Es ist ja immer wieder faszinierend, wie schnell Buzzwords kommen – und dann verschwinden. Kann sich beispielsweise noch jemand an “Conversational Journalism” erinnern? Wer vor ein paar Jahren was auf sich hielt, der ließ diesen Begriff mal fallen und galt sofort als Experte für irgendwas, was belohnt wurde mit ein paar Einladungen auf mittelbedeutsame Podien oder wenigstens vier neuen Followern bei LinkedIn.
Kennen Sie Resi noch? Die ganz alten unter Ihnen (solche wie ich also) denken vielleicht an die, die mit dem Traktor abgeholt werden soll, aber die meine ich nicht. Die mittelalten, digitalaffinen Menschen hingegen erinnern sich an einen Chatbot mit diesem Namen. Es ist mittlerweile rund sechs Jahre her, da gab es um dieses Thema Nachrichtenbots und seinen deutschen Ableger (eben jene Resi) einen ziemlichen Hype. Und einen hübschen, coolen Namen dazu, natürlich einen Anglizimsius: Conversational Journalism, bei dem Medien-Magazine sofort fragten: Ist das Chatten mit dem User die Zukunft des Nachrichtenjournalismus?
Die Antwort aus heutiger Sicht ist die kürzestmögliche: Nein.
Im Gegenteil, würde man sich heute als Dozent vor eine Klasse Journalistenschüler oder eine Uni-Veranstaltung mit Kommunikations-Menschen stellen, man müsste vermutlich erst einmal einen längeren Exkurs (siehe oben) machen, um erklärt zu bekommen, was diese auf einer Konversation mit einem Bot basierende Form des Journalismus überhaupt ist.
Oder müsste man besser sagen: war? Ich habe jedenfalls aktuell nicht so wahnsinnig viele Projekte im Kopf, die dieses Modell noch weiter verfolgen würden. Müßig zu erwähnen, dass auch die gute alte Resi schon lange nicht mehr unter uns ist.
Mit Bots zu sprechen ist immer noch kein echter Spaß
Würde man das also heute jemandem erzählen, er würde sich wahrscheinlich wundern: Ihr habt damals echt geglaubt, dass ernsthaft jemand mit einem Bot sprechen will, um Nachrichten zu bekommen? Ich müsste zu meiner Ehrenrettung dazu sagen, dass ich nie daran geglaubt habe. Weil Nachrichten und Journalismus per se kein interaktiver Stoff sind.
Ich möchte jedenfalls nicht dauernd einer App “Erzähl mir mehr” sagen müssen, wenn ich wissen will, was heute auf der Welt los ist. Mich nervt ja jetzt schon manchmal meine nagelneue Kaffeemaschine, die so eine Art riesiger Kaffee-Bot ist. Der will auch für alles eine eigene Aufforderung und stellt viele Fragen. Das ist zwar toll, wenn man exakt die Temperatur und die Füllmenge seines Cappuccino festlegen will, der interaktive Kaffee sozusagen. Wenn du morgens einfach nur schnell einen simplen Kaffee willst, ist es doof. Man will morgens nicht dauernd gefragt werden, ob man sich wirklich sicher ist.
Davon abgesehen: Wer jemals mit einem durchschnittlichen “Kann ich dir helfen”-Bot auf irgendeiner E-Commerce-Webseite geplaudert hat, bekommt schnell Sehnsucht nach einer schlechten Telefon-Hotline, selbst wenn am anderen Ende jemand mühsam radebrechend sagt, dass er von deinem Thema leider auch keine Ahnung hat.
Warum hier so viel über einen vergangenen Hype steht, der vergangen ist und mutmaßlich auch nicht mehr wieder kommt? Weil das alles sehr an die gerade tobenden Jubelarien für ChatGPT erinnert. Dieser nette, kleine Sprachpapagei, der erstaunlich begabt darin ist, Dinge nachzuplappern, die er irgendwo mal gehört hat. Der uns alle irgendwann mal arbeitslos machen wird und den man bald ganz dringend überall einsetzen muss und sei es nur in einer mittelmäßigen Steuerberater-Kanzlei.
Die erstaunlichen Parallelen der Hypes
Parallele 1: Vieles von dem, was da gerade Menschen fasziniert, ist dem Reiz des Neuen geschuldet. Dem Erstaunen darüber, wie eine solche Maschine plötzlich anfängt, „eigene” Texte zu schreiben. Man kann das, zugegeben, auf den ersten und auch auf den zweiten Blick für „Intelligenz” halten. Zumal es den meisten auch wurscht sein dürfte, ob man nun von „Intelligenz” oder „maschinellem Lernen” spricht. Stört sich ja auch niemand daran, dass es den Begriff Handy im Englischen gar nicht gibt und sich zudem ein englischer Muttersprachler wahrscheinlich sehr wundern würde, wenn man ihm verrät, dass man im „Home Office” arbeitet. Man sagt das halt so, ohne groß nachzudenken. So ist das mittlerweile auch bei der KI geworden.
Der Reiz wird aber irgendwann verschwinden. Spätestens dann, wenn die Spielzeug-Phase verschwunden ist und sich die Frage stellt, was man jetzt eigentlich mit dem Ding anfangen soll. Eine Transkription beispielsweise oder (für mich als Podcaster besonders) eine Software, die automatisch alle störenden Geräusche und „Ähhhs” aus einer Tonspur entfernt – das ist ein konkreter Nutzen. Das ist bei Chat GPT und seinen anderen jetzt hektisch auf den Markt geworfenen Konkurrenten noch nicht der Fall. Es sei denn, man denkt ernsthaft darüber nach, solche Texte auf die Menschheit resp. seine Leser und Kunden loszulassen. Viel Spaß wünsche ich schon mal beim Beheben der entstandenen Schäden.
Den echten Nutzen haben auch Nachrichten-Chatbots nie entwickeln können. So schnell, wie der Boom kam, ging er auch wieder.
Parallele 2: Neben dem Nutzwert ist ja auch der Mehrwert immer eine gute Sache (bevor Sie fragen: doch, das ist der Unterschied). Würde man also ein bestehendes Produkt, eine Anwendung mit „mehr Wert” versehen, wäre das eine gute Geschichte. Aber wenn man mal ehrlich ist:
Werden Ihre Texte besser, weil sie eine Maschine schreibt? Falls ja, haben Sie ein Problem und sollten dringend an Ihren Texten arbeiten.
Gewinnen Sie Zeit? Vordergründig vielleicht, aber das Gegenchecken und Korrigieren dessen, was die Maschine möglicherweise falsch gemacht hat, macht einen Zeitvorteil schnell wieder zunichte.
Machen Sie weniger Fehler? Gegenfrage: Würden Sie einen Text mit ergoogelten Ergebnissen veröffentlichen, ohne wenigstens die Quellen nochmal zu checken?
Parallele 3: Noch immer bringen Sie jede Maschine und jeden Bot mit ein paar simplen Fragen an den Rand seines Könnens. Der Microsoft-Bot beispielsweise riet einem Journalisten unlängst, sich von seiner Frau zu trennen. Ein freier Sportjournalist brachte ChatGPT mit banalen Fragen zum Spiel Bayern vs. Leipzig so aus der Fassung, dass am Ende nicht mal mehr das Datum der Veranstaltung stimmte.
Gemeinheit, könnten Sie jetzt rufen! Sowas tut man doch nicht. Aber auf der anderen Seite würde ich mich ja nicht auf jemanden verlassen, der an solchen Banalitäten scheitert. Das war ja am Ende auch bei Resi und anderen Nachrichten-Bots der Fall und ist bei den ganzen unsäglichen Service-Bots auf Webseiten immer noch sichtbar: Für Standards reicht es, alles abseits der Norm ist zu viel.
Jetzt kommt erstmal die Flut von mediokren KI-Texten
Unfreiwillig wird der Hype aber kurzfristig dafür sorgen, dass gute, kreative Medienmenschen wieder mehr wertgeschätzt werden. Weil absehbar ist, was passiert: Die intellektuelle Middleclass feiert bei LinkedIn und andere Sammelplätzen des Mittelmaßes die großartigen Möglichkeiten des Einsatzes von KI in Kommunikation, Medien und Marketing. Und wenn man ehrlich ist, eine Reihe von Postings und Texten dort liest sich in der Tat, als sei sie gerade aus dem nicht vorhandenen Hirn von ChatGPT entsprungen.
Wir werden kurzfristig überschwemmt. Von standardisiertem Kram. Und genau deshalb brauchen wir Leute, die was können. Die ein eigenes Hirn und eigenen Charme, einen eigenen Stil mitbringen.
So gesehen ist dann am aktuellen KI-Hype doch nicht alles schlecht.
Podcast Satzzeichen
Ausnahmsweise hier mal kein Hinweis auf D25. Sondern auf Satzzeichen, den Podcast, den wir bei HYBRID Eins für die Hanns-Seidel-Stiftung produzieren. Dort spreche ich mit Thomas Knüwer genau über dieses Thema: KI und ihre Grenzen.
Anhören? Hier:
Die Bots werden die Billigtexte ersetzen, die derzeit für wenige Cent pro Wort von unterbezahlten Leuten erstellt werden. Textbroker und Konsorten werden sich neu orientieren müssen.
Solche Billigtexte werden vor allem im SEO-Bereich (Online-Shops, Affiliate-Seiten) und im Ratgeber-Segment verwendet, auch als Füllmaterial für Ratgeber auf Amazon (siehe Stichwort Schrottbücher).