Ob es eine gute Idee ist, einen Text in einem Medienblog mit dem bösen C-Wort zu beginnen? Keine Ahnung. Aber weil man ja an Corona ohnehin nicht vorbei kommt, warum sollte man nicht? Zumal das C-Thema eines ist, das uns beim Thema Medien und Kommunikation mindestens genauso betrifft wie die Gastronomie (oder sonst wen). Sicher ist jedenfalls: Das Leben macht mehr und mehr Hybride. Read More
Einen Begriff habe ich in den letzten Monaten immer wieder gehört: Zwangs-Digitalisierung. Wie über alle zugespitzten Formulierungen ließe sich auch hierüber streiten. Aber im Kern trifft es das schon. Vieles von dem, was wir 2020 an Veränderungen gesehen haben, war so weder geplant noch sonderlich gewollt. Eigentlich könnte man sagen: wie immer, wenn es um Innovationen geht. Es gibt die einen, die Spaß dran haben. Und die anderen, die erst in die Gänge kommen, wenn es anfängt wehzutun. Man sagt nichts Böses und Überraschendes, wenn man festhält: Letztere sind eindeutig in der Mehrheit. So ist der Mensch nun mal.
Arbeiten im Remote-Modus
Wie auch immer, es sind viele Dinge passiert, die man zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht erwartet hätte. Redaktionen arbeiten plötzlich in Remote-Strukturen. Konferenzen und Meetings heißen jetzt Zoom-Calls. Der Gebrauch von solchen Tools, Webcams, Mikrofonen und an manchen Stellen sogar halbwegs vernünftigen Lampen sind eher Standard als Ausnahme. Man trifft sich, ohne sich zu treffen. Echte Hybride eben.
Aber das sind erst mal nur Äußerlichkeiten. Ein Zoom-Account und eine Webcam machen noch keine Digitalisierung. Und Arbeiten vom Home-Office macht aus Redaktionen keine Digital-Disruptoren. Aber in einigen wenigen Ansätzen erkennt man schon, was das Jahr 2020 auch in Medien und Kommunikation verändert.
Für alle die, die es kurz und präzise mögen:
Mehr Video.
Mehr Audio.
Mehr Live.
Mehr Hybride.
Für alle, die noch weiterlesen mögen – hier kommt es detaillierter und vor allem auch mit Begründungen für diese Annahme.
Unsere Büros, egal ob zu Hause oder woanders, sind potenzielle Studios für alles. Im Regelfall kann man mit jedem halbwegs vernünftigen Rechner und einem stabil schnellen Netz produzieren und senden, was man will. Ob vorproduziert oder in Echtzeit (früher nannte man das „live“), das spielt keine Rolle. Diese Erkenntnis ist nicht neu, spätestens mit Beginn der DSL-Ära ist das grundsätzlich schon so. Trotzdem: In der Breite kommen wir erst jetzt dahinter, was das bedeuten kann, Corona sei Dank (so ein Virus muss ja auch was Gutes haben – oder, wie Churchill angeblich gesagt haben soll: Never miss a good crisis).
Uns dämmert jetzt erst, was eigentlich alles schon lange ginge
Was dazu kommt: Wir können schon lange in Videokonferenzen miteinander kommunizieren. Zoom ist nichts, was im Jahr 2020 erfunden wurde. Und trotzdem dämmert uns erst jetzt gezwungenermaßen, dass man damit sehr viel machen kann als ein paar schlechte Video-Talks. Man kann nicht viel weniger als: alles.
Ein paar der großen Medien und Unternehmen haben das bereits erkannt und sich zunutze gemacht. Die „Washington Post“ beispielsweise hat inzwischen eigene „Live“-Sektion gebaut, in der nahezu täglich Programm gesendet wird. Das ist nicht wirklich „Fernsehen“ (funktioniert als Web-Format eh nicht), aber eben doch sehr viel professioneller als ein paar Leute, die man in einer Amateur-Videoschalte zusammenpackt. Kann man live sehen oder auch on Demand, geht im Netz, mobile, in Social Media. So einfach, so naheliegend so brillant.
In Deutschland entdeckt „Spiegel Online“ so langsam die Möglichkeiten solcher Formate, auch wenn das alles noch sehr deutsch ist: Sehr konventionell, sehr TV-lastig. Das „Spitzengespräch“ mit Markus Feldenkirchen wird bewusst „Talk“ genannt. Sieht aus wie eine Mischung aus Anne Will und „Spiegel TV“, aber immerhin: Besser als nix.
Zumal bei anderen immer noch gähnende Leere herrscht. Vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass irgendjemand den Medienschaffenden dieses Landes gesteckt hat, dass Podcasts eine prima Sache sind und man deswegen damit beschäftigt ist, diesem Boom hinterherzuhecheln. Jedenfalls, Livestreaming, interaktive und hybride Formate sind eher die Ausnahme als die Regel.
Dabei staune ich immer noch, wenn ich Produktionen wie beispielsweise den Feldenkirchen-Talk beim „Spiegel“ sehe. Das ist vergleichsweise aufwendig und teuer und unbeweglich. Und damit exakt das Gegenteil von dem, was digitale Video- und Liveproduktion heute sein könnte.
Und dann noch eine Meldung, die sich erst mal unspektakulär liest – und dennoch das Paradebeispiel dafür ist, wo die Entwicklung hingeht. In den USA wurde eine Beta-Version der neuen Plattform namens „On Zoom“ gestartet. Nutzer können kostenlose und kostenpflichtige Events einstellen. Mit dem Angebot will Zoom eine Marktlücke füllen, die entstanden ist, als im Corona-Lockdown viele Künstler und Coaches kostenpflichtige Inhalte anboten, aber keine zentrale Plattform dafür hatten.
Hybride Events werden zum Standard
Was das bedeutet? Nicht weniger als eine Normalisierung von interaktiven Videos zum Standard. Streaming ist schon länger Normalität, YouTube gibt es gefühlt seit Anbeginn der zeit. Aber Zoom als Event-Plattform? Das hat noch mal ganz neues, disruptives Potenzial. Vor allem, weil (auch wenn das womöglich zynisch klingt) die Zeiten gerade die richtigen sind für interaktive Online-Events.
Das gilt für jede Branche, für jedes Metier. Unternehmen können einen beträchtlichen Teil ihrer bisherigen Kommunikation dorthin verlagern, kein Mensch muss sich mehr in ein Auto setzen, um eine PK oder eine Präsentation zu besuchen. Seminare, Kongresse und ähnliche Veranstaltungen lassen sich mühelos so gestalten.
Und Redaktionen? Wollten die nicht ohnehin schon immer mehr Interaktion mit ihren Usern? Bitte sehr, hier wäre die Plattform. Vergesst Foren, Chats und anderen Kram, der auch schon wieder 20 Jahre alt ist. Die Zukunft ist das Online-Event, gerne als Hybrid-Veranstaltung.
Eine entscheidende Rolle spielt die schon erwähnte Zwangs-Digitalisierung, die wir in den letzten Monaten gesehen haben. Nicht nur wegen der wachsenden Gewohnheit und der damit verbundenen Akzeptanz. Sondern auch, weil die Technik besser und der Umgang souveräner geworden ist. Dinge, die früher als lustige Gadgets galten, haben sich in den letzten Monaten durchgesetzt. Webcams, Mikrofone und Lautsprecher, dazu Licht und schnelle Verbindungen. Mehr braucht es dazu gar nicht. Gemessen an den Kosten, die andere Innovationen verursacht haben, sind das die buchstäblichen Peanuts (da hätte man auch früher drauf kommen können).
Und schließlich noch eine Erkenntnis, von der ich nicht gedacht hätte, sie im Jahr 2020 nochmal aufzuschreiben:
Die digitale Transformation beginnt jetzt erst richtig.