Man glaubt, man sei informiert, immer up to date, man wisse das Wichtigste – wenn man nur ausreichend News liest. Dabei sind sie Junkfood fürs Hirn. Zeit, mit dem Unsinn aufzuhören. Read More
Es ist noch nicht so lange her, da beschäftigten uns in Deutschland Themen von erstaunlicher Bedeutung. Beispielsweise die Frage, ob der verpflichtende Ausdruck von Kassenzetteln mit anschließender Übergabe an den Kunden nicht eine existenzielle Bedrohung für die Wirtschaft sei (Auflösung: Die Wirtschaft lebt immer noch und beim Bäcker des Vertrauens kann man den Kassenzettel weiter getrost liegenlassen). Kurz darauf wurden die Zeiten dann schon etwas härter und man musste sich mit der Frage beschäftigen, was zu tun sei, wenn man alleine auf der Parkbank sitzend ein Buch lesen will. Die genaue Auflösung können wir an dieser Stelle nicht nachliefern, weil es dazu unterschiedliche Experten-Auffassungen gab. Unbestritten aber ist seit März 2020: Die Zeiten sind härter geworden und es gibt unbestreitbar wichtigere Dinge als Instagram-Postings zu veganer Tomatensuppe, Hashtag #yummy.
Dann kam der Krieg und die Themen wurden nicht nur härter und komplexer. Sondern düsterer, um ein Vielfaches. Dagegen nimmt sich jede Masken-Debatte wie Kasperltheater aus.
Man kann also nicht nur beim Blick in alles, was mit Medien zu tun hat, auf jede Menge Gruseliges stoßen. Im Gegenteil, man müsste den schlechten Nachrichten schier ausweichen, was in der aktuellen Lage und angesichts der Journalisten zweifellos zuzuschreibenden Neigung für Bad News so gut wie unmöglich ist. Das Ranking auf jeder beliebigen Nachrichten-Seite und in jeder Nachrichten-Sendung ist klar: Erst ziemlich viel Krieg, dann immer noch erstaunliche Corina-Mengen, dann der Rest, wenn noch Zeit und Platz ist. Wenn dies der Fall ist, kommen andere Nachrichten, aber die müssen auch nicht unbedingt gut sein. Wenn man irgendwo in Mitteleuropa lebt, ist nicht mal der abschließende Wetterbericht eine wirklich gute Nachricht, es sei denn, man mag Nebel, Regen und Kälte.
Kein Wunder, dass es dafür inzwischen einen eigenen Anglizismus gibt, einschließlich Verhashtagung bei Twitter: Doomscrolling. Soll bedeuten, dass man sich, egal wo man sich gerade in der Medienwelt befindet, den ganzen Tag durch Doom, durch alptraumartige, dunkle Nachrichten scrollen kann. So ist die Welt nun mal, kein Ponyhof, kein kuscheliges Plätzchen.
Das kann einem ganz schön die Laune versauen, weswegen es an der Zeit, sich Gegenstrategien zu überlegen. Die wichtigste lautet:
Lesen Sie keine Nachrichten mehr!
Bevor Sie jetzt den Kopf schütteln und irgendwas von “naiv und weltfremd” vor sich hinmurmeln: Man muss, bevor man sich mit dieser Strategie beschäftigt, erstmal genau definieren, was man unter “Nachrichten” verstehen will. In diesem Fall ist das gemeint, was inzwischen im schönsten Anglizistisch daherkommt:
News.
Der ganze Kram, der inzwischen als Ticker, Eilmeldung, Push-Up, Retweet daherkommt. Die ganzen aufgeregten Momentaufnahmen, an denen sich vor allem Menschen ergötzen, die sich selbst als “News-Junkies” bezeichnen und vermutlich auch noch stolz darauf sind. Wobei man sich darüber ja schon ein wenig wundern muss: Wie kann man stolz darauf sein, “Junkie” zu sein, selbst wenn es halb-ironisch auf News bezogen ist?
Ticker, Eilmeldung, Push, Retweet: Das braucht kein Mensch
Wobei die Vorgänge vergleichbar sind: Der News-Konsument unserer Tage braucht immer noch mehr von den blinkenden, aufgeregt daherkommenden Breaking-Dingern, die ihm suggerieren, immer auf dem neuesten Stand zu sein. Wenn aber der größte Teil dieser “News” wahlweise negativ oder komplett belanglos ist (wer irgendwann mal Bayern-Trainer wird, muss man beim besten Willen nicht auf der Stelle wissen), dann heißt das in der Konsequenz: Man lässt sich in einem Sperrfeuer schlechter Neuigkeiten nach unten ziehen. Im nur unwesentlich besseren Fall vermüllt man sich das Hirn mit Belanglosigkeiten.
Eine ganze „News-Industrie“ ist inzwischen darauf ausgelegt, die Junkies abzuholen. Jeder ordentliche Newsroom ist mit Tracking-Tools ausgestattet, die in Echtzeit anzeigen, was klickt. Und was nicht klickt, kommt weg. Was klickt, und da sind wir bei der Eigenverantwortung, sind: Ticker, Eilmeldung, Push, Retweet.
Was also bringt es, so etwas zu tun? Eben: nichts. Gar nichts. Außer der Illusion, besser “informiert” zu sein. Wer das allerdings ernsthaft glaubt, der glaubt auch, dass ein Big Mac-Menü bei McDonalds gesunde Ernährung ist.
Der Schweizer Schriftsteller Rolf Dobelli, nach eigenen Angaben seit Jahren News-abstinent, hat einen interessanten Vorschlag zum Selbsttest gemacht: Verzichten Sie mal für einen beliebigen Zeitraum auf das Komsumieren des News-Fastfoods. Und überprüfen Sie dann mal am nächsten Tag, ob Sie die Welt schlechter oder weniger verstehen. Auch hier schon mal die Auflösung: Das wird nicht der Fall sein, womöglich tritt sogar das Gegenteil ein. Man beginnt irgendwann klarer zu denken. Weil das Übergewicht des Gehirns nachlässt und man sich nicht erst mit dem Entrümpeln des News-Mülls beschäftigen müssen.
Ein Journalist, der dazu aufruft, weniger News zu lesen – ist das nicht ein einziger Widerspruch in sich?
Nur dann, wenn man das massenhafte Verbreiten von Instant-News, von Belanglosigkeiten auf dem “Irgendwo-auf-der-Welt-ist-irgendwas-passiert”-Niveau für Journalismus hält. Natürlich brauchen wir weiterhin guten Journalismus, gerade in diesen Zeiten wie diesen. Wir brauchen die Einordnung, die Analyse, die Bewertung und Kommentierung. Jederzeit sollte man eine gute Reportage lesen, eine ausführliche Dokumentation schauen. Nur News, den Big Mac des Journalismus, den kann man getrost weglassen.
Und nein, keine Sorge: Wenn Sie das tun, sind sie weder weltfremd noch haben Sie eine Neigung zum Eskapismus. Im Gegenteil, Sie gehen gerade die ersten Schritte zu einem konstruktiv und optimistisch denkenden Menschen. Alles, wirklich alles ist besser als Doomscrolling.
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