Die Rhein-Zeitung wagt ein bizarres Experiment: Sie wird zu Deutschlands erster Lokalzeitung ohne Lokalredaktionen. Sie schließt nämlich entgegen erster Meldungen nicht nur kleine Redaktionsstandorte. Sondern de facto: alle Lokalredaktionen. Sie könnte damit einen Vorgeschmack auf das geben, was wir in den kommenden Jahre in einigen Regionen erleben werden. Read More
Die Meldung sorte für ein paar Tage für etwas Aufsehen und geriet dann wieder in Vergessenheit. Die Rhein-Zeitung in Koblenz wolle, so berichtete es der SWR, kleinere Redaktions-Standorte schließen und sie zu Regional-Desks zusammenlegen. Rückzug aus der Fläche also. Keine sehr kluge Entscheidung für eine Regionalzeitung. Aber eine, bei der man zumindest deren Hintergrund nachvollziehen konnte. Wer finanziell unter Druck steht, muss an die Kosten ran. Zumal gerade bei regionalen Zeitungsverlagen auf der Einnahmenseite keine Besserung in Sicht ist.
Tatsächlich aber berichtete der SWR nur einen Teil des Kürzungsumfangs. Geschlossen werden nämlich – Stand heute – nicht nur die kleineren Lokalredaktionen der RZ. Sondern: alle, außer natürlich Koblenz. In der Fläche bleiben nur zwei Regionaldesks, einer im Süden, einer im Osten.
Was bleibt, sind drei Regionaldesks. Lokalredaktionen bisheriger Prägung sind dann Geschichte.
Geplant ist zwar auch noch ein Desk „Mitte“. Aber nachdem das wohl am Verlagsstandort in Koblenz entstehen wird, bleibt draußen nichts mehr übrig. Die RZ wird damit vermutlich zur ersten Lokalzeitung Deutschlands ohne echte Lokalredaktionen. Was übrigens nicht einfach eine Idee, ein Papier aus den Köpfen irgendwelcher Berater ist. Sondern schon bald Realität: Die ersten Schließungen bisherigen Standorte wie beispielsweise Cochem, Andernach, Mayr, Koblenz und einige mehr sollen bereits in den kommenden Wochen über die Bühne gehen.
Nach den Plänen des Verlages finden dann die Leser an den Türen nur noch Hinweise darauf, dass die Geschäftsstellen geschlossen sind. Die Redaktionsräume sollen bis auf weiteres genutzt werden. Allerdings nicht aus journalistischen Erwägungen heraus. Der Hintergrund ist profaner: Bisher sind noch keine geeigneten Räumlichkeiten für die geplanten Decks gefunden worden. Sobald das der Fall ist, verlassen auch die Redaktionen die bisherigen Standorte.
Verworfen wurden übrigens auch Pläne, wenigstens kleine „Korrespondenten-Büros“ vor Ort zu lassen. Alles muss raus. In die Desks. Oder eben in das Home-Office, wenn in einem Desk mal gerade zu viel Betrieb herrschen sollte.
Aus 16 Standorten werden also drei. So radikal ist bisher noch keine deutsche Regionalzeitung vorgegangen.
Kürzen, streichen, sparen: Viel mehr fällt vielen Verlagen nicht ein
Die künftige Ausrichtung der RZ zeigt, wie wenig in den Regionalverlagen die eigentliche Problematik verstanden wird. Sie denken häufig immer noch so einfallslos wie schon vor 20 Jahren, als sich allmählich abzeichnete, dass das Thema Digitalisierung mehr bedeutet als ein paar Internetseiten. Die Debatten beschränken sich weitgehend auf finanzielle Aspekte: Paywalls, Kostensenkungen, lauter solches Zeug.
Das ist nicht nur einfallslos, sondern auch bezeichnend: Wer mit dem Rücken zur Wand steht, kommt meistens so daher. Im Falle der Rhein-Zeitung lässt sich das leicht nachvollziehen: Kreative Potentiale haben das Haus verlassen, Platz für innovative Ideen gibt es nicht mehr.
Umgekehrt wird die finanzielle Situation in vielen Häusern zunehmend bedrückender: Die Einnahmen sinken weiter. Die Vetriebserlöse lassen sich nicht mehr steigern, weil viele Zeitungen inzwischen so derart teuer geworden sind, dass man bei weiteren Erhöhungen mit massiven Abonnenten-Verlusten rechnen müsste.
Und dort, wo die Zukunft liegt (nämlich im Digitalen) klafft bei den allermeisten ein großes Loch.
Man verweist bei der Debatte über die Lage der deutschen Tageszeitungen gerne darauf, dass wir von amerikanischen Zuständen weit entfernt seien. Das ist insofern richtig, als dass dort inzwischen ganze Landstriche ohne eigene Zeitung sind.
Und dass das Verbreitungsgebiet der Rhein-Zeitung nunmehr keine eigene Zeitung mehr hat, lässt sich ja nicht behaupten.
Trotzdem: Das Beispiel RZ ist ein erster Vorgeschmack, wohin die Reise geht. Wenn manche Städte in einer Region zwischen 30 Minuten und einer Stunde brauchen, um ihre nächstgelegene Lokalredaktion zu erreichen, dann ist man davon nicht mehr so weit entfernt. Leser und Redaktion können noch schwerer eine Bindung zueinander aufbauen, als wie das schon jetzt der Fall ist.
Auch für Journalisten werden Lokalzeitungen zunehmend unattraktiv
Aber es sind ja nicht nur die Leser, die unter dem RZ-Kahlschlag zu leiden haben. Auch auf die Redakteure des Blattes kommen harte Zeiten zu. Zwar betonen Chefredaktion und Geschäftsführung in internen Mitteilungen, dass „genügend Arbeitsplätze für alle“ in den neu zu errichtenden Decks für die jeweiligen Regionen vorhanden seien.
Wenn man aber schon Selbstverständlichkeiten ausdrücklich betonen muss, sollte man stutzig werden.
Und außerdem: Man könne ja auch von anderen Stellen aus arbeiten, das muss nicht immer die Redaktion sein, heißt es im Haus. Digitales Equipment wie personalisierte Laptops sollen es möglich machen. Auch das ist grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Man ahnt aber auch, worauf das hinausläuft: Redakteure machen ihre Privatwohnungen zunehmend mehr zum eigenen Arbeitsplatz. Wenn man nicht weiß, ob man am Desk überhaupt einen Platz bekommt, wer nimmt dann eine möglicherweise längere Anfahrt zu ebendiesem Arbeitsplatz in Kauf?
Das lässt sich kurzfristig schon mal machen. Über einen längeren Zeitpunkt hinweg bedeutet das aber auch, dass solche Redaktionen zu einem zunehmend unattraktiven Arbeitsplatz werden. Welcher begabte, junge Journalist geht zu einem Arbeitgeber, dessen einzige Perspektive es ist, mit rigiden Sparmaßnahmen irgendwie zu überleben?
Insofern würde man es sich zu leicht machen, würde man einfach darauf verweisen, dass die RZ in dieser Ausprägung ein Einzelfall sei. Im Gegenteil: Das Blatt in Koblenz könnte ungewollt zu einem Role-Model werden.
Wer schlau ist, lernt daraus. Wie man es besser nicht macht.
So weit, so unschön.
Nur ganz kurz am Rande sei darauf hingewiesen, dass einer der von der Schließung bedrohten Redaktionsstandorte Mayen heißt, und nicht Mayr.
„Die Zukunft liegt im Internet“. Wie oft musste ich das schon lesen. Und doch gibