Digitales Leben, schön und recht. Aber gerade das dann doch irgendwie kaum mehr abstreitbare Ende der Pandemie-Schrecken zeigt auch etwas anderes: Das echte Leben lässt sich nicht durch ein virtuelles ersetzen. Für viele Tech-Unternehmen und Digital-Strategen heißt es jetzt: umdenken, die Party der Digitalisierung ist vorerst vorbei. Read More
Unlängst hat Zoom (das sind die Erfinder des Zoomens, Sie wissen schon) eine Neuerung eingeführt. Man kann dort nun auch Whiteboards anlegen und mit solchen kollaborativ arbeiten. Falls Sie jetzt gegähnt haben, kann ich Ihnen das nicht verübeln. Solche Langweiler-News am Anfang eines Textes, in jeder Journalistenschule würde dieser Text (virtuell) rot eingekringelt und mit der Frage versehen, ob man für den Anfang nicht etwas Spannenderes zu bieten habe.
In diesem Fall ist das so: Die Langeweile dieser Nachricht ist die eigentliche Nachricht. Ein Whiteboard, im Jahr 2022. Da würde man die Zoomer gerne fragen: Mehr habt ihr nicht mehr auf der Pfanne als sowas? Und natürlich könnte man diese Geschichte in die verschiedensten Richtungen interpretieren. Aber heute soll es gar nicht so sehr um Zoom alleine gehen. Sondern eher um die Frage: Was nehmen wir denn jetzt mit aus dieser Pandemie, die aus medizinischer Sicht noch nicht vorbei ist, gefühlt für die allermeisten aber schon?
Die Pandemie markiert den Höhepunkt der Party – jetzt ist Realismus gefragt
Dazu muss man erstmal zurück springen ins Jahr 2020, als man irgendwie zu ahnen begann, dass es mit drei Wochen zuhause bleiben alleine vermutlich noch nicht getan sein wird. Die Tech-Optimisten unter uns sahen nichts anderes als eine Zeitenwende, das war, bevor dieser Begriff in einem ganz anderen Zusammenhang bekannt wurde. Zeitenwende hieß: Nie wieder wird es so sein wie vorher.
Auf den meisten handelsüblichen Rechnern wurde neben Zoom allerlei anderer Kram installiert, die Hardcore-User erinnern sich an die Schrecken, die Schrott-Lösungen wie “Big Blue Button” oder “Go to” verbreiteten. Man war sich außerdem einig, dass Meetings, Seminare und überhaupt die halbe Welt in Präsenz ihre beste Zeiten hinter sich haben. Zudem begannen die Menschen virtuell Fahrrad zu fahren, Peloton hat sich in dieser Zeit dumm und dämlich verdient.
Vermutlich haben die Optimisten (Hinweis: Ich war auch optimistisch, aber nicht euphorisch) ein paar Dinge falsch eingeschätzt. Beispielsweise, dass sich Menschen schon sehr gerne persönlich begegnen, wenn nicht gerade ein tödliches Virus unterwegs ist. Dass sie eine Zug- oder Autofahrt zu einer Veranstaltung als weniger anstrengend empfinden als ein vierstündiges Meeting an einem Bildschirm. Und dass das Fahrradfahren in der Natur immer schöner bleiben wird als eine noch so ausgefeilte Simulation an einem 3000-Euro-Rad im Wohnzimmer. Schon alleine deswegen, weil man frische Luft nicht simulieren kann. Und immer nur Netflix, ach, wer will das schon?
Für alles, was irgendwie mit Digitalisierung zu tun hat, ist das also gerade ein komischer Punkt. Nicht nur, weil die eine Groß-Krise gerade von der nächsten abgelöst wird. Und nicht nur, weil Elon Musk plötzlich Alleinherrscher über Twitter wird. Stattdessen macht sich, erstmals nach vielen Jahren des ungebremsten und durch die Pandemie angeschobenen Wachstums etwas anderes breit: Zweifel. Ab und an hört man mittlerweile sogar von Investoren, die allen Ernstes ihre Beteiligungen daraufhin überprüfen, ob und wie sie Geld verdienen können. Das wäre vermutlich vor zwei Jahren noch als Hasenfüßigkeit verlacht worden.
Digitale Supernovas
Ein paar der Giganten wirken zudem gerade wie digitale Supernovas, die auf existenzielle Herausforderungen zusteuern. In Zahlen: Giganten wie Apple, Microsoft, Google, Amazon, Facebook und Netflix haben in diesem Jahr zusammen schon rund 1,3 Billionen Dollar an Marktwert verloren. Das kann natürlich nur eine vorübergehende Flaute sein. Oder aber ein Beleg dafür, dass die Endlos-Party der letzten zehn Jahre, mit ihrem ekstatischen Höhepunkt während der Pandemie, vorerst vorbei ist. Digitalisierung gerne, aber bitte auch: realistisch.
Viele Einzelhandelsumsätze haben sich von der Online-Einkaufsmanie des Jahres 2020 zurück in die physischen Läden verlagert. Es hat sich herausgestellt, dass nicht jeder die ganze Zeit zoomen oder in seinem Esszimmer Peloton fahren will. Unternehmen, die im Jahr 2020 in Panik Technologie für die Arbeit von zu Hause aus gekauft haben, brauchen vielleicht eine Zeit lang keine mehr.
Dazu kommt: Viele der Kern-Produkte der Giganten der Digitalisierung sind an ihrem Peak angekommen, ihre Geschichte ist auserzählt. Klar, Apple wird irgendwann das iPhone 17, 18 und 19 vorstellen. Facebook wird es weiterhin geben und man wird dort auch in Zukunft neue Funktionen finden, die man sich irgendwo anders zusammen geklaut hat. Aber irgend eine Idee, die Phantasien wecken? Aktuell nicht in Sicht, zumal auch die Idee des Metaversums erstens noch eher vage und zweitens nicht unumstritten ist.
Was man vorerst mitnehmen kann, ist eine banale Erkenntnis. Dass Menschen gerne bereit sind, ihr Leben hybrid zu leben. Dass sie wissen, dass das eine das andere nicht ausschließt. Zoom und andere werden weiterhin ihre Berechtigung haben, aber Veranstaltungen in Präsenz werden davon nicht ersetzt. Online shoppen? Klar, gerne. Aber mindestens genauso gerne im richtigen Laden. Bücher? Tolle Sache, wenn man sie in den Urlaub auf einem Reader mitnehmen kann. Aber deswegen muss man ja keineswegs auf die Haptik von Papier verzichten, wie deren ungebrochen hoher Marktanteil beweist.
Und so könnte man diese Liste immer weiter fortführen. Am Ende bleibt die Erkenntnis der Digitalisierung des Jahres 2022: Wer in Entweder-oder-Kategorien denkt, schießt sich selbst ab.
Die Zukunft heißt: sowohl als auch.