Zum ersten Mal habe ich den Begriff Medienwandel vor sehr, sehr langer Zeit gehört. Es könnte mittlerweile fast ein Vierteljahrhundert her sein, jedenfalls so lange, dass es schon wieder verblüffend ist, dass er immer noch existiert. Und nicht nur das. Momentan deutet einiges darauf hin, dass wir das nächste Kapitel einer anscheinend unendlichen Geschichte erleben.
Die Tage kam vom Unternehmen Statista eine (wer hätte es gedacht?) Statistik auf den Schreibtisch geflattert. Sinngemäß stand da drin: Podcasts sind überschätzt, ein beträchtlicher Teil der Menschen in Deutschland hört nämlich gar keine. Bevor ich Ihnen lange irgendwelche Zahlen um die Ohren haue, schauen Sie doch bitte einfach selbst:
Davon abgesehen, dass die Feststellung, dass Menschen, die heute irgendwas zwischen 60 und 70 sind, tendenziell nicht mehr so viel Lust auf Neues haben, wenig überraschend ist: Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie in den Hochburgen der traditionell analogen und linearen Medien der große “Na-also-Seufzer” zu hören war: Na also, haben wir es doch gewusst, dass dieser Digitalkram überschätzt ist. Weswegen man so weitermachen kann wie bisher, hier einen Podcast, da ein Insta-Account und schon hat man was, was man irgendwie als Digital-Strategie bezeichnen kann.
Nebenbei bemerkt: Das ist so eine Art Vermeidungsverhalten, das vermutlich allzu menschlich ist, dummerweise nur das Problem nicht löst. Zugegeben: Das Problem ist komplex und auch im Laufe dieses Textes werde ich leider keine Patentlösungen präsentieren können. Ändert aber nichts daran, dass das Problem da ist und man es mit einer Wird-schon-werden-Strategie nicht löst.
Und eigentlich wollte ich jetzt auch gar nicht über das Thema Podcasts alleine schreiben. Diese Statista-Geschichte ist nur ein schöner Anlass, sich mit zwei der grundlegenden Probleme zu beschäftigen.
Das eine: Es wird nicht mehr die großen Kanäle geben, auf die sich alle einigen können wie zu seligen Zeiten, als ein “Straßenfeger” im Fernsehen (kennen Sie noch, den Begriff?) für sagenhafte Quoten jenseits der 80 Prozent sorgte.
Das andere: Selbst wenn wir unsere Inhalte quer über potentiell unendlich viele Kanäle verteilen, wie man daraus ein Geschäftsmodell macht, ist leider komplett offen.
Viele Nischen sind die neue Masse
Aber bleiben wir noch ein bisschen bei der Meldung, dass Podcasts angeblich nur ein Nischen-Ding seien. Gemessen an den Maßstäben der alten Medienwelt: ja, stimmt. Podcasts erreichen nicht im Ansatz die Reichweiten eines durchschnittlichen Laber-Senders. Und wissen Sie was? Vermutlich werden Sie das auch nie tun. Das gilt, leicht modifiziert, auch für YouTube-Kanäle, Blogs, Insta-Accounts, you name it. Wir sind ja nicht mal mehr richtig in der Lage, den durchschnittlichen Medienmix insbesondere bei einem jüngeren Publikum zu beschreiben. Der lautet vereinfacht gesagt: von allem etwas, je nach Bedarf, Laune und Situation. Und er ist bei (fast) jedem anders.
Gemessen daran relativiert sich die Podcast-Geschichte gleich wieder. Und plötzlich findet man die knapp 40 Prozent der Generation Z, die zumindest gelegentlich Podcasts hören, gar nicht mehr so schlecht.
Man könnte es sich als einfach machen: Das Thema Podcast zeigt die Notwendigkeit von Diversifikation und Mehrkanaligkeit. Und die dauerhafte Abwendung von der Idee, seinen Content nur von einem oder ein paar wenigen zu beziehen, zumindest bei jungen Leuten. Macht man halt ein bisschen Multimedia, verteilt seinen Content über die Plattformen, definiert die Zielgruppen, die man dort zu erreichen gedenkt, das war’s. Klingt plausibel, ist es auch – hat aber leider einen entscheidenden Haken.
