Ich mag ja immer noch Papier. Sogar dann, wenn man darauf Tageszeitungen druckt. Bis ins letzte Jahr hinein hatte ich sowas Alterstümliches tatsächlich im Postkasten stecken. Und ich fand es immer noch ein bisschen aufregend, morgens das gute Ding aus dem Briefkasten zu holen und dann zu schmökern. Vor allem an den Wochenenden, das konnte ich mir bislang ohne Papiergeraschel schlecht vorstellen.
Vorbei, das Jahr 2023 ist mein erstes seit Menschengedenken, in dem ich tatsächlich keine Tageszeitung mehr abonniert habe, nicht mal in digitaler Form (Online-Angebote wie Webseiten jetzt mal nicht eingerechnet). Und dann dachte ich mir: Wenn schon ein alter Zeitungsknochen wie ich von der Fahne geht, was heißt das erst für viele andere? Ich gebe aber zu, ein kleines bisschen schade finde ich es schon, morgens nicht mehr zum Postkasten…
Die Zeitungen stehen an einem Kipp-Punkt
Kipp-Punkte, dieser Begriff ist mir in den vergangenen Jahren immer öfter begegnet. Das soll so viel bedeuten wie: An dieser Stelle kippt eine Entwicklung endgültig auf eine andere Seite. Weil Englisch die viel lautmalerische Sprache als das immer irgendwie etwas sperrig klingende Deutsch ist: Point of no return, sagt man dort. Eine Formulierung, die man nicht sehr lange erklären muss.
Diesen Punkt erreicht in diesem Jahr ein Medium, das zwar oft schon irgendwie digital daherkommt, zumindest in der Darreichungsform. Trotzdem herrschen dort immer noch erstaunlich konservative und analoge Denkweisen vor. Die Rede ist von der (gedruckten) Tageszeitung, insbesondere, aber nicht nur der regionalen. Soll heißen: Allmählich müssen wir uns mit dem Gedanken an das Ende dieses Printmediums vertraut machen.
Das ist, bevor jemand zusammenzuckt und zu den üblichen Reflexen greift, keine besonders spektakuläre Meinung mehr. Im Gegenteil, sogar die Zeitungsverleger selbst wissen das inzwischen. Und so gab es denn auch keinen allzu großen Aufschrei mehr, als Springer-Chef Mathias Döpfner in diesen Tagen mal das Unabwendbare verkündete: “Es ist völlig klar, dass es eines Tages keine gedruckte ‚Bild‘-Zeitung, keine gedruckte ‚Welt‘ und überhaupt keine gedruckte Zeitung mehr im Hause Axel Springer geben wird.” Sprach’s und erwähnte nicht, dass das, was für Springer gilt, auch für andere Verlage nicht zu verhindern sein wird.
Dabei war der Niedergang der gedruckten Zeitung schleichend. Ein Paradebeispiel, wenn man, aus welchen Gründen auch immer, die Augen verschließt, den Sand in den Kopf steckt, you name it.
Geänderte Gewohnheiten, hohe Preise, dünnes Angebot: Gründe für den Niedergang
Warum das Sterben des gedruckten Papiers unausweichlich ist? Es gibt inzwischen weitaus mehr Gründe, die dafür denn dagegen sprechen. Ein paar davon – hier:
Geänderte Nutzungsgewohnheiten beispielsweise. Schon den Millennials war es kaum mehr beizubringen, die nachfolgenden Generationen verstehen es noch viel weniger, was daran so prickelnd sein soll, frühmorgens einen Haufen bedrucktes Papier aus dem Postkasten zu holen. Papier, das noch dazu mit Geschichten bedruckt ist, die jemand einen halben Tag vorher geschrieben hat. Klar kann man jetzt sagen: Aber sich einmal am Tag rausnehmen, den Tag zusammengefasst zu lesen, das ist doch eine charmante Idee. Stimmt, für Menschen meiner Generation. Aber wir fanden ja auch Papier charmant. Und eine Zusammenfassung des Status Quo findet eine digitale Generation viel eher in sozialen Netzwerken oder in Apps.
Zu hohe Kosten beispielsweise. Schon klar, es hat sich auch in der digitalen Welt rumgesprochen, dass man guten Journalismus irgendwie finanzieren muss. Aber bei einem Tageszeitungs-Abo kommt man mittlerweile schnell mal auf einen jährlichen Betrag von jenseits der 500 Euro. Das muss man sich leisten wollen – und ja, auch das: leisten können.
Ausgedünntes Angebot beispielsweise. Das eine (siehe oben) hängt mit dem anderen zusammen. Die Kosten für Papier sind exorbitant gestiegen, die Werbeeinnahmen sprudeln schon lange nicht mehr wie zu besten Zeiten und die Abo-Preise kann man auch nicht ins Unendliche anheben (siehe ebenfalls oben). Woran man noch schrauben kann: am Umfang des Angebots. Unlängst habe ich mal wieder ein Wochentag-Exemplar der Zeitung in meiner Region in die Finger bekommen. Erster Gedanke: Oh, da fehlt was, irgendjemand hat das zweite (und dritte und vierte) Buch rausgenommen. Tatsächlich war das aber schon die ganze “Zeitung”, was hier in Anführungszeichen steht, weil sich dieses Häufchen Papier nicht mehr wie eine Zeitung anfühlte; eher wie ein Anzeigenblatt. War da nicht mal was mit der Haptik, die viele Verteidiger des gedruckten Papiers lange Zeit als sagenhaften Vorteil des Papiers anführten? Bei mir war dieser Augenblick so ein Kipp-Punkt (siehe wiederum oben): Obwohl ich ja tatsächlich das Gefühl von gedrucktem Papier immer noch mag, hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, dass diese Haptik kontraproduktiv war. Das bisschen da nennt sich Zeitung und soll 500 Euro im Jahr kosten? Komische Idee, noch dazu in Zeiten, in denen Informationen in solchen Mengen wie noch nie verfügbar sind. Die Zwei-Euro-Ausgabe mit 24 Seiten, die ich da in der Hand hielt, erinnerte mich dann doch eher an rationierte Kriegswirtschaft als an den Aufbruch in die mediale Zukunft.
Personal-Probleme beispielsweise. Am Anfang dachte ich erst, es handle sich um einen Zufall. Inzwischen aber häuft es sich: Anzeigen, in denen Tageszeitungen fast flehentlich um Personal betteln. Volontariate, die mit allem Möglichen beworben werden. Und frei werdende Redakteursstellen. Gute Leute, die womöglich auch noch digital fit sind und sich in dieser immer noch für viele Verlage komplexen neuen Welt zurechtfinden, werden händeringend gesucht. Wenn es die dann gibt, dann gehen sie meistens woanders hin als nach Bielefeld oder Konstanz, um dort irgendwelche Lokalredaktionen zu beglücken. Und wenn doch, dann gehen sie nach ein paar Jahren wieder. Aus dem einstmals so lukrativen Arbeitgeber Tageszeitung ist für viele bestenfalls ein Lückenbüßer geworden.
Wer also überleben will in den kommenden zehn Jahren, der muss sich von seinem Geschäftsmodell verabschieden. Das zeigt alleine ein Blick auf die Statistik:
Bevor Sie fragen: Wie die Auflage der Zeitungen in Deutschland innerhalb eines Jahres um 2,3 Millionen gestiegen sein soll, wissen die Götter und vielleicht die Auflagenrechner, ich persönlich weiß es nicht. Ich würde aber behaupten: So ganz real ist das nicht. Sonst hätten wir schon lange jubelnde Pressemitteilungen gelesen, dass Print bzw. Tageszeitungen nach über 30 jähriger Leidenszeit gerade ein unfassbares Comeback erleben. Wie auch immer, wenn man irgendwas Digitales reinrechnet, ist das ja gerade ein Beleg dafür, wie wenig lukrativ die gedruckte Zeitung zunehmend mehr wird. Und wenn man sich ansieht, wie die Kollegen von DWDL mal die “harten” Auflagen berechnet haben, dann ahnt man, wie viel Schönrechnerei da im Spiel ist.
Auf der anderen Seite: Genau das ist letztlich die Fortsetzung dessen, was man in der Branche schon seit drei Jahrzehnten macht. Herumdoktern an Zahlenkolonnen statt wirkliche Transformation zu probieren. Das geht schon noch gut einige Zeit, es wäre auch langweilig, sich in einen Prognose-Wettbewerb einzulassen, wann denn nun die Druckmaschinen angehalten werden.
Nur dass dies einmal passieren wird, das ist wahrscheinlicher denn je. Ob das ein Verlust für die publizistische Landschaft sein wird, hängt davon ab, was danach kommen wird. Aber dass ein heute noch jüngeres Publikum jemals der bräsigen Zweifaltigkeit aus regionalen Tageszeitungen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinterher trauert, dafür fehlt mir aktuell jede Vorstellungskraft. Auch hier hilft der Blick auf die Zahlen: Was die Zeitungen als einen Beleg für ihre Relevanz verkaufen wollen, kann man auch anders interpretieren. Demnach erreicht die gedruckte Tageszeitung bei den 14-29 jährigen nur noch rund 35 Prozent, kommt aber zusammengefasst mit Print und Digital auf eine Reichweite von rund 67 Prozent. Klingt erstmal nicht schlecht, relativiert sich aber, wenn man weiß, dass dieser Wert in der Altersgruppe der über 50jährigen bei rund 84 Prozent liegt. Ein Rückgang von 17 Prozentpunkten – so richtig rosig ist das nicht.
Die Schwäche liegt also in der Idee, im System, weniger am Ausspielweg. Einfach aus gedruckten Blättern E-Paper machen, das ist keine Alternative, solange die anderen Schwächen bleiben.
Podcast D25
Weil wir vorhin von Personal und ein Stück weit auch von Unternehmenskultur sprachen: Selbst bei diesen Themen halten Software und KI Einzug. Wie und warum, darüber sprechen wir mit Jenny von Podewils, Co-Gründerin von Leapsome.
Anhören? Hier:
Und natürlich überall da, wo es gute Podcasts gibt.
Schon interessant, dass zur Begründung des Niedergangs der selbsterklärten „Qualitätsmedien“ (eben auch im Printbereich) die seit Jahren andauernde Kontroverse um Authenzität u.Informationsgehalt (also genannter“Qualität“ = Stichworte : „Lückenpresse“, „ideologische Schlagseite“, „Hofberichterstattung“ etc. pp.) mit nicht EINEM Wort erwähnt wird.
Da stellt sich schon die Frage ob der Autor bislang so ein kleines bisschen hinter dem Mond (Neudeutsch = Filterblase o. Echokammer) gelebt hat…oder z.B. an den sozialpsychologischen/sozialen – u. (Macht-)politischen Aspekten keinerlei Interesse bzw. keinerlei Verbindung hat?
Insofern kann ich aber zumindest zur Abo-Auflösung der morgendlichen Stuhlgangsbeschleunigung nur gratulieren !
Da geht noch was, lieber Autor !
Prost !
Ein nicht ganz unwesentlicher Unterschied: Print-Artikel wurden früher, zum Teil jedenfalls, tatsächlich gelesen. Die Verweil- und Aufmerksamkeitsdauer auf Online-Seiten ist heute dagegen lächerlich kurz. Insbesondere die sog. Qualitätsmedien erreichen mit ihren Angeboten oft nur wenige Sekunden – evtl. lang genug um gezählt zu werden, aber in Wirklichkeit irrelevant.
Siehe dazu z.B. die Statistiken von http://www.atlasderdigitalenwelt.de
Blogs geht es allerdings nicht besser: „Nur etwa 14% der Bevölkerung nutzen Blogs, sie verbringen dann durchschnittlich weniger als 2 Minuten im Monat auf solchen Angeboten.“