Während der Corona-Krise haben sich Zeitungen an sich selbst berauscht: Seht her, wir können es noch! Auf den Rausch folgt der Kater. Und die Frage: Wenn sich die ganze Welt gerade ändert, wollen Verlage dann immer noch weitgehend so bleiben wie sie sind? Natürlich können sie das nicht. Im Gegenteil: Die Krise wird mittelfristig zu einem Brandbeschleuniger. Read More
Zu den Hochzeiten der Corona-Pandemie in Deutschland feierte sich der Journalismus gerne mal selbst. Beziehungsweise: Er ließ sich feiern. Der Journalistik-Professor Klaus Meier bescheinigte beispielsweise im tiefgründigen Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ , dass insbesondere der regionale Journalismus gerade eine Sternstunde nach der anderen erlebe. Andere Regionalblätter waren ob des professoralen Lobs so begeistert, dass sie den Beitrag der „Schwäbischen“ übernahmen.
Das Gespräch, nebenbei bemerkt, gehört vermutlich eher nicht in die Kategorie Sternstunden. Auf die bohrende Frage der „Schwäbischen“:
„Was ist Ihre Einschätzung: Schaffen regionale Medien es trotzdem, einen guten Job zu machen?“
antwortet Meier völlig überraschend:
„Ich nehme schon hervorragende Beispiele dafür wahr, wie Lokal- und Regionalmedien mit der Krise umgehen.“
So geht also dieser Sternstunden-Journalismus: Interviewer einer Regionalzeitung fragt, ob die Regionalzeitungen nicht einen tollen Job machen, der Gefragte antwortet mit einem: Ja, schon!
(Nebenher bemerkt: Der Link aufs Gespräch führt auf die Vorarlberger Nachrichten, die das Gespräch vollständig übernommen hatten. Natürlich hätte ich schon alleine aus Gründen des Anstands auf die „Schwäbische“ verlinkt, aber dort findet sich das Gespräch hinter der Paywall. Eine Sternstunde des Paid Contents, nicht wahr?)
Das ist ziemlich lustig.
Aber darum soll es gerade eigentlich gerade nicht gehen.
Sondern eher darum: rund 100 Tageszeitungen werden eingestellt bzw. erscheinen künftig nur noch digital.
Gut, nicht hier bei uns, sondern in Australien. Sie alle gehören Rupert Murdoch, der sich aus Gründen der Billigkeit dazu entschlossen hat, in seinem Zeitungsimperium Tabula Rasa zu machen. Mit dem deutschen Markt lässt sich die Entscheidung auch nur bedingt vergleichen: Knapp 40 der eingestellten Zeitungen sind kleine, lokale Titel. Sie waren schon zuvor am Rande der Rentabilität, Corona hat ihnen dann endgültig den Garaus gemacht.
Zurück auf dem Boden der Tatsachen
Trotzdem ist die Geschichte aus Australien bemerkenswert, ein Menetekel zudem. Weil es auch in Deutschland nur noch eine Frage der Zeit ist, wann insbesondere Tageszeitungen nach den Sternstunden-Elogen auf dem Boden der Tatsachen ankommen.
Und so ist es auch gekommen, nicht nur in Australien. Tatsächlich gab es einen Schub bei den Digital-Verkäufen, der aber nicht sehr viel mit den Inhalten oder journalistischen Leistungen der Redaktionen zu tun hatte. Vielmehr gab es quer durch alle Gattungen einen spürbar erhöhten Informationsbedarf speziell in den Monaten März und April. Aber schon im Mai, als Corona zum gefühlten Alltag wurde, reduzierten sich die Zahlen auf ein gewohntes Maß. Alles wieder zurück auf Null, keine einzige regionale Tageszeitung konnte bleibend profitieren.
Was allerdings auch mit einer gewissen Einfallslosigkeit zu tun hatte: Die Verlage sind einfach die Verlage geblieben. Die meisten haben ein bisschen mehr als sonst digital gemacht, aber das war es auch schon.
So was wie Innovation? Grundlegende Kursänderung? Fehlanzeige. Stattdessen setzten – im Gegenteil – nicht ganz wenige Häuser beträchtliche Teile ihrer Teams erst einmal auf Kurzarbeit. Dabei wäre die Zeit jetzt so gut und reif wie nie dafür gewesen, den Kurs grundlegend zu ändern.
In Deutschland gilt es schon als innovativ, wenn jemand auf dem Schiff fährt und dabei Newsletter schreibt
Innovation? In Deutschland zählt es ja schon als revolutionär, wenn sich ein selbstverliebter Gockel mit einer passenden Mannschaft auf ein Schiff zurückzieht, einen Newsletter und ein paar Podcasts macht und ansonsten durch publizistische Albernheiten und ein sehr gesundes Selbstbewusstsein auffällt.
Dabei wächst der wirtschaftliche Druck beträchtlich. Für das Jahr 2020 rechnet beispielsweise der Zentralverband der deutsche Werbewirtschaft (ZAW) mit einem heftigen Rückgang der Werbeeinnahmen. Alleine im zurückliegenden April sollen es rund 40 Prozent über alle Mediengattungen hinweg gewesen sein. Daneben fehlen in diesem Jahr auch noch die Einnahmen von klassischen Umsatzbringern wie Olympia oder der Fußball-EM. Wer die Erlössituation vieler Verlage kennt, der ahnt, was das bedeutet.
Ob das alles einfach wieder zurückkommt, irgendwann „nach Corona“? Aktuell gibt es, wenn es um die künftige wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland geht, zwei Denkschulen. Die einen vermuten, dass nach dem rasanten Absturz im Frühjahr ein ebenso schneller Aufschwung kommt. Die anderen, weniger optimistischen Prognosen sehen eine längere Rezession oder zumindest nur eine zögerliche Erholung. Bis die (Werbe-)Wirtschaft wieder ihr Vor-Corona-Niveau erreiche, könne es demnach 2022 werden.
Dazu kommt eine andere Frage, bei deren Beantwortung es ebenfalls im Regelfall zwei Varianten gibt: Wird es jemals wieder so werden wie „vor Corona“? Menschen seien träge und würden nach überstandener Krise weitermachen wie zuvor – das sagen die einen. Nichts bleibt mehr, wie es war, glauben die anderen.
Diese beiden Unwägbarkeiten werden auch das Leben etablierter Medien künftig massiv beeinflussen. Angenommen, in beiden Fällen kommt es zu der optimistischen Variante: Dann ist zwar noch lange nicht alles wieder gut, man gewönne allerdings etwas Aufschub.
Aber wehe, wenn nicht!
Nehmen wir erstmal die wirtschaftliche Situation: Eine Zeit lang kann man als Medienunternehmen so eine Situation schon durchhalten. Man kann einen Teil der Belegschaft auf Kurzarbeit setzen, man kann Umfänge und Inhalte reduzieren. Auf Dauer ist das aber nur eine Notlösung. Bliebe es längere Zeit bei den befürchteten Rückgängen, ist das mit etwaigen Zuwächsen in den Digitalgeschäften und den anderen Vetriebserlösen nicht mehr aufzufangen. Für die USA befürchten sowohl das Nieman Lab als auch das Reuters Institute bereits, dass das der US-Lokalpresse den endgültigen Rest geben könnte.
Schon klar, die USA sind nicht Deutschland. Trotzdem: Die Krise bringt auch bei uns vor allem die Regionalzeitungen viel schneller an einen Punkt, von dem sie dachten (oder hofften), er sei noch relativ weit weg. Nämlich an den Punkt, an dem sie sich entscheiden müssen: Ein paar Jahre des „Weiter so“ mit einem absehbaren Ende – oder doch noch einmal der Versuch, sich zukunftsfähig zu machen? Da wäre zwar der positive Ausgang keinesfalls garantiert. Die Überlebenschancen wären dennoch weitaus besser als bei Variante 1. Was auch nicht schwer ist. Bei Variante 1 stehen die mittelfristigen Chancen zum Überleben nämlich bei gleich null.
Die Grundsatzfragen für die kommenden Jahre
Daneben stellen sich für viele Blätter in den kommenden Jahren ein paar Grundsatzfragen – inzwischen drängender denn je:
- Sind gedruckte Ausgaben an allen Werktagen noch sinnvoll bzw. zu finanzieren? In einigen Teilen Ostdeutschlands beispielsweise sind die Verlage intern zunehmend zu der Auffassung gekommen: sinnvoll vielleicht, finanzierbar vor allem bei Zustellung durch Träger, auf keinen Fall. Falls nicht, wie kompensiert man das?
- Wie werden wir zu einem hauptsächlich leser- und umsatzorientierten Unternehmen, ohne dabei an journalistischer Relevanz einzubüßen? Wie machen wir aus eindimensionalem Verlautbarungsjournalismus eine publizistische Community?
- Wie kommen wir an das richtige Personal, nämlich an solches, dass digitale Strukturen denken und vorausplanen kann? An Journalisten und Manager, die begreifen, dass online nicht einfach nur eine Verlängerung von Print, sondern die einzige Zukunft für Medienhäuser ist? Wie schaffen wir es, dass unsere gesamte Belegschaft digital denkt und arbeitet – und nicht nur „der Online“, den sich inzwischen fast jedes Haus leistet?
- Folgen aus den veränderten Arbeits- und Nutzungsgewohnheiten nicht auch völlig neue Redaktionsstrukturen? Wie sinnvoll sind in Zeiten von Zoom und anderen virtuellen Strukturen noch Redaktionen, die sich jeden Tag zur gleichen Zeit alle am gleichen Ort versammeln? Könnten nicht beispielsweise kleine Lokalredaktionen künftig eher virtuelle Konstrukte sein, die man mittelfristig auf Wegen wie Videocalls erreicht, anstatt in jeder Kleinstadt Redaktionen und Geschäftsstellen betreiben zu müssen? Wie bekommen wir mehr Flexibilität in der Fläche statt starre Beamtenstrukturen?
- Und schließlich: verkaufen, fusionieren oder bleiben? Speziell in Deutschland hatte sich in den letzten Jahren abgezeichnet, dass kleine Verlage alleine kaum mehr überleben können. Die Marktkonzentration wird nicht nur einfach weitergehen. Corona wirkt dort eher wie ein Brandbeschleuniger. Vor dieser Grundsatzentscheidung werden in den nächsten Jahren noch etliche Verlage stehen.
Ein ganzes Geschäftsmodell steht zur Debatte
Grundsätzlich steht auch die Geschäftsidee der Massenmedien (und damit der Zeitungen) in Frage. Sie sind, der Name ist Programm, auf Masse, auf Reichweite aus. Die Idee, insbesondere bei Tageszeitungen, ist immer noch: Möglichst viel für möglichst viele. Sie machen immer noch Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur, das Wetter, Kreuzworträtsel, die Kinderseite und Lokales in einem Aufwasch. Von allem ein bisschen, nichts wirklich schlecht, aber eben auch nur sehr selten etwas richtig gut.
Das ist ein Konzept, das im digitalen Zeitalter antiquiert ist. Digital Natives wissen sehr genau, wo sie sich Inhalte zu ihren Interessen besorgen können. Nicht nur in sozialen Netzwerken, nicht nur bei YouTube – von diesen Mediären abgesehen, gibt es zudem so viele Special-Interest-Angebote, mit denen sie selbstverständlich mühelos umgehen können. Ist es da wirklich noch ein Mehrwert, wenn man als Kurator des Tages auftritt? Kann man sich heute noch 30jährige vorstellen, die sich von einer Redaktion den Tag und die Welt erklären lassen wollen?
Weil bei solchen Debatten gerne mal der Einwurf „Medienvielfalt“ kommt: Ist es wirklich Vielfalt, wenn 300 Tageszeitungen in Deutschland mehr oder weniger das gleiche kuratieren, von Lokalem abgesehen? Und aus ökonomischer Sicht: Wer soll es als lohnendes Investment betrachten, drei Dutzend bedruckte Seiten zu kaufen, in denen weitgehend das steht, was er aus dem Netz schon weiß?
Die Kernkompetenz von Journalismus ist nicht Werbung
Kurz gesagt: Journalisten müssten auf journalistische Reputation setzen, sie müssten Unverzichtbarkeit demonstrieren. Das ist beim Großteil der deutschen Regionalzeitungen kaum der Fall, selbst wenn sie noch so oft auf ihre lokalen Qualitäten verweisen. In den meisten Blättern macht die lokale Berichterstattung maximal ein Viertel des Blattes aus.
Das ist sowohl aus journalistischer als auch ökonomischer Sicht absurd. Dass dieses idiotische Prinzip ernsthaft in Frage gestellt wird, sieht man kaum, selbst bei denen nicht, die sich gerne bei den berüchtigten Journalistenpreisen abfeiern lassen.
Wenn man aber die Fokussierung auf die Werberlöse reduziert, dann müsste sich Journalismus zwangsläufig mehr über die Vetriebserlöse finanzieren. Die wiederum werden nur signifikant steigen, wenn sich Zeitungen wieder verstärkt auf ihre Inhalte konzentrieren. Das müsste weder für Journalisten noch für Leser ein Fehler sein, im Gegenteil.
Schon jetzt ist absehbar, dass das klassische Zeitungs-Abo in den Augen vieler zum Luxus wird, auf den man leicht verzichten kann. Warum also dann nicht konsequent auf dieses Publikum setzen? Auf Leser, denen ihr Journalismus auch im Lokalen buchstäblich etwas Wert ist. Die gerne hochwertigen Inhalt wollen und bereit sind, dafür zu bezahlen? Alle anderen wird man über kurz oder lang ohnehin verlieren. Schon alleine deshalb, weil es von dem, was diese Zielgruppe haben will, im Netz mehr als genug und noch dazu gratis gibt.
Die Kernkompetenz von Journalisten ist Journalismus. Nicht Werbung. Betrachtet man dazu die Entwicklung im digitalen Journalismus, dann wird klar, dass es die Werbefinanzierung auf breiter Basis nicht sein kann, was die Häuser rettet. Höchste Zeit also, sich wieder auf das zu besinnen, was Journalismus bedeutet.