Wenn es etwas gibt, was unseren Medienkonsum im digitalen Zeitalter verändert hat, dann das: Die klassischen Journalisten und Experten sind auf dem Rückzug. Gefragt ist ein anderer Typus. Ob das unbedingt gut tut, steht auf einem anderen Blatt.
Richard David Precht hat unlängst der Politik, der NATO und der ganzen Welt einen guten Ratschlag gegeben. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, weil es Prechts Geschäftsmodell ist, immer irgendwelche Ratschläge und Meinungen von sich zu geben. Zum Thema wird der wöchentliche Precht, weil es kaum jemand so versteht, sich zum medialen Dauergast zu machen. Precht hat es sogar geschafft, mit Markus Lanz einen eigenen Podcast zu etablieren, was insofern interessant ist, weil Lanz inzwischen über ganze Karrieren entscheidet. Ohne Lanz gäbe es keinen Minister Lauterbach und auch Prechts Aufstieg zum „Philosophen“ hat entscheidend mit Lanz zu tun. Da trifft es sich gut, wenn man mit dem Talkshow-Mentor auch noch einen eigenen Podcast betreibt. Das Triumvirat des kommunikativen Pseudos sozusagen, der pseudoharte Talkmaster, der Pseudo-Philosoph und der dauertwitternde Pseudominister.
Dass Precht in der Philosophie, in der richtigen, ernstzunehmenden, ein weitgehend unbeschriebenes Blatt ist, stört da niemanden. Man hat ihn als Philosophen gebrandet, samt windschnittigem Äußeren und der unbestrittenen Fähigkeit zur Punchline. Precht ist also bei näherem Hinsehen kein Philosoph, sondern Inhaber eines gutgehenden Gemischtwaren-Handels von Meinungen zu ungefähr allem. Was zur Konsequenz hat, dass inzwischen jeder Precht-Pups mit dpa-Meldungen geadelt wird und dass selbst unbedeutende Bücher wie sein neuestes Epos schon im Vorfeld mit einer Aufregung erwartet und debattiert werden, die sonst nicht mal Groß-Autoren zuteilwerden. Selbst dann, wenn am Ende ein schnell hingeschludertes Buch mit sehr geringem Erkenntniswert und ein paar erstaunlich schlampig recherchierten Fußnoten rauskommt, wie sein neuestes „medienkritisches“ Buch, in dem er vor allem das kritisiert, von was er am meisten profitiert, Ansonsten ist das meiste von dem, was Precht und sein Co-Autor, der nicht minder windschnittige Harald Welzer zusammengeschustert haben, ist nicht wirklich neu, wenig aufregend und der Debatte kaum wert.
Wunderbar bizarr ist, dass die aktuelle Kritik am Universalgelehrten Precht ausgerechnet von Karl Lauterbach kam, dem Lanz- und Twitter-Minister. Es ist keine allzu steile These, wenn man sagt: Ohne Lanz und ohne Twitter wäre Lauterbach heute parlamentarischer Hinterbänkler.
Die Edel-Influencer sind sowas wie Bibis Beauty Palace für Intellektuelle
Man muss das leider so sehen: Der Edel-Influencer ist zu einem Phänomen unserer digitalen Zeit geworden. Das System ist einfach. Menschen sehnen sich in Verwirrnis der täglichen digitalen Kakophonie nach irgendjemandem und irgendetwas, woran sie sich orientieren können, Menschen mit sehr klaren und lauten Meinungen beispielsweise, gerne zu allem und jedem. Redaktionen, im TV aber auch anderswo, sind wiederum glücklich, wenn sie ihrem Publikum bekannte Nasen und griffige Meinungen liefern können. Und wenn sie Menschen haben, bei denen sie wissen, dass ihr Name funktioniert. Precht ist so einer, Lauterbach war es auch vor seiner Minister-Zeit, Sascha Lobo gehört ebenfalls in die Kategorie des Universalgelehrten, der zu allem eine Meinung hat (unlängst trat er sogar in einer Folge von „Hart, aber fair“ zum Tod der Queen auf und brachte dort ganz viel wokes Zeug unter, der Quote hat es nicht geschadet). Journalisten, Experten, die Welt in allen ihren komplizierten Verwicklungen sehen? Warum fades Grau, wenn man stattdessen doch knackiges Schwarzweiß haben kann?
Kommt uns das alles also bekannt vor? Ja, wir kennen das von dem, was man normalerweise eher in der Generation Z (ff) verorten würde: das Prinzip des Influencertums, über das speziell wir Älteren ja gerne etwas die Nase rümpfen. Das hier ist nichts anderes: Edel-Influencer wie Precht, Lobo oder eben auch der zwischenzeitliche Lauterbach leben von einem Ruf, den sie sich irgendwann mal aufgebaut haben. Besonders krass ist das im Fall von Precht, ein promovierter Germanist, dem in vielen seinen Büchern schon gravierende Fehler und eklatante Dummheiten nachgewiesen wurden. Den schönsten und treffendsten Verriss des Precht-Geschwurbels hat die SZ schon 2010 geschrieben, der Titel „Eine kognitive Mehrfachkarambolage“ hat in meiner persönlichen Galerie der schönsten Beleidigungen einen Ehrenplatz bekommen, zumal er in drei Worten alles zusammenfasst, was ich mir über Precht schon lange denke. Trotzdem haut der Mann einen Bestseller nach dem anderen raus, trotz seiner Vulgär-Philosophie und trotz seiner schwer erträglichen Attitüde. Oder vielleicht gerade deswegen, an Attitüde steht ihm Lobo ja in nichts nach.
Der Edel-Influencer wäre nichts ohne seine digitale Anhängerschaft. Karrieren wie Precht, Lobo und Lauterbach würden ohne Twitter, Social Media, das Netz nicht funktionieren. Sie haben die Gesetze dieser digitalen Kommunikation perfekt verstanden und verinnerlicht. Das Zugespitzte, die Algorithmenfreundlichkeit, die Bedeutung eines unverkennbaren Äußeren, von langen Pseudo-Denkermatten bis hin zum Irokesen, was dem Ganzen die Note des Unangepassten geben soll, in Wirklichkeit aber nichts anderes als ein Branding ist, wenn man sonst schon so gewöhnlich aussieht, dass man auf der Straße komplett unerkannt bleiben könnte.
Und so schreibt der Germanist Precht ganz viel Pseudo-Philosophie und äußert sich zur Weltpolitik, während der gelernte Werbetexter Lobo in seinen Kolumnen und Büchern jetzt endlich mal alle Themen dieser Welt durchhaben sollte. Und weil Twitter et al so gut funktioniert, sind die Prechtlobos eine Art kommunikatives Perpetuum Mobile. Eine Bewegung, die in einem ungestörten (digitalen) System potenziell endlos andauert.
Was man machen kann? Wie immer in der digitalen Welt: Den Button zum Ausschalten hat man selbst in der Hand. Und eine kleine Portion Misstrauen kann man auch immer dabeihaben: Wenn ein Mainstream entsteht (und nichts anderes sind solche Edel-Influencer), dann spätestens sollte man skeptisch werden. Weil man sich dem Mainstream immer anpassen muss, um erfolgreich zu sein. Und dass der Mainstream eine Neigung zu unterkomplexen, aber dafür lautstark vorgetragenen Meinungen hat, das ist nun wirklich kein Phänomen unserer digitalen Welt mehr.