindeutig: Man hat eine Frage, man will eine klare Antwort. Wenn man nicht gerade gezielt auf Recherche nach mehreren Quellen ist, reicht das auch völlig aus. Dieser Idee folgen KI-generierte Antworten und sprachgesteuerte Assistenten wie beispielsweise Amazons Alexa: Eine Frage, eine Antwort (immer in der stillen Hoffnung, dass es sich dabei auch um die richtige handelt).
Das alles wird, auch wenn wir mit dem meisten erst am Anfang stehen, eines ganz sicher bewirken: Wie Verbraucher neue Inhalte entdecken, verändert sich radikal – und damit auch die Art und Weise, wie Medien Beziehungen zu ihrem Publikum aufbauen. Bevor Sie sich jetzt denken, ich sollte aufhören, rumzuschlaumeiern und Ihnen stattdessen lieber sagen, wie sich diese Veränderung konkret auswirken wird: Wenn ich das wüsste, würde ich mein Wissen exklusiv und teuer verkaufen und in den vorgezogenen Ruhestand gehen (irgendwo da, wo es viel Sonne gibt).
Dazu kommt unglücklicherweise noch etwas anderes, ein fataler Zufall sozusagen. Das Vertrauen in Nachrichten, Medien und Kommunikation ist inzwischen weltweit auf einem historischen Tiefstand. Dazu kommt das Phänomen der News Fatigue, der News-Müdigkeit. Das alles noch gepaart mit der Tatsache, dass sich der sogenannte „Nachrichten-Journalismus“ an vielen Stellen dadurch aus der Krise zu retten versucht, dass er noch schneller und zappeliger wird. Vorhin habe ich zum Gegencheck mal einen schnellen Blick auf die Startseite von „Spiegel Online“ geworfen und dabei festgestellt: Das Allermeiste von dem, was da stand, muss ich nicht wissen. Und das, was ich gelesen habe, habe ich morgen wieder vergessen.
Medien (und freut euch nicht zu früh, Menschen aus PR und sonstiger Kommunikation: das betrifft euch auch) sind anfällig für Reputations- und Aufmerksamkeitskrisen. Zuviel von allem, die durchschnittliche LinkedIn- oder Facebook-Timeline bietet ja auch nicht allzu viel an Erlösung.
Da kommen KI und Sprachassistenten gerade recht, zumindest aus Nuzersicht. Möglicherweise erklärt auch das den gegenwärtigen Hype.
Wir stehen mal wieder vor dem nächsten großen Medienwandel
Medienmenschen müssen sich also gerade mal wieder auf den ganz großen Umbruch einstellen (als hätten wir davon nicht in den letzten beiden Dekaden ausreichend viel davon gehabt). Und leider geht es nicht um ein paar neue Tools, die es zu entdecken gibt. Oder die leidigen Digital vs. Analog-Debatten, die ihre Ursprünge ja irgendwo im letzten Jahrhundert haben.
Es geht mal wieder um nicht weniger als das Große und Ganze. Um einen Umbruch in den Medien, der nicht wesentlich kleiner ausfallen dürfte als damals (™) vor 25 Jahren, als das kommerzielle Internet die Landschaft komplett auf den Kopf stellte. Das wird Auswirkungen auf die tägliche Arbeit haben. Nicht nur, was die Anwendung der Technologien und die Erstellung von Inhalten angeht. Sondern auch, wenn es darum geht, diese neuen Tools in die eigenen Workflows zu integrieren.
Was zu beobachten ist (leider): Die alten Medienunternehmen bleiben skeptisch, wenn es darum geht, ihre Abläufe zu ändern. Es sind nach wie vor die Ausnahmen, wenn sich Redaktionen und Agenturen intensiv damit beschäftigen, wie Algorithmen eingesetzt werden können, um Nachrichtenempfehlungen zu verbessern, gefälschte oder irreführende Medienbeiträge zu erkennen und Fakten in unterschiedlichen Quellen zu identifizieren. Oder eben auch: wo KI im Spiel ist und welche Rolle sie spielt (die Kollegen der WIRED sind da beispielhaft vorausgegangen).
Und schließlich noch eine Parallele zum großen Medienwandel zu Beginn des Milleniums: Der Umbruch wird schnell und in gewaltigen Schüben kommen. Der momentane Hype um ChatGPT zeigt exemplarisch, wie schnell der Wandel sein wird. Vermutlich schneller, als wir uns gerade vorstellen können. Wir stehen gerade mal am Anfang.