Welchen Sinn machen Blogs noch? Vor ein paar Tagen bin ich über diese Debatte gestolpert. Bezeichnenderweise nicht in einem Blog, sondern bei LinkedIn. Sind Blogs also tot? Nein, nur die Plattformen, auf denen wir inzwischen kommunizieren, sind deutlich mehr geworden. Damit verändern sich auch die Inhalte. Read More
Vor 16 Jahren habe ich dieses Blog hier ins Leben gerufen. Das war damals zwar nicht völlig wagemutig, aber für einen Journalisten zumindest nicht ganz die Regel. Blogger, das waren die, die im Journalismus kein Bein mehr auf den Boden bringen, hieß es gerne. Wenn Journalisten von Bloggern sprachen, klang immer auch ein unterschwelliges „Bäh“ mit. Vor allem deshalb, weil Bloggen kein „richtiger“ Journalismus war. Für die Jüngeren unter den Lesern: „Richtiger“ Journalismus fand damals immer auf Papier oder bei einem Sender statt und je älter dieses Papier oder der Sender, desto besser. Ich hatte also am Anfang einigen Erklärungsbedarf, als ich zu bloggen begann.
Das hielt aber gar nicht so lange an, wie ich befürchtete. Bloggen galt plötzlich als cool, als Must-have. In der Spitze verstiegen sich Menschen in Theorien wie die, dass es irgendwann mal keine Zeitungen, keine Webseiten und keine Sender mehr geben würde, weil alles in der Kunstform des Blogs aufgehe. Man schummelt nicht, wenn man sagt, dass Blogs mal so was waren wie Clubhouse heute. Wollte man haben, musste man haben. Selbst dann, wenn man sich gar nicht sicher war, was man damit überhaupt anfangen wollte. Es gab erstaunlich viele, die ohne Sinn und Plan bloggten. Auch das ist eine Parallele zu den Klubhäuslern unserer Tage.
Jedenfalls ging das lange vergleichsweise gut mit der Bloggerei. Ich erinnere mich, dass ich sogar zweimal eine Summer School im Rahmen meines Lehrauftrags an der Uni Passau mit dem Thema Blogs beglücken durfte und Seminaranfragen gab es auch reichlich. Da war für mich allerdings immer eine Grenze erreicht: In einem Bloggerseminar kann man bestenfalls was über ein paar Grundlagen erzählen. Kreativität dagegen in einem Tagesseminar? Daran glauben bestenfalls die, die auch 14-Tage-Kurse zum Erlernen einer Fremdsprache buchen.
Und heute? Es muss ein schleichender Prozess gewesen sein. Einer, in dem Blogs an Bedeutung verloren haben. Für mich selbst, aber auch für viele andere. Bei mir merke ich es an den gnadenlosen WordPress-Statistiken, nach denen alles in den vergangenen zehn Jahren gesunken ist. Die Frequenz meiner Beiträge. Die Userzahlen. Und auch das, die Interaktionen mit den Lesern. Kommentare finden mittlerweile hauptsächlich in den sozialen Netzwerken statt. Wenn ich hier mal einen entdecke, handelt es sich im Regelfall um Spam. Das ist schade auf der einen Seite. Und nicht zu ändern auf der anderen. Die Digitalisierung frisst ihre Kinder im Höllentempo, da machen Blogs keinen Unterschied.
Klammer auf: Natürlich gibt es nach wie vor ausgezeichnete Blogs und ich würde niemandem abraten zu bloggen. Man muss sich nur darüber im Klaren sein, dass der Hype vorbei ist. Muss ja auch kein Fehler sein. Klammer wieder zu.
Das alles heißt nicht, dass wir jetzt den Backlash erleben und alle wieder zurück zu…siehe oben. Im Gegenteil. Publizieren heute, das bedeutet vor allem, dass man sich in einen ganz besonderen Aggregatszustand versetzt.
Der Blogger ist längst ein Multi-Publizist geworden
Am ehesten könnte man das als „flüssig“ bezeichnen. Weil es nicht mehr reicht, wenn man „nur“ auf einem oder zwei Kanälen publiziert. Der Blogger von damals ist der Multi-Publizist von heute. Der mal im sozialen Netzwerk unterwegs ist und dann wieder auf seiner Webseite. Mal hat er seinen Podcast, dann seinen YouTube-Channel, um schließlich ein wenig bei Clubhouse rumzupalavern (an der Formulierung erkennen Sie, dass mich Clubhouse noch nicht restlos überzeugt).
Die Digitalisierung frisst ihre Kinder, ich wiederhole mich da gerne. Das, was wir den Zeitungen, den Sendern, den verstockten traditionellen Medienmachern prophezeit haben, droht uns jetzt selber, wenn wir nicht ordentlich aufpassen. Das hat ein bisschen was mit Biologie zu tun. Wir Endzwanziger von damals sind mittlerweile um die 50 und werden zunehmend öfter als Boomer belächelt, nicht immer zu Unrecht. Möglicherweise beginnen wir allmählich, die Endzwanziger von heute ebenso wenig zu verstehen wie uns damals die ganzen Verleger und Intendanten. Und ja, Dinge ändern sich. Schneller denn je. Meistens ist das sogar ganz ok so.
Nicht mal auf Facebook und Twitter kann man sich mehr verlassen, dabei galten diese beiden zu unserer Zeit noch als gesetzt. Wenn man sich auf nix einigen konnte, so viel stand fest: Als Medienmensch musst du bei Facebook und Twitter sein, alles andere bedeutet deinen Untergang.
Aus der Facebook-Ecke modern die ersten Gerüche des Niedergangs
Heute schadet es immer noch nicht, dort zu sein. Speziell Facebook aber verliert mehr und mehr seinen Reiz. Ich bin noch nie so zugespamt worden wie im letzten halben Jahr. Der Messenger und die “ Freundschaftsanfragen“ sehen inzwischen so aus wie mein Spamordner bei Gmail. Naturgeile Teenies, Kreditangebote, billige und manchmal sogar raffinierte Fakes, dazu das Abwandern des Fachpublikums beispielsweise zu LinkedIn. Das alles sind untrügliche Zeichen des Niedergangs von Plattformen. Twitter ist in seiner ganzen Übellaunigkeit und Schreihalsigkeit noch schwerer auszuhalten, schade drum.
Raus also bei Facebook, rein bei LinkedIn und Clubhouse? Klingt auf den ersten Blick plausibel, ist aber zu kurz gedacht. Es ist ja nicht nur eine Frage der Trends. Bei denen weht das strenge Lüftlein des Zeitgeists sehr in Richtung LinkedIn und Clubhouse, während es in der Ecke Facebook gerade etwas moderig zu riechen beginnt. Darum geht nicht, der Trend ist mal mehr, mal weniger dein Friend.
Stattdessen gewinnen zwei Dinge an Bedeutung. Das eine: Aufmerksamkeit. Das andere: Zielgruppen. Beides zusammen ist die Kombination, die über Erfolg und Misserfolg entscheidet.
Aufmerksamkeit, klar, die war schon immer wichtig. Der Unterschied zu früher ist nur, dass sich um das bisschen Aufmerksamkeit, das jeder zu vergeben hat, zunehmend mehr Anbieter streiten. Und dass umgekehrt der User zunehmend filtert, blockt und personalisiert (was bleibt ihm anderes übrig?) Dass Apple beispielsweise künftig Facebook in die Parade fährt und den Nutzer fragt, ob er sich von der Facebook-App auch wirklich vollumfänglich tracken lassen mag, ist nicht einfach nur ein Akt der Unfreundlichkeit. Er ist exemplarisch dafür, wo die Reise hingeht. Wenn dein Kunde einschaltet, solltest du da sein. Blöd nur, dass du immer weniger weißt, wo und wann dein Kunde genau was einschaltet.
Wenn es also um die Frage geht, wo du sein solltest, wird die Antwort zunehmend öfter sein: sowohl als auch statt entweder – oder. Das macht die ganze Angelegenheit leider ein ganzes Stück kniffliger.
Du solltest wenigstens halbwegs wissen, für wen du publizierst
Umso wichtiger ist das alte Prinzip: Kenne deine Zielgruppe! Dazu gehört inzwischen nicht mehr nur die soziographische Analyse. Alter, Geschlecht, Wohnort, all diese Dinge sind die Basis. Mindestens genau so wichtig ist inzwischen die Frage nach ihren bevorzugten Medien und Endgeräten.
Darauf gibt es leider keine standardisierten Antworten. Wir können uns nur in wenigen Dinge sicher sein. Die Zukunft von Print ist sehr überschaubar, der Desktop spielt bei der Mediennutzung auch eine eher geringe Rolle. Irgendwie mobil also in einem Mix aus Video, Audio, Grafik, Text und Bild. Möglicherweise alles in einem einzigen Stück.
Die Zeiten sind zunehmend audiovisuell. Das merkt man nicht nur an der Popularität von YouTube, sondern vor allem daran, wie positiv User auf interaktive Grafiken und Animationen reagieren. Das sind Inhalte, die helfen, komplizierte Themen zu erklären – und somit sehr effektive Wege, Geschichten zu erzählen. Das alles wiederum können viele der Darstellungsformen, die wir noch aus analogen Zeiten kennen, schlichtweg nicht leisten.
Geschichten erzählen, um also wieder auf die eingangs gestellte Frage nach den Blogs zurückzukommen – darum ging es im Wesentlichen damals schon. Genau genommen ging es nie um etwas anderes. Nur, dass man heute natürlich sein Blog behalten kann und so etwas wie ein Content-Hub nicht schaden kann – und man trotzdem seine Geschichten idealerweise auf Plattformen verteilt und sie dem Publikum dort erzählt, wo es gerade auf Empfang geht.
Vor Kurzem hat ein Kollege angeregt, ich solle für mich selbst eine kleine Bilanz ziehen, was inhaltlich von meinen Ideen und Prognosen im Buch „Universalcode 2020“ eingetroffen ist. Schon das eine oder andere, würde ich sagen. Vor allem, dass der Untertitel „Content-Kontext -Endgerät“ noch einen Tick relevanter geworden ist.
Das ist alles, worum es sich dreht. Content, Kontext, Endgerät. Und wenn der User auf Empfang geht, musst du da sein.
(Fotos auf dieser Seite: Gerd Altmann/Pixabay, Christian Jakubetz)
Natürlich ist der Hype des Blog vorbei. Aber ich bin – wie viele andere auch – auf Informationen aus dem Netz angewiesen. Blogs können den Horizont erweitern und man lernt viel neues. Blogs wird es auch noch in 10 Jahren geben und das ist gut so.