In Krisenzeiten zeigt sich, was Journalismus, Journalisten, Agenturen und andere Kommunikatoren so können. Vermutlich werden wir vieles aus den jetzigen Wochen und Monaten mitnehmen. Und: Während die einen sich digital neu erfinden, gehen die Besitzstandswahrer endgültig unter. Read More
Kein Witz, so etwas ist uns vor nicht allzu langer Zeit noch passiert: Ein Kunde vergab einen Auftrag an einen Mitbewerber von uns (mit wir/uns meine ich Jakubetz&Laban, Agentur für Medienentwicklung). Nicht, weil wir schlechter, teurer waren oder aus anderen messbaren Kriterien unterlagen. Sondern weil wir nach dem Eindruck des potenziellen Kunden im Gegensatz zum Mitbewerber keine klassische, „echte“ Agentur seien. Zu verstehen unter „echt“ war demnach: ein Büro mit ein paar 9-to-5-Jobs. Und die Strukturen, die man nun mal so hat. Mit eindeutigen Hierarchien, Seniors und Juniors, einem Konfi und allem, was sonst noch dazu gehört.
Das hat meinen geschätzten Kompagnon Kristian Laban und mich noch nie interessiert. Natürlich ist mir klar, dass alles, was derzeit an extremen Ausschlägen zu verspüren ist, irgendwann wieder zurückgeht. Auch der Hype um Telekommunikation, um Videomeetings, um virtuelle Redaktionen und Einheiten. Trotzdem: So wie früher wird es nicht mehr werden. Warum auch? Wer einmal die vielen Segnungen von virtuellen Strukturen genutzt hat, will nicht wieder zurück in Großraumbüros. Zumal klassische Strukturen bei uns wenig Sinn machen würden: Wir produzieren von Print über Podcast bis hin zu Multimedia alles Mögliche. Das ist für einen kleinen Laden wie unseren weder strukturell abzubilden noch sinnvoll. Mit unseren digitalen Strukturen ist es allerdings kein Problem, unsere Kapazitäten dann zusammenzuschalten, wenn wir es brauchen.
Vermutlich werden wir uns schon bald wundern, wie wir unseren Alltag ohne virtuelle Strukturen geschafft haben
Sicher bin ich mir jedenfalls: So schnell wird uns niemand mehr einen Auftrag nicht geben, weil wir keine „richtige“ Agentur und Redaktion unter einem Dach sind. Spätestens jetzt kann man ganz gut nachvollziehen, dass die Zeit der starren Strukturen mit Präsenzpflichten und der immer noch verblüffend populären Idee des 9-5-Jobs zu Ende geht.Bevor jetzt alle jubeln und sich auf selige Zeiten in der Jogginghose im Home Office freuen: Zu solchen Strukturen gehören neben einem gesunden Vertrauen in die lieben Kollegen auch Selbstdisziplin und eine einigermaßen straffe virtuelle Organisation. Man muss Redaktionssitzungen beispielsweise trotz alledem abhalten. Man hat seine Termine und seine Deadlines wie im „richtigen“ Leben. Wenn man also eine virtuelle Redaktion oder Agentur lediglich mit einem entspannteren Leben und mit weniger Zwängen gleichsetzt, wird man damit nicht viel Freude haben. Erfolg übrigens auch nicht.
Die Sehnsucht nach seriösen Medien
Gute Zeiten für den seriösen Journalismus: Die „Tagesschau“ kommt inzwischen auf rund 18 Millionen Zuschauer am Abend, die „guten“ Nachrichtenseiten im Netz verzeichnen enormen Andrang, Natürlich gilt auch hier: Verschwörungstheoretiker und Aluhüte werden weiter an die abenteuerlichsten Geschichten glauben.
Trotzdem kann man mitnehmen: In Krisenzeiten wächst der Wunsch nach seriöser Information. Keine ganz schlechten Zeiten für Journalisten, könnte man meinen. Weil das angeblich so stark gesunkene Vertrauen in Medien vielleicht viel größer ist als gedacht. Man hört jedenfalls aktuell vergleichsweise wenig von Wutbürgern und anderen Medienhassern. Also, außer dem üblichen Zeug natürlich, zu dem u.a. auch die amüsante Geschichte gehört, die ganzen Sperrungen und Einschränkungen des öffentlichen Lebens hätten nur den Zweck, unbemerkt Flüchtlinge einfliegen zu können.
Dass viele Redaktionen jetzt mit zusätzlichen Newslettern und anderen digitalen Angeboten reagieren, zeigt zweierlei: Diejenigen, die das tun, haben halbwegs begriffen, was Journalismus heute leisten kann. Für sie sehe ich gar nicht mal so schwarz in der Zukunft. Und die anderen? Die, die immer noch weitgehend ungerührt ihren täglichen Stiefel machen und sich womöglich sogar massiv hinter Paywalls verschanzen? Für die werden die Zeiten nach Corona um kein bisschen besser. Jede Krise ist schließlich auch eine Chance, sich neu zu erfinden.
Und für alle anderen gilt, was die großartige Brand eins schon vor zwölf Jahren titelte: