Traumberuf “Was mit Medien”? Naja, nicht mehr so ganz. Beträchtliche Teile der Branche haben mit Nachwuchssorgen und Fachkräftemangel zu kämpfen. Warum das so ist und wie man das ändert – denken Sie dran: Wir haben 2022! TikTok, TikTok: Die Welt vertiktokisiert sich gerade. Read More
Lust auf ein paar Geschichten aus uralten Zeiten (die bei mir eh unvermeidlich sind)?Als ich vor gefühlt 100 Jahren beschloss, was mit Medien, genauer gesagt: Journalismus, machen zu wollen, da wusste ich, dass es schwer werden könnte. Volontariate beim damaligen einzig existierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk waren eine Utopie, dazu musste man jemanden kennen, ein Parteibuch haben und um einiges besser sein als viele andere. Ideal war eine Kombination aus allen drei Faktoren und ich hatte keinen einzigen davon.
Journalistenschulen? Habe ich versucht, weil es den Vorteil hatte, dass es dort nur darauf ankam, besser als die anderen zu sein. War ich aber nicht. Es waren, zu meiner Ehrenrettung, damals aber auch viele, viele andere, die das auch wollten.
Volontariat bei einer Tageszeitung, gerne auch klein und beschaulich? Man empfahl mir ernsthaft, ein bis zwei Studienabschlüsse zu erwerben und nebenher schon möglichst viel für Zeitungen zu schreiben, dann hätte ich vielleicht, ganz vielleicht eine Chance.
Aber wie das Schicksal manchmal so spielt: Ich kannte jemanden. Ich hatte kein Parteibuch, war nicht besser als die anderen, hatte keinen Studienabschluss, aber dafür plötzlich ein Volontariat, wofür ich dem örtlichen Verleger immer noch dankbar bin. Heute, wo es auf die Zielgerade meines Berufslebens zugeht, kann ich das ja zugeben. Ich schäme mich nicht mal dafür, man musste damals nehmen, was man irgendwie bekommen konnte. Zeiten des Mangels, klingt irgendwie wie kurz nach dem Krieg.
Und damit springen wir mal eben ins Jahr 2022.
Großverlage, zu denen man vor Jahren noch zu Fuß gelaufen wäre, suchen inzwischen mehr oder weniger verzweifelt Personal. Selbst renommierte Schulen wie die DJS räumen ein, dass der Peak der Bewerberzahlen lange vorbei ist und damit ebenso die Zeiten, in denen eine Ausbildung an der DJS oder der Nannen-Schule de facto unerreichbar war. In den Unternehmen denkt man darüber nach, was man den lieben Bewerbern so alles an Goodies mitgeben könnte (und wer das alles nicht glaubt, kann es auch einfach hier nachlesen).
Klassische Medien wirken im TikTok-Zeitalter zunehmend bieder
Nichts zeigt den digitalen Wandel in Medien und Kommunikation deutlicher als die Entwicklung beim Thema Personal. Der einstige Traumberuf des Journalisten ist einigermaßen abgewertet, im öffentlichen Ansehen ebenso wie bei den Einkommensmöglichkeiten. Wer jetzt sagt, kein Wunder, die gehen ja auch alle in die PR: Trugschluss, auch Agenturen haben zu suchen und zu kämpfen. Wer sich die Fluktuation in dieser Branche anschaut, der ahnt, dass es dafür ebenfalls handfeste Gründe gibt. Von Berufs wegen habe ich immer wieder mit der Branche zu tun. Wenn jemand wesentlich länger als zwei, drei Jahre in einem Laden ist, dann staune ich. In unserer kleinen Datenbank bei HYBRID Eins werden jedenfalls nirgendwo so oft die Kontaktdaten nachgebessert wie bei den Freunden aus den PR-Agenturen und anderen Marketing-Bereichen (auch das lässt sich plausibel nachlesen.)
Über Arbeitsbedingungen lässt sich wunderbar klagen und debattieren und meistens gibt es dafür auch sehr gute Gründe. Doch das alleine ist es nicht. Stattdessen erleben weite Teile der Branche das, was die Tageszeitungen in Deutschland seit nunmehr schon fast 20 Jahren kennen: Man wird uncool. Unattraktiv. Man wird zur analogen grauen Maus, wenn man mit bei den Methoden und Inhalten des Web 2.0 stecken geblieben ist, während draußen vor der Tür etwas lauert, was irgendwie wie ein Web 3 aussehen könnte. Wen will man, überspitzt gesagt, noch mit den Vorzügen einer guten Betriebskantine ködern, wenn es den High Potentials unserer Tage eher um flexibles Arbeiten, um Home Office, Remote Working und sogar sowas wie dem totgenudelten “Purpose” geht? Vieles davon wird man selbst in den gut gemeinten Initiativen der Verlagssauerier und pressemitteilungsschreibenden Agenturen eher selten finden.
Und auch das spielt eine Rolle: Die gefühlte Distanz zwischen Redaktionen, Agenturen und den einigermaßen hippen sozialen Netzwerken (nein, liebe Verlagsmanager, wir reden gerade nicht von Facebook) war selten so groß. Man kann ja mal versuchen sich vorzustellen, wie ein TikTok-sozialisierter junger Mensch plötzlich in eine Redaktion klassischen Zuschnitts kommt, in der sie ihm erzählen, dass man gelegentlich auch mal bei Insta unterwegs sei und man damit schon an der Spitze der Innovations-Bewegung stünde. Beim früheren Bewerber durfte man schon halbwegs froh sein, wenn er ein paar Sachen irgendwo als Praktikant gemacht hatte. Bei den Digital-Generationen Z ff. kommen, wenn dumm läuft, Menschen mit ein paar tausend Followern und ihren sehr eigenen Kanälen daher.
Die große Vertiktokisierung
Bevor Sie es einwenden: Ich weiß, TikTok ist nicht Journalismus und ein erfolgreicher Instagramer ist noch lange kein guter Agenturmensch. Trotzdem, selbst bei Facebook finden wir heute schon so was ähnliches wie Reels und Storys. Medien und Kommunikation haben sich weitgehend vertiktokisiert, das muss man nicht nur einfach zur Kenntnis nehmen, sondern auch in der Praxis umsetzen. Wenn ich mich heute mit jungen Kollegen unterhalte, stoße ich fast immer auf eine größer werdende Kluft: Der Job hat mit der eigenen Medien-Nutzung fast nichts mehr zu tun. Das ist nicht nur wenig zukunftsorientiert, sondern trägt auch dazu bei, dass solche Jobs zunehmend unattraktiver werden.
Der Brain Drain hat Folgen, auch das müssen viele Verlage unfreiwillig schon seit zwei Jahrzehnten unfreiwillig bekronzeugen. Selbst wenn man zumindest quantitativ noch ausreichend Leute bekommt, es sind nicht mehr die Besten der Guten, die dort hingehen (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel). Wie das dann weitergeht, kann man sich mühelos ausrechnen. Das, was man bräuchte, nämlich kreative, inspirierende und innovative Ideen kommen zu kurz. Man verliert die Exzellenz, rutscht irgendwann ins besitzstandswahrende Mittelmaß. Es ist ein Teufelskreis, aus dem man nur ganz schwer wieder rauskommt. Zumal es mittelfristig ökonomische Folgen gibt, man hat weniger Mittel für Investitionen zur Verfügung, man muss sparen…man kennt das, auch da geben viele Tageszeitungsverlage der letzten Jahre ein trauriges Beispiel ab.
Seien Sie also nett zu Ihren Leuten, kümmern Sie sich um die Besten, denken Sie nicht immer in Schablonen, sorgen Sie sie darum, dass Sie erst gar nicht gehen.
Wenn Sie erstmal ominöse Werbeoffensiven starten müssen, ist es meistens zu spät – und dauerhaft so erfolgsversprechend wie das Kaffemaschinen-für-Abo-Modelle.
Und schauen Sie ab und an mal bei TikTok vorbei.
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