Das Dilemma: Ziemlich lange dachten wir, dass ein User, der über die verschiedensten Kanäle einem Medienprodukt begegnet, das dann irgendwann kauft, abonniert, was auch immer. Inzwischen haben wir nicht nur eine Ahnung, sondern handfeste Belege dafür, dass das so leider nicht stimmt. User, gerade die jüngeren, freuen sich zwar, wenn sie irgendwo gut gemachte Inhalte finden. Nur denken sie leider sehr häufig nicht im Traum daran, zu diesem eigentlichen Anbieter zurückzukehren. Die Unlogik solcher Nutzer: Ich habe etwas von XY bei Instagram/Spotify/Sonstwo gesehen. Denen ist zwar klar, dass der Inhalt von jemand anderem kommt. Der Medienanbieter ihrer Wahl bleibt dennoch das, was wir als Medienmenschen eine Plattform nennen würden.
Zwei Probleme und ein Dilemma
Eine unlängst in der Schweiz erschienene Studie macht die ganze Misere deutlich. Sie lässt sich in drei entscheidenden Punkten zusammenfassen; fast alle haben mit Social Media zu tun.
Erstens: User können sich zwar sehr präzise erinnern, in welchem Netzwerk sie eine Geschichte gelesen haben. Die Frage danach, wer die eigentliche Quelle war, können sie schon deutlich schlechter beantworten. Wie beschrieben: Die Plattform wird als Medium wahrgenommen. Der Unterschied ist vielleicht für Medienwissenschaftler relevant, das breite Publikum interessiert sich nicht sonderlich für diese feine Unterscheidung.
Zweitens: Um das Paradox noch ein bisschen paradoxer zu machen, beurteilen User natürlich auch, ob eine Geschichte glaubwürdig ist. Dumm nur: Falls sie eine hohe Glaubwürdigkeit attestieren, billigen sie diese eher demjenigen zu, der sie gepostet hat – und nicht der eigentlichen Quelle.
Nochmal also zum Begreifen: Es profitieren die Plattform, der User und dann die Original-Quelle, in genau dieser Reihenfolge. Das ist verrückt, aber kaum zu ändern. Zumal, wenn wir ehrlich zu uns sind: Sagen wir nicht auch eher “hab ich bei Facebook gelesen”, wenn es eigentlich heißen müsste, dass die Zeitung X eine Geschichte geschrieben hat, die vom guten Kumpel Y auf der Plattform Z gepostet wurde. Viel zu umständlich, man wählt die Kurzversion, was wiederum bedeutet: The winner takes it all und dieser Winner ist eher selten die journalistische Arbeit, die hinter einem Social-Media-Posting steckt.
Und schließlich drittens das eigentliche Problem: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass User, die einmal so sozialisiert wurden, jemals wieder zu einem anderen Nutzungsverhalten zurückkehren werden.
Das ist alles andere als erfreulich. Und stellt alle, die mit Medien Geld verdienen müssen, vor ein Problem: Wie macht man ein Geschäftsmodell daraus?
Bevor Sie denken, jetzt komme der Part, in dem der Autor völlig überraschend die Komplett-Lösung aus dem Hut zaubert: leider falsch gedacht. Ich kenne das entscheidende Geschäftsmodell nicht, vermutlich existiert es nicht. Oder besser gesagt: Jeder wird sich das für ihn passende zusammenfriemeln müssen.
Bevor man sich an ein solches Geschäftsmodell macht, wäre es sinnvoll, zumindest ein paar Sachen auf dem Radar zu haben.
Beispielsweise das: Man muss besser denn je wissen, mit wem man es überhaupt zu tun hat. Je vielfältiger die Möglichkeiten, desto zersplitterter und kleiner die Zielgruppen. Ein kleines Beispiel aus dem großen Reich der Social Media: Zwischen den Generationen Instagram, Snapchat und TikTok liegen bestenfalls zehn Jahre. Trotzdem muss man davon ausgehen, dass die Berührungspunkte zwischen ihnen tendenziell weniger werden. Und siehe auch das Podcast-Beispiel vom Anfang. Den durchschnittlichen 70-Jährigen werden Sie mit einem Podcast eher nicht erreichen, beim 20-Jährigen haben Sie vermutlich ziemlich gute Chancen.
Das heißt auch: Auch wenn die grundsätzlichen Voraussetzungen schlechter werden, an der Idee, für kleinere Reichweiten auf immer mehr Kanälen zu publizieren, kommt man dauerhaft nicht vorbei. Selbst wenn es noch so viele Statistiken gibt, die sagen, dass Podcasts kein wirkliches Massenmedium sind.
Ein Massenmedium? Was soll das in Zukunft überhaupt noch sein?