Nachhaltig, emphatisch und überhaupt von Grund auf gut: Klar, wer will das nicht sein? Wer das aber unreflektiert zum Leitmotto seiner Kommunikation macht, geht schnell unter. Anmerkungen zu einem ziemlich merkwürdigen Medientrend. Read More
Schon klar, es sind harte Zeiten. Und auf diesem Planeten sind eine ganze Menge eher unangenehmer Menschen unterwegs, die die Zeiten nicht eben einfacher machen. Der Planet leidet, die Menschen auch, das muss man doch irgendwie geändert kriegen. Was also liegt näher als: Empathie, Correctness?
Weswegen man also nicht erstaunt sein dürfte über folgendes kleines Erlebnis:
Vor kurzem habe ich mir eine (virtuelle) Veranstaltung zum Thema “Medientrends 2022” angeschaut. Das macht man immer so, wenn es auf ein neues Jahr zugeht. Meistens ziemlich schlaue Leute werfen einen Blick in die Glaskugel, was manchmal interessant, gelegentlich erheiternd und ab und an auch mal komplett belanglos ist. Für den angeblichen Trend, wir stünden vor dem großen Siegeszug von “Empathy Movement”, habe ich dann für mich eine neue Kategorie entdeckt: großes Erstaunen.
Bisher dachte ich, Empathie sei sowas wie eine menschliche Eigenschaft. Ein Verhalten, eine Haltung. Und für den angenehmeren Teil der Menschheit auch eine Selbstverständlichkeit, weil man ja schlecht komplett teilnahmslos auf der einen und ein guter Mensch auf der anderen Seite sein kann. Und dass Journalisten ein Mindestmaß an Empathie mitbringen, sollte eigentlich in der Berufsbezeichnung stehen. Wer sich für andere nicht interessiert, sollte besser nicht über sie schreiben. (Kleiner Schlenker: Ich weiß natürlich, dass es ausgerechnet unter Journalisten, auch unter durchaus sehr bekannten, eine beträchtliche Menge solcher Kollegen gibt, die sich bestenfalls für sich selbst interessieren, aber das merkt man ihnen dann auch sehr schnell an, was nicht bedeutet, dass man nicht auch als Teilzeit-Narziss und Quartals-Egomane durchaus weit kommen kann in der Branche. Schlenker wieder beendet).
Emphatische Kommunikation, was soll das sein?
Jedenfalls hatte ich am Ende der Veranstaltung immer noch nicht begriffen, was dieses “Empathy Movement” sein und warum es ein wesentlicher Medien-Trend im kommenden Jahr sein soll. Weil es aber gut klingt und ein vernünftiger Mensch nicht ernsthaft gegen Empathie sein kann, blieb das dann weitgehend unwidersprochen, auch von mir natürlich.
Aber so sind nun mal die Zeiten, man ist entweder ein querdenkender Vollhonk oder man kann vor lauter gutem Willen fast nicht mehr gehen. Man braucht, habe ich gelernt, “Mindset und Haltung zu Themen wie Diversity, Gender, Nachhaltigkeit und Purpose.“ Was nicht heißen soll, dass man dazu irgendeine Meinung haben kann, sondern eine ganz bestimmte, die richtige quasi. Man kann nicht dagegen sein, auf gar keinen Fall, selbst dann nicht, wenn man es etwas albern findet, dass inzwischen jeder dritte Begriff Englisch daherkommt. Haltung eben. Kommunikation mit Haltung und Empathie.
Niemand ist ernsthaft gegen Nachhaltigkeit. Man ist ja auch nicht gegen gutes Wetter.
Nicht falsch verstehen, niemand will Ihnen empfehlen, gegen Nachhaltigkeit zu sein. Man ist ja auch nicht gegen schönes Wetter oder gute Laune. Aber genau da beginnt das Problem (wenn man es nicht ohnedies als Problem sieht, dass Journalisten plötzlich zu allem eine Haltung haben sollen): Wenn man sich in das Bullshit-Bingo der Banalitäten begibt, wenn man nur noch Kuschel-Kommunikation für eine Wohlfühl-Welt macht, wenn man also alle Ecken und Kanten schleift, darf man sich nicht wundern, wenn man nicht mehr wahrgenommen wird. Welcher Journalist soll noch gelesen werden, der erwartungsgemäß der Einheits-Haltung folgt? Welche Marke will ernst genommen werden, die sich einfach nur was mit Nachhaltigkeit ans Revers heftet, ohne genau erklären zu können, was das eigentlich sein soll?
Vorsicht also vor indifferentem Haltungs-Gequassel, selbst vor gut gemeintem. Man tut sich und der potentiell guten Sache nichts Gutes, wenn man die Welt mit Belanglosigkeiten zuschüttet. Wer wahllos von Empathie, Purpose und Nachhaltigkeit schwadroniert, tut genau das.