Irgendwann, gefühlt vor Dekaden, habe ich mal gelernt: Haltung hat in Medien und Kommunikation nicht zu suchen, speziell im Journalismus nicht. Und auch, wenn das inzwischen viele andere sehen, sollte man dabei bleiben: Meinung gerne, Haltung nein. Read More
In der neuen Ausgabe des “Journalist” (für alle, die das nicht kennen, was man ja nicht zwingend muss: Das ist die Mitgliederzeitschrift des Deutschen Journalistenverbandes) liegt zumindest in Bayern ein DIN-A-4 großer 16-Seiter bei. Kunde des “Journalist”, der sich ab und an aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit auch “Journalistin” nennt, ist die Medien Bayern GmbH. Die wiederum ist die nach eigener Beschreibung “neue Dachgesellschaft” für den Medienstandort Bayern und u.a. auch Veranstalter der Medientage München. Außerdem ist sie eine Tochtergesellschaft der BLM, das sind die bayerischen Medienaufseher. Finanziell gefördert wird sie zudem von der Bayerischen Staatskanzlei.
Dieses staatlich bezuschusste Tochterunternehmen der bayerischen Medienaufseher jedenfalls hat jetzt einen 16-Seiter produziert und dem “Journalist” beigelegt. Das Thema des Heftchens: “HALTUNG BITTE!” (Das steht da ernsthaft so).
Und damit es erst gar keinen Zweifel gibt, wo es langgeht, heißt es gleich im ersten Satz des Heftes:
“Angesichts globaler Krisen, des Strebens nach Gleichberechtigung und mehr Diversität rückt Neutralität in der Medienbranche ins Abseits.”
Den Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. “Neutralität rückt ins Abseits”, da stellt man mal eben alles auf den Kopf, was über viele Jahrzehnte ein ziemlich eisernes Prinzip des Journalismus war. Und nein, das ist kein Missverständnis, keine gewagte Interpretation. Stattdessen heißt es weiter:
“Meinungen lösen sich aus der Kommentar-Rubrik, Formate mit klarer Haltung boomen.”
Es geht nicht um eine Haltung – es geht um die richtige Haltung
Dabei geht man vermutlich nicht zu weit, wenn man festhält: Es geht den staatlich subventionierten bayerischen Medienmachern nicht darum, dass Medien irgendeine Haltung haben. Sondern die richtige Haltung. Siehe die Beschreibung oben: mehr Gleichberechtigung, mehr Diversität, you name it.
Man darf also mal davon ausgehen, dass ein stramm rechtes Blatt wie “Tichys Einblick” vermutlich keine Chance hätte, sich darauf zu berufen, einfach nur Haltung zu zeigen. Und weil man bei sowas ja heutzutage sehr vorsichtig sein muss, der klare Hinweis: Ich hege keinerlei Sympathie für Tichy. Ich staune trotzdem, wie zügig es geht, dass Medienmenschen (m/w/d) für sich beanspruchen, die richtige Haltung einzunehmen. Dieses verblüffende Sendungs- und Selbstbewusstsein reicht dafür aus, mal eben ein Heft zu produzieren, in dem eine Art Gebrauchsanweisung für ordentliches Benehmen geliefert wird.
Auch dafür gibt es Gründe. Beispielsweise den hier:
“Der Mensch braucht mehr statt harte Fakten, er braucht ein Narrativ.”
Auch das ein O-Ton aus diesem Heft, auch das einer, den man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen muss. Journalisten und Medienmacher als diejenigen, die den Usern zu den Falten gleich noch das passende “Narrativ” dazu liefern? Ich weiß nicht, was das sein soll, aber Journalismus würde ich das nicht nennen. Bisher bin ich eher davon ausgegangen, dass der Begriff “Narrativ” in die Kategorie des Business-Bullshit-Bingo gehört, aber ok…
Davon ab: Braucht der Mensch das wirklich? Natürlich nicht. Schon alleine deswegen nicht, weil sich “ein Narrativ brauchen” so verflixt nach “ein bisschen Erziehung brauchen” anhört. Und was bedeutet das in der Konsequenz? Dass Medien fortan dafür zuständig sind, den Menschen die “Narrative” zu liefern, die sich “brauchen”? Zu Ende gedacht könnte man so auch Propaganda nicht nur rechtfertigen, sondern sie für dringend nötig erklären.
Haltung ist inzwischen zum trendy Hashtag-Irgendwas verkommen
In den allermeisten Fällen interessieren mich die “Haltungen” von Medien und Unternehmen nicht sonderlich. Weil ich sie ohnehin kenne, weil sie mich weder überraschen und inspirieren. Und weil sie in vielen Fällen so erwartbar und platt sind. Hätte mich jemand gebeten, mal blind zu raten, was in dem kleinen Medientage-Heftchen wohl drin steht, ich hätte vermutlich exakt diesen Verlauf prognostiziert. Irgendwas mit viel Diversity und Achtsamkeit und noch ein paar andere Buzzwords. Und dass Aldi und Douglas und andere plötzlich die Nachhaltigkeit für sich entdeckt haben, das ist eher dem Image als wirklicher Überzeugung geschuldet. Glaube ich denen das? Um ehrlich zu sein: kein Wort. Aber auch das Geizkragen-Unternehmen Aldi weiß, dass man inzwischen nicht mehr allzu sehr Werbung mit Billigpreisen machen sollte. Stattdessen stellt man sich als irgendwie nachhaltig, tier- und klimafreundlich hin und faselt irgendwas mit Purpose. Haltung ist inzwischen zum trendy Hashtag-Irgendwas verkommen.
Ich dachte im Übrigen bisher immer, dass bestimmte Sachen keine „Haltung“, sondern eine Selbstverständlichkeit für jeden halbwegs humanistischen Menschen sind: dass man niemanden wegen seiner Hautfarbe, seiner sexuellen Orientierung, seines Geschlechts wegen diskriminiert. Dass man das inzwischen zum Gegenstand von Werbung für Slipeinlagen und Schokokekse macht, kommt mir ein kleines bisschen lächerlich und moralinübersäuert vor.
Kleiner Einschub: Ich habe die Tage einen Artikel gelesen, in der eine PR-Frau unter der sagenhaft einfallslosen Überschrift “Purpose is King” schrieb, sie arbeite nicht des Geldes, sondern des Purpose wegen. Selbstverständlich glaube ich ihr das auch beinahe, trotzdem bin ich etwas irritiert, weil angesichts der jetzigen Lage die Welt vor der endgültigen Erlösung stehen müsste: Fast alle sind nachhaltig, arbeiten für Sinn statt für Geld, das Klima müsste demnach bald gerettet sein und alles andere auch. Außerdem sind wir divers und inklusiv. Gut, es gibt einen Krieg, eine Pandemie und noch ein paar andere Kleinigkeiten, aber wird denn pingelig sein? Wenn man stattdessen auch was Nettes, Gefühliges erzählen kann, wogegen ja kein Mensche ernsthaft etwas einwenden kann. Wer gegen Nachhaltigkeit, Purpose und Haltung ist, bringt auch Hunde-Welpen um.
Noch ein kurzer Einschub: Ausgerechnet im Journalist, in dem es vor Gender, New Work und Purpose nur so wimmelt, ausgerechnet dort also beklagt Michel Abdollahi, Gründer des Online-Kanals “Viertes Deutsches Fernsehen” das Fehler (junger) konservativer Stimmer im öffentlich-rechtlichen Sendeapparat, insbesondere bei Funk. Er selber hat es auf seinem Kanal auch versucht, irgendwas außerhalb der links-grünen Bubble zu installieren. Keine Chance, wie er einräumt. Man muss nicht mal selbst konservativ sein, um ihm Recht zu geben. Medien und Kommunikation, das ist heute ein erstaunlich denkfauler Betrieb, in dem du für einen Beitrag bei, sagen wir, LinkedIn, tausende Likes dafür bekommst, wenn du wie ein Schreibroboter die Begriffe Purpose, Diversity und noch irgendwas anderes Gefühliges gut verteilst. Umgekehrt ist dir der entrüstete Shitstorm fast sicher, wenn du vorsichtig anmerkst, dass es sich in vielen Fällen um ziemlich lahme Phrasenrescherei handelt.
Übrigens zeigen neuerdings auch die Hersteller von stark gezuckerten und eher ungesunden Keksen sowas wie “Haltung”. Andere, große Firmen auch, nur nicht überall. Dass man etwas riskieren würde, soweit reichen dann Gratismut und Haltung doch nicht. Wie sagt man so schön? Talk is cheap. Pridefarben zu zeigen, wo es komplett risikolos ist und man dafür ein paar Follower und Likes abgreifen kann, das ist cheap. Aber Haltung und Humanismus nennt man sowas besser nicht.
Zurück zum Haltungs-Heft der Medienbayern. Mit der Haltung, der richtigen, geht es dann auch immer weiter im Text.
Müssen Medienschaffende anders denken? (Seite 3).
Spoiler: Wir sind auf einem guten Weg, aber manchmal tarnt sich Rassismus auch als Religionskritik.
Interviewpartnerinnen sind zwei Vertreterinnen des Vereins “Neue deutsche Medienmacher*innen”. Der Verein hat übrigens 2021 seinen Anti-Preis “Goldene Kartoffel” an die “unterirdische Debatte über Identitätspolitik” verliehen. Was konsequent und vielsagend ist. Man bewertet eine Debatte als solche mal eben als unterirdisch, weil sie einem nicht passt. Das muss diese Haltung sein, von der man neuerdings so viel hört. Die Debatte selbst wird von der Jury als “neurechtes Geschwafel” abgetan.
Und weiter geht es.
“Wie kann ein Medienkonzern Haltung zeigen?” (Seite 4)
“Was sind die wichtigsten Aufgaben einer Diversity-Beauftragten?” (Seite 5)
“Menschen brauchen Narrative” (Seite 8)
Und schließlich, im Grunde konsequent:
“Who to follow”, Seiten 12 und 13, der Guide zu den Accounts, die Haltung zeigen.
Noch mehr davon?
“Du willst noch weitere Media Heroes aus der Bayerischen Medienbranche entdecken? Bei uns findest du sie alle. Lerne mutige Vordenker:innern und Kreativköpfe kennen”.
So ist das also mit den sendungs- und haltungsbewussten Medienmachern in Bayern. Wer ein “Hero” ist, definiert eine Tochter der BLM. Allen anderen, die da nicht drin sind – denen fehlt es dann wohl, ja genau, an Haltung.
Zumindest an der richtigen.