Spätestens seit der Pandemie und all ihren Unannehmlichkeiten kennen wir das Spiel auch in Deutschland nur zu gut: Wenn man irgendwas nicht versteht oder es läuft nicht ganz so, wie man es gerne hätte, spätestens dann biegt jemand um die Ecke und faselt irgendwas von: “die Medien”. Meistens sind “die Medien” in diesem Narrativ eine Mischung aus raffiniert und trottelig, in jedem Fall aber böse manipulativ. Getrieben von dem Auftrag, uns umzuerziehen, ob im eigenen Interesse oder im Auftrag von jemand anderen, das können Sie sich gerne selbst aussuchen. Read More
Es ist jedenfalls ein Phänomen, wie neuerdings von allen Seiten die These aufgestellt wird, dass eine Gesellschaft ein dummer Hühnerhaufen ist, der von einer kleinen journalistischen Elite vergackeiert wir. Nebenbei bemerkt: Schade, dass mir meine eigene Wirkmächtigkeit nicht schon früher klar war, man hätte echt was draus machen können (Ironiemodus wieder aus).
In die lange Reihe derer, die dieses Narrativ (das sagt man heute gerne so, glaube ich) aufrecht erhalten, gehören jetzt zwei Herren, deren Intellekt vor allem durch permanente TV-Präsenz geehrt wird: Richard David Precht und Harald Welzer. Die beiden Herren werden im September ein Buch veröffentlichen, das uns klar vor Augen führt:
Nebenbei: Nett, dass ausgerechnet zwei Herren, die zu den größten Profiteuren “der Medien” gehören, plötzlich wehklagen, wie sehr die Medien die Menschen manipulieren; der Widersinn könnte sogar einen Philosophen und einem Soziologen ins Auge fallen. Fehlt nur noch, dass sie darüber lamentieren, dass man ja bald gar nichts mehr sagen dürfe.
Was wiederum ein Beleg dafür ist, was Menschen wie Precht und Welzer schon lange nach außen hin demonstrieren: dass sie nämlich die meisten Menschen für dumm und manipulierbar halten. Das steht für eine bestimmte Geisteshaltung. Ob die links oder rechts ist, keine Ahnung. Die Querdenker jedenfalls haben ja nicht umsonst immer von den Schlafschafen gesprochen, Precht und Welzer werden es halt ein wenig hübscher formulieren. Die Aussage ist die gleiche: Ihr werdet alle manipuliert und merkt es nicht; gut dass es die Prechtwelzers dieser Welt gibt.
Die intellektuelle Form der Verschwörungstheorie
Ich weiß nicht so ganz, wie man eine solche Haltung bezeichnen soll. Dumm? Perfide? Arrogant? Ein sagenhafter Mix aus allem? Diese Haltung setzt nämlich voraus, dass es sich bei einer beträchtlichen Menge von Menschen um solche handelt, die weitgehend hirnbefreit leicht zu manipulieren ist. Jedenfalls ist eine kaum verklausulierte Form der Verschwörungstheorie, glaubt man ernsthaft, es würde sich bei den Medien um eine dunkle Manipulations-Macht handeln.
Zumal für diese Theorie Medien ja auch noch tatsächlich “selbstgleichgeschaltet” sein müssten, wie die beiden Herren behaupten. Wie man dann allerdings Taz und die FAZ, Tichys Einblick und Jungle World, die Zeit und Bild ernsthaft als “gleichgeschaltet” sehen will, das ist einigermaßen schwer zu verstehen.
Der gerne verwendete Rückschluss, der öffentliche Tenor sei (Beispiel Ukraine-Krieg) oft so wie der Tenor der Medien, ist Nonsens und die Logik der Überheblichen. Es könnte ja schlichtweg auch so sein, dass es, ebenfalls Beispiel Ukraine-Krieg, eine große Übereinstimmung gibt. Es gibt einen Täter und ein Opfer, auch wenn speziell Harald Welzer das gerne komplett anders sieht und deswegen den Ukrainern schon mal in erstaunlicher Bräsigkeit erklärt, was sie gerade falsch machen. Nicht jeder, der Welzers Thesen für Nonsens hält, ist ein Opfer der Medien-Manipulation.
Es gibt ausreichend viele Menschen, die ein Gespür haben, wenn sich Autoren und Medien vergaloppieren. Der in vielen Kreisen verehrte (von mir übrigens keineswegs) Sascha Lobo präsentierte in seiner letzten Kolumnen einige reichlich steile Thesen zum Thema Transfeindlichkeit (kleiner Einschub: Ich weiß, das ist das Geschäftsmodell von Lobo, steile Thesen zu präsentieren, selbst wenn er selbst nicht an sie glaubt). Jedenfalls erntete Lobo einen ganzen Haufen böser Kommentare, die meisten attestierten ihm, kompletten Unsinn zu schreiben. Welzer und Precht zufolge hätte das nie passieren dürfen, weil: Menschen glauben ja fast alles, was “die Medien” ihnen vorsetzen.
Irgendwie gegen den Mainstream zu sein, die Theorie von der schlafenden Masse: Das ist zu einem einträglichen Geschäftsmodell geworden. Nicht nur für Querdenker, von denen man gerade eh nicht so viel hört. Sondern auch für Precht und Welzer und auf der anderen Seite Julian Reichelt, der die eher schlichten Gemüter bedient. Wutbürger und Arroganzlinge, so groß ist der Unterschied gar nicht. Am Ende befeuern beide die Unzufriedenheit der Zukurzgekommenen, von denen es ja, zumindest gefühlt, in jedem Milieu ausreichend viele gibt.
Das eigentliche Problem sind schon lange ganz andere Spieler am Markt
Verblüffend ist ja nicht nur, dass Welzer und Precht klassische Querdenker-Narrative bedienen. Sondern, dass zwei vermeintliche intellektuelle Großmeister den eigentlichen, den wirklichen dramatischen Wandel beim Einfluss, den Medien auf uns haben, geflissentlich übersehen. Wie kann man ernsthaft den Einfluss von ein paar Journalisten, die möglicherweise irgendwelche politischen Positionen einnehmen, für größer halten als den von Maschinen wie TikTok (ja, ich weiß, um diesen Laden ging es in letzter Zeit öfter). Niemand verfügt über so viel Wissen über seine Nutzer. Keine Plattform schafft es, mit einer Unmenge an Mikrosignalen seinen User so zu kalibirieren, dass er in dieser ewig flimmernden Welt gefangen bleibt.
Sie meinen, was soll´s, sind ja nur ein paar lustige Wackel-Videos? Das wäre ein naiver Gedanke, weil sich inzwischen neben den vielen lustigen Kiddies fast alles, was von Relevanz ist, Gedanken über ein Engagement bei TikTok macht. Und hätten Sie es jemals für möglich gehalten, dass die Kommunikation eines Kandidaten und späteren US-Präsidenten zu einem beträchtlichen Teil über Twitter und Facebook läuft und dabei mehr Wirkung entfaltet als irgendein Interview in einem TV-Sender oder einer mittelgroßen Zeitung? Der Trumpismus wäre ohne Social Media nie möglich gewesen.
Soll also bitte keiner mehr sagen, dass es neben den unbestritten guten Seiten der Netzwerke nicht auch ein beträchtliches zerstörerisches und destruktives Potential gibt. Und da kommen Welzer und Precht wieder mit dem ollen Gassenhauer von “den Medien” um die Ecke? Wie langweilig, wie banal und wie falsch.
… und genau DAS ist ja das große Rätsel: Wie konnte es dazu kommen, dass das Verhältnis von „Schwere Waffen-Lieferanten“ zu vorsichtigeren Zeitgenossen wochenlang – genauer gesagt bis zu dem „Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz“ über EMMA in jeder Polit-Talkrunde etwa 4:1 war? Der oder die eine Vorsichtige musste sich teilweise niederbrüllen lassen von Marieluise, von Wadephul oder Frederic Pleitgen, während Anne Will (wird bezahlt von den Öffentlichen-Rechtlichen) lächelt dazu in Wohlgefallen, während Lanz (ZDF) gleich selbst mitbrüllte und verhinderte, dass die Kritikerin von Waffenlieferungen überhaupt zu Wort kommen konnte! Gerne wurde auch Herr Melnyk auf die KritikerInnen losgelassen, der nun wirklich von allen ungestraft Jeden und Jede beleidigen durfte, wie er lustig war. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass eine sachliche Auseinandersetzung von MedienvertreterInnen in ARD und ZDF (die sozialen Medien, geschweige denn TicToc o.ä. interessieren hier überhaupt nicht!) regelmäßig und gerne verhindert wurde, und zwar durch die Auswahl der Gäste und durch die Art des Moderierens – es gibt viele Möglichkeiten, Redezeit zu verteilen und zu entziehen. Ich nehme an, dass Ihnen als langjährigem Journalisten auch das schon aufgefallen ist … Eine Ausnahme allerdings stellt für mich der Sender PHOENIX dar – hier war es sogar möglich, dass Vertreter der vor- und weitsichtigen Fraktion wie z.B. Dietmar Bartsch und ein Historiker sich sehr sachlich über den Krieg in der Ukraine, die Beteiligung des Westens und mögliche Konsequenzen unterhielten.
Schauen Sie, es geht nicht darum, wer Recht hat, sondern darum, ob jeder die Chance erhält, seine Argumente darzulegen (solange es sich um Meinungen handelt, Rassismus z.B. ist natürlich KEINE Meinung), ohne dafür diskreditiert, diskriminiert, diffamiert, beleidigt, niedergebrüllt oder ausgegrenzt zu werden. Und darin haben die die Massenmedien, abgesehen von einzelnen Beiträgen in der Tagespresse, tatsächlich und für mich unerklärlicherweise wochenlang versagt – bis der Brief in EMMA erschien. Natürlich fühlt sich unsere wertegeleitete Bundesaußenministerin „äußerst verstört“ durch das Anliegen der Vorsichtigen, aber das bitteschön darf doch kein Grund für eine Selbstgleichschaltung unserer Massenmedien sein! Ist es auch nicht, aber war ist es dann? Mir war es ein Rätsel, und deshalb war ich sehr dankbar für die gestartete Gegenoffensive. Und wenn diese Entwicklung nun von einem Wissenschaftler (denn genau das ist Prof. Dr. Harald Welzer, und zwar ein sehr geschätzter) und einem Philosophen, dem man seine Eloquenz nicht ständig vorwerfen sollte und der es als erster in Deutschland tatsächlich geschafft hat, Philosophie aus dem Elfenbeinturm in den Alltag zu bringen, unter die Lupe genommen und ausgewertet wird, dann bin ich persönlich dafür sehr dankbar.
Hochachtungsvoll,
Silvia Dulisch