Thomas Gottschalk ist wieder da und “Wetten, dass” auch. Wenn man ein bisschen nostalgisch ist (und wer wäre das nicht), kann man das für eine schöne Nachricht halten. Mittelfristig zeigt “Wetten, dass” aber auch die ganze Misere des Fernsehens auf.
Diese Woche ist mein Receiver kaputt gegangen.
Doch, liebe Leser (m/w/d), Sie dürfen weiterlesen. Trotz dieser Nullnachricht am Anfang. Zunächst hatte ich mir nämlich nichts dabei gedacht. So ein Receiver ist heute für läppische 25 Euro zu haben und innerhalb von zwei Minuten installiert. Bemerkenswert, kleiner Schlenker: Es gibt die Marke Nokia noch. Hat sich komisch angefühlt, den Namen mal wieder zu lesen, noch dazu nicht auf einem Handy.
Aber auch so ein Marken-Nomen kann manchmal ein kleines Omen sein. Weil mir bei Nokia nämlich einfiel, wie schnell selbst vermeintlich unangreifbare Riesen ins Taumeln geraten können. Nokia, die Älteren erinnern sich, das war mal sowas wie Apple, zumindest bei Handys. Nicht so chic und cool, aber trotzdem: Für eine kurze Zeit mal die Marke schlechthin, wenn es ums Handy ging.
Irgendwann mal ist Nokia nicht mal falsch abgebogen. Sondern hat einfach ein paar Dinge verschlafen. Während Apple das iPhone vorstellte, war Nokia noch mächtig stolz auf einen kantigen Klotz namens N95, von dem nicht nur Nokia, sondern einige andere auch behaupteten, es sei das Handy-Flaggschiff schlechthin. Was für ein fataler Irrtum, der Gamechanger war längst auf dem Markt und mit ein bisschen gutem Willen hätte man das auch leicht erkennen können. Falls Sie sich nicht mehr ans N95 erinnern, so sah dieser Klops damals aus:
Zugegeben, für damalige Verhältnisse konnte das Ding schon was; ich hatte es übrigens auch. Als ich allerdings das erste iPhone in den Händen hielt, war mir klar, was die Vergangenheit und was die Zukunft ist. So ist das manchmal eben: Die Zeit für ein Produkt ist gekommen, für andere ist sie abgelaufen.
Was das mit meinem Receiver zu tun hat? Nun, Nokia baut jetzt: Receiver. (Falls jemand unter Ihnen jetzt einen Hang zum Verbessern des Autors bekommt: Ich weiß natürlich, dass Nokia immer noch auch Handys herstellt, aber der Marktanteil Nokias ist dort so verschwindend gering, dass die Marke in den meisten Statistiken nur noch unter „Andere“ geführt wird).
Vermutlich kann man mit Receivern auch ganz gut Geld verdienen, zumal sich Nokia ohnehin immer als Mischkonzern verstanden hat. Trotzdem ist der Niedergang der Handysparte so exemplarisch, dass ich bei dem Thema auch an was anderes denken musste:
Fernsehen. Also, das alte, ursprüngliche (ja, liebe jüngere Leser, es gab mal Zeiten, da wurde Fernsehen gesendet und nicht gestreamt und Amazon und Netflix hießen ZDF und SAT 1).
Das lineare Fernsehen ist das Medien-Nokia. Es macht nichts falsch. Es macht genauer gesagt das, was es schon immer getan hat. Es sendet Nachrichten, Serien, die Unterhaltungsshows sind seit dem Neolithikum nahezu unverändert und Fußball geht auch immer. Gemessen daran, dass bei den Top-Sendungen immer noch etliche Millionen vor der Kiste sitzen, müsste man sagen: Die machen auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht so viel verkehrt.
Und trotzdem, der digitale Gamechanger ist schon lange am Markt. Man kann ihn nicht, wie beim iPhone, mit einem Namen benennen. Aber seine Eigenschaften sind schnell erzählt: digital und non-linear. Natürlich sind es die Streaming-Riesen, die dem klassischen TV zu schaffen machen, aber auch Plattformen wie YouTube sind inzwischen zu einem echten Fernseh-Konkurrenten geworden.
Was das konkret heißt, zeigen nüchterne Zahlen. Der Anteil des linearen TV an der Bewegtbildnutzung geht konstant zurück; innerhalb der letzten fünf Jahre alleine um 15 Prozentpunkte.
Das ist übrigens kein generelles Phänomen. Beim Thema Audio sind die Nutzungsanteile des linearen Radios nahezu unverändert. Mal ein bisschen runter, dann wieder rauf, alles in allem aber stabil. Was auch damit zu tun hat, dass Podcasts zwar ein spezielles Publikum sehr intensiv ansprechen, im Gesamtpublikum aber bisher nur eine untergeordnete Rolle spielen. Oder aber zumindest dem Radiokonsum nicht wirklich gefährlich werden.
Fernsehen aber: Es geht konstant abwärts, was nebenbei bemerkt auch interessante Auswirkungen auf das Programm hat. So viel Retro war selten, inzwische tummeln sich Gestalten wie Britt Hagedorn und Ingo Lenßen wieder prominent im Programm, außerdem kann man inzwischen auch wieder Gerichtsshows schauen. Und nix gegen “Wetten, dass”, aber dass es nach wie vor keine Samstagabend-Show gibt, die dem über 70jährigen Gottschalk und seinem Dino das Wasser reichen können, spricht nicht gerade für die Weiterentwicklung des TV.
Wie man dort überhaupt einen Mix sieht, den es in den Grundzügen schon vor 50 Jahren gegeben hat. Kann man machen, muss man aber nicht. Ein mäßig spannendes und innovatives Programm, linear ausgestrahlt, das ist jetzt kein echtes Zukunftsmodell. Dann stellen Sie sich mal vor, Sie würden als Jung-Unternehmer zu einer Bank gehen und denen genau das als Geschäftsmodell für ein Start-up vorschlagen. Ich würde wetten, allzu viele Finanzierungszusagen haben Sie am Ende nicht im Gepäck. Lineares TV und regionale Tageszeitungen; mutmaßlich die beiden Medien-Formen, die die problematischste Zukunft vor sich haben. Und das nicht nur, weil sich herausstellt, dass der eine oder andere raffzahnige Intendant unter ihren Reihen ist.
Alle Macht den Digitalen, titelte ein Branchenmagazin unlängst. Das klingt zwar erstmal nach einer Binse, wenn auch nicht ganz so flach wie das autosuggestive “More relevant than ever”, das sich die Münchner Medientage im Oktober als Motto verpassten. Bei genauerem Hinschauen merkt man dann aber, dass das so flach gar nicht ist. Vor allem in den Fällen des Fernsehens (und der regionalen Tageszeitung) wird die Umkehrung des bisherigen Prinzips das einzig mögliche Geschäftsmodell sein. Für das TV heißt das: Sie müssen zu modernen Streamingdiensten werden, die bisherige Idee der „Mediatheken“ (Sendung verpasst?) ist obsolet. Wenn man das On-demand-Angebot in den Mittelpunkt stellt und das linear ausgestrahlte Programm als Live-Zusatzangebot sieht und vor allem für Live-Events nutzt, wenn man dann auch noch halbwegs nutzerfreundliche “Mediatheken” baut, dann wird ein Schuh daraus.
Alles andere – ist nur Nokia.