Müsste man das Medienjahr 2020 zusammenfassen, es wäre einfach: Corona hat uns bei der Digitalisierung um Jahre nach vorne geworfen. Auch wenn viele das noch gar nicht begriffen haben, die alte Medienwelt ist endgültig obsolet geworden. Read More
2020 hat verstärkt, was Nerds schon immer wussten: Das Netz ist omnipräsent. Wir gehen nicht online. Wir leben online. Und natürlich kommunizieren wir dauerhaft online. Mittendrin in Lockdown #2 ist das einfacher denn je zu verstehen: Was bliebe uns auch anderes übrig?
Eine kleine Binse zu Beginn dieses Textes, der sich mit dem Jahr 2020 in Medien und Kommunikation beschäftigen soll: Covid-19 hat alles und noch dazu unseren Glauben auf die Probe gestellt. Und wer hätte gedacht, dass es auch einen Crashkurs in persönlicher Technologie erfordern würde? Doch genauso ist es gekommen: In all den Jahren, in denen ich jetzt über Digitalisierung und Medien schreibe, hat es noch nie einen derart gewaltigen Schub gegeben. Es war einer, der nicht auf Freiwilligkeit basierte. Sondern erzwungen wurde. So ist der Mensch nunmal. So viel aber schon mal vorweg: Es hat uns nicht geschadet (was man leider von vielen anderen Aspekten der Pandemie nicht behaupten kann).
Das Coronavirus markiert einen Wendepunkt für Nerds und Nicht-Nerds gleichermaßen. Gleichzeitig aber legt das Virus das vielleicht größte Versäumnis der Medien offen: Sie laufen häufig den Möglichkeiten, die digitale Technik inzwischen zu bieten hat, immer noch ein ganzes Stück hinterher.
Hybride und digitale Kommunikation
Die Videochat-App Zoom hat in diesem Jahr eine erstaunliche Karriere hingelegt. Sie wurde gleichzeitig zu einem Substantiv, Verb und Adjektiv. „Sollen wir zoomen?“, gehört zu den gängigsten Fragen, die man 2020 zu hören bekommen hat. Dabei handelt es sich bei Zoom und seinen Apologeten um mehr als eine Software, mit der man Videochats durchführen kann.
Zoom steht sinnbildlich für anderes. Für eine neue Form von Kommunikation, Information, Events. Mit ihrer Hilfe lassen sich ganze Kongresse veranstalten, lassen sich Menschen aus der ganzen Welt zu jeder Zeit an jedem Platz zusammenholen.
Umgerechnet in die Bedürfnisse von Medien und Kommunikation bedeutet das: Es gibt unzählige Möglichkeiten, daraus neue Formate zu entwickeln. Das können ganz simple „Talking Heads“ sein, zwei oder drei Menschen in einem live gestreamten Gespräch. Es ließen sich daraus aber auch ganze Town-Hall-Meetings machen, Redaktionen oder Unternehmen im Dialog mit Nutzern oder Kunden. Der Aufwand wäre vergleichsweise gering, die Kosten überschaubar.
Zu sehen davon ist im deutschen Alltag davon bisher: wenig, sehr wenig. Ich habe immer noch ausreichend viele Redaktionen gesehen, die mit Stolz verkündeten, einen neuen Newsletter oder (aber nur die ganz Wagemutigen!) jetzt auch bei Tik-Tok zu sein. Ansonsten waren die Reaktionen auf die Pandemie häufig von trostloser Einfallslosigkeit: Kurzarbeiten, Honorar- und Budgetkürzungen. Die ganze Klaviatur dessen, wenn einem die Chancen der Veränderung eher Angst machen.
Ich habe das auch am eigenen Leib gespürt: Im März habe ich den geschätzten Kollegen Steffen Meier und Marco Maas „HYBRID Eins“ gegründet. Ein kleines Unternehmen, das sich, wie der Name schon sagt, mit hybrid-digitaler Kommunikation beschäftigt. Das erste knappe Jahr lief besser erwartet, wir hatten Kunden auf Ministerien- und Konzernebene. Klassische Medien und Journalisten waren nicht darunter. Ich habe diese Beobachtung einer Kollegin aus einer Agentur erzählt. Überrascht war sie davon nicht: „Medienunternehmen kommen grundsätzlich ein paar Jahre später als alle anderen“, sagte sie mir. Im ersten Moment musste ich lachen. Im zweiten dachte ich mir: Das sagt leider zu Beginn des Jahres 2021 alles, was man über große Teile der Branche wissen muss.
Geschlafen, auch das muss man eingestehen, wurde in der Branche allerdings nicht erst seit März, als es mit der Pandemie so richtig los ging. Sondern schon seit Ende der Neunziger. Nach wie vor gilt für viele: Man läuft den Entwicklungen hinterher, als (um einen Modebegriff aus Pandemie-Zeiten zu verwenden) endlich mal vor die Welle zu kommen. Und weil sich Geschichte wiederholt, ist auch dieses nicht verwunderlich: Die User sind schon lange viel weiter. Echtzeit-Kommunikation, das sichere Verwenden von Bewegtbild und Streams gehören zur Routine vieler Menschen. Man würde sie gewiss nicht überfordern, würde man adäquate Formate in den medialen Alltag einbauen.
Bevor der Einwand kommt: Schon klar, die Zukunft wird nicht allein durch das entschieden, was bequem oder möglich ist. Neue Online-Formate müssen erst noch ein nachhaltiges Geschäft finden. Auf der anderen Seite: Bei welchem neuen Geschäftsmodell wäre das nicht so?
Vieles aus dem Jahr 2020 wird bleiben
Als die neuen Technologien zu Beginn des Jahres unseres Alltag eroberten, da dachte ich: Einsiedlertechnologie. Du bekommst alles was du brauchst, um nie wieder dein Haus zu verlassen. Inzwischen denke ich, dass ich mit dieser Einschätzung daneben gelegen bin. Natürlich kann man sich mithilfe dieser Tools und Angebote zum Einsiedler machen. Wenn man will, kann man es aber auch genau umgekehrt machen. Und noch schneller, direkter, persönlicher kommunizieren und interagieren.
Stichwort „Geschichte, die sich wiederholt“: Generell werde ich das Gefühl nicht los, dass die aktuelle Grundhaltung der aus dem Beginn des neuen Millenniums ähnlich ist. Man hält das alles für eine vorübergehende Erscheinung, die ebenso wundersam wie das Virus wieder verschwunden wird. Nach Corona, so glaubt man gerne, ist dann alles wie vorher.
Das Virus wird möglicherweise in absehbarer Zeit seinen Schrecken verloren haben. Der Digitalisierungsschub aber bleibt. Viele Branchen werden nicht mehr zum früheren Status quo zurückkehren. Für Medien und Kommunikation gilt das uneingeschränkt ebenfalls.
Weniger theoretisch gesagt bedeutet das: Zoom wird nicht wieder von den Rechnern verschwinden. Webcams und Mikrofone bleiben installiert. Für jeden, der kommunizieren will, hat sich 2020 ein gigantischer neuer Kanal eröffnet. Jeder Rechner, jedes Smartphone ist zum potenziellen Sender wie Empfänger geworden. Theoretisch waren sie das zuvor auch schon. Das aber nur mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten. Inzwischen sind sie zum Sinnbild dafür geworden, dass die Digitalisierung von Medien und Kommunikation auf ihrem Höhepunkt angekommen ist. Wir können uns 1:1 von Angesicht zu Angesicht begegnen.
Die langfristigen Auswirkungen dessen kennen wir noch nicht. Es wird aber höchste Zeit, uns damit zu beschäftigen.
(Fotos auf dieser Seite: Shafin Al Asad Protic auf Pixabay Lukas Lowack/HYBRID Eins)
Vielen Dank für diesen großartig geschriebenen Beitrag. Trotz aller Fortschritte finde ich aber leider, dass vor allem in den Schulen, die Digitalisierung viel zu langsam voranschreitet.