Fühlen Sie sich auch manchmal so richtig hip? Sie nutzen viele digitale Technologien wie Zoom und denken, die Pandemie habe Sie so richtig vorwärts gebracht, zumindest in Sachen Digitalisierung? Ging mir auch lange Zeit so, wenn ich morgens meine technische Schaltzentrale angeworfen habe. Inzwischen ist dieses Hochgefühl einer leisen Ernüchterung gewichen. Read More
Kennen Sie Zoom noch? Natürlich kennen Sie das, “zoomen” ist inzwischen in unseren täglichen Sprachgebrauch übergegangen. So wie googeln. Oder netflixen. Wenn es mal soweit ist, dass aus einem Markennamen auch ein Verb wird, dann hat die Marke es geschafft. Und nicht nur das: Die Transformation zeigt, dass etwas selbstverständlich geworden ist. Zoom, das Tempo-Taschentuch des digitalen und pandemiebedingten Wandels sozusagen.
An der Börse sieht man Zoom nicht mehr ganz so euphorisch wie beispielsweise zu Beginn der Pandemie. Das hat ein paar ganz simple Gründe, wie beispielsweise den, dass Zoom es versäumt hat, sich als Kommunikationslösung weiterzuentwickeln. Nach wie vor ist Zoom ein Anbieter für Videocalls. Das ist ok so, aber eben nichts mehr, was die Fantasie von Anlegern oder auch nur digitalen Strategen anregt. Man könnte auch sagen: Zoom, das ist so 2020. Die digitalen Zeiten sind schnelllebig, deal with it. Das führt dazu, dass Zoom inzwischen wieder auf den Börsenwert zu Beginn der Pandemie zurückgeworfen ist.
Keine Sorge, das wird jetzt kein Proseminar Börse. Das Beispiel zeigt nur: Zwei Jahre lang haben Investoren jedem das Geld hinterhergeworfen, der irgendwas von Innovation erzählte. Journalisten sind darauf angesprungen, so wie eigentlich alle anderen auch. Die letzten zwei Jahre: ein technologischer Rausch, der uns alle ein bisschen geblendet hat.
Weil, wenn man ehrlich ist: Video-Calls gab es schon von Corona, das gemeinsame Arbeiten in Clouds samt dazugehörigem Datenaustausch sollte eigentlich niemanden vom Hocker hauen, der sich schon mal auch nur ein bisschen mit Technologie beschäftigt hat. E-Commerce, Voice over IP, QR-Codes? Jaja, alles schön und recht, aber nichts davon ist während der letzten zwei Jahre entwickelt worden. Das alles gab es schon vorher, wir haben jetzt nur entdeckt, dass man das auch mal nutzen könnte (wobei man schon zugeben muss, dass ein Zoom-Videocall ein bisschen hübscher ist als das klassische skypen, wie wir es viele Jahre kannten und woran man nur eingeschränkt Spaß haben kann, wenn man nicht gerade über masochistische Züge verfügt).
Die Magie der Technologie ist also wieder verschwunden. Zurückgegangen auf Normalmaß. Und wir stehen da nach zwei Jahren, in denen wir uns selbst auf die Schulter geklopft haben mit der Frage: War’s das schon wieder? Und: Was hat das überhaupt gebracht?
Sieht man die Sache aus dem Blickwinkel von Medienmachern, dann kann man festhalten: Technik macht manche Sachen leichter. Man kann sich jetzt schneller mit Menschen “treffen”, man muss für Interviews oder Meetings keine langen Strecken mehr zurücklegen. Die Tage beispielsweise hatte ich ein vergleichsweise kurzes Gespräch mit jemandem, der in Wien sitzt. Für ein 30-Minuten-Gespräch deutlich zu weit entfernt. Klar, das hätte man mit dem Telefon früher auch machen können. Aber in einem Video-Call kann man gerade Interviews dann doch angenehmer führen, immer noch persönlicher jedenfalls, als mit einem Telefonhörer zu sprechen.
Vergesst Zoom, vergesst Remote-Arbeiten – das ist öde Gegenwart, nicht Zukunft
Überhaupt, das Remote-Arbeiten, wie man das inzwischen so schön nennt. Das macht das Leben deutlich einfacher, aber wenn man ehrlich ist: Mit ein bisschen Technik-Know-How hätte man das schon vor Jahren haben können. Lediglich Podcasts und Interviews, die man dann auch als ordentliche Aufzeichnung veröffentlichen will, haben durch diese Formen der Digitalisierung einen ordentlichen Qualitäts-Schub bekommen.
Sonst? Ist das Verdienst dieser Dinge nach zwei Jahren bestenfalls das, das digitale Möglichkeiten mehr ins Bewusstsein geraten sind. Wir haben die Dinge genutzt, weil wir sie nutzen mussten. Der immer in einem leicht angewiderten Ton in den Mund genommene Begriff der “Zwangsdigitalisierung” ist der beste Beleg dafür.
Wirklich weit nach vorne gebracht hat uns diese Technologieschub allerdings nicht, auch wenn im Überschwang der damaligen Emotionen gefühlte 130 Prozent der deutschen Unternehmen von sich selbst sagten, jetzt mal so richtig auf dem Weg in das digitale Wunderland zu sein. Stattdessen muss man konzedieren: Es ist nicht sehr viel anders als bei der Bundeswehr. Das ganze Geld, das dort jetzt investiert wird, sorgt ja nicht dafür, dass wir plötzlich eine High-End-Armee bekommen, stattdessen sollte sie künftig wenigstens einigermaßen funktionabel sein. Das ist ja immerhin schon was, wenn man die Jahre davor im Elend gelebt hat.
Was also heißt das für digitale Wirtschaft und vor allem für Medien und Kommunikation? Nicht schon wieder selbstzufrieden stehen bleiben und meinen, man sei jetzt irgendwie ganz vorne dran. Den Denkfehler machen wir in der Branche seit vielen, vielen Jahren. Stattdessen den etwas größeren Sprung machen. Darüber nachdenken, dass Digitalisierung in den Medien doch mehr bedeuten muss, als Podcasts remote aufzunehmen und (huiii!) mal einen Livestream oder einen Online-Talk zu veranstalten. Sonst stehen wir 2025 wieder am selben Punkt, nämlich der, an dem wir uns wundern, ob wir nicht den Anschluss verloren haben könnten in den letzten Jahren.
Also, liebe Leute vergesst Zoom, vergesst Remote-Arbeiten, das ist alles schön und nett, aber eben nur die Gegenwart. Die wird stattdessen viel mit KI, mit Communitys, mit AR und VR zu tun haben. Wer sich damit beschäftigt, gewinnt die Zukunft.