Elon Musk ist jetzt endgültig der Herr über Twitter. Sich selbst bezeichnet er in seiner Twitter-Bio als “Chief Twit” (sinngemäß so viel wie “Oberdepp”); ein echter, mäßig witziger Musk eben. Danach räumte er in dem Laden erstmal auf und pustete eine Menge unausgegorenen Quark in die Atmosphäre, beispielsweise will er künftig für einen verifizierten Account 8 Dollar nehmen. Das alles hielte ich persönlich für über 40 Milliarden Dollar ja nur ein bisschen dünne, aber gut: seine Kohle, sein Laden und mit beidem kann er tun und lassen, was er will.
An sich wäre ich geneigt, jetzt zu schreiben: so weit, so gut. Allerdings ist der letzte Satz des vorherigen Absatzes genau das Problem: Musk kann mit dem Laden machen, was er will. Bei einer Kaugummifabrik oder sogar einem Automobilkonzern wäre das tatsächlich wurscht. Bei einem Laden, der zu den größten und wichtigsten Plattformen der Welt gehört und dem ein bestimmter Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung nicht abgesprochen werden kann, ist das was anderes. Man konnte ja die Übernahme der “Washington Post” durch Jeff Bezos schon problematisch finden, aber gegen Twitter ist die “Post” ein Bonsai-Unternehmen. Ein riesiges Ding wie Twitter, geführt von einem verhaltensauffälligen Milliardär, das muss man erstmal sacken lassen.
Und jetzt wäre ich schon wieder geneigt, zu einer ebenso banalen wie naheliegenden Konsequenz zu kommen: Dann sollen die Leute eben gehen. So, wie man nicht unbedingt auf Trumps “Truth-Social”-Dingens zu Gast sein möchte, will man auf der anderen Seite mit seinem Content und seinem Account einen genauso erratischen Superreichen unterstützen. Und das tut man ja: Twitter ist nur so lange relevant, solange es dort genügend Accounts, genügend Traffic, genügend Krawall gibt.
Die User werden bei Twitter bleiben, ganz egal was passiert
Dumm nur: Das wird nicht passsieren. Weil es nie passiert, weil wir nämlich ein überaus merkwürdiges Verhältnis zu den richtig Großen im Netz haben (ich mache da, bevor Sie es anmerken, vermutlich leider keine echte Ausnahme). Wir ahnen zwar, dass es keine sonderlich gute Idee ist, wenn ein paar wenige das Netz und seine Milliarden sowohl Nutzer als auch Dollar beherrschen. Aber das, was wir im richtigen Leben vielleicht noch eher tun würden, nämlich zu verhindern, dass Monopole entstehen, ist uns im Netz merkwürdigerweise ziemlich egal.
Es ist ja nicht nur Twitter, es ist das gesamte “soziale” Netz. Facebook? Gehört Zuckerberg. Insta, Whatsapp? Zuckerberg? TikTok? Irgendwas dubioses Chinesisches. Und jetzt eben Twittter, unter der Fittiche von Elon Musk. Die größten Plattformenalso: gehören zwei Milliardären und einem China-Konzern. Das hätte sich vermutlich nicht mal George Orwell so ausgedacht. Trotzdem: Einen Exodus von der einen oder anderen Plattform wird es irgendwann ganz sicher mal geben, aber nicht deswegen, weil man nicht länger dem Machtzuwachs des schrulligen Elon Musk nutzen will. Sondern weil wir vielleicht mal die Nase voll haben von einem Kanal, weil es was Neueres, Angesagteres geben wird.
Gerade also Twittter: Die Medien sind voll mit Besinnungsaufsätzen darüber, dass so viel publizistische Macht in einer Hand nicht gut sein kann. Man hört in der Netz-Avantgarde (das sind die, die sich vornehmlich bei Twitter treffen) vernehmliches Grummeln über Musk und immer wieder mal den einen oder anderen, der ankündigt, künftig auch bei der Twitter-Alternative Mastodon anzutreffen zu sein. Ansonsten ist alles so, wie wir es auch bei Facebook und bei WhatsApp erlebt haben: Auch wenn es Alternativen gäbe, ist die große Masse zu träge, um ernsthaft die Mühen eines Social-Media-Neuanfangs auf sich zu nehmen. Die “Alternativen” erleben einen kurzen Boom, das war es dann auch wieder. Dabei muss man sich nur mal vorstellen, was los wäre, würde Twitter jetzt nicht Musk, sondern Trump gehören. Manche Reflexe funktionieren anscheinend noch zuverlässig.
“Wir” (vulgo: die User) hätten also die Macht, Musk und Twitter zu entmachten. Natürlich muss man das nicht tun, es ist nur unredlich, sich danach über die Macht der großen Netzwerke zu beschweren.
Persönlich würde ich ja nur zu gerne hoffen, dass ich mich täusche. Dass es diesmal anders ist und die User keine Plattform unterstützen, die einem Typen gehört, von dem man nicht wirklich weiß, wie er mit dieser Macht umgehen wird. Und vielleicht kommt es ja doch anders, auch ohne User-Einwirkung: Vielleicht ruiniert Musk Twitter ja ganz nachhaltig, Zuckerberg lässt sein Kerngeschäft vor lauter Metaverserei verkommen und die Chinesen und ihr TikTok sind irgendwann mal out of time, weil es schon wieder was Schöneres gibt.
Für mich selbst habe ich eine Konsequenz gezogen: Ich habe einen (zugegeben: schon seit geraumer Zeit nicht mehr sehr aktiven) Twitter-Account mit knapp 7000 Followern. Solange Twitter dieses Musk-Spielzeug mit ungewisser Zukunft ist, wird es mich dort nicht mehr geben. Irgendwann sind Grenzen überschritten. So wie jetzt bei Twitter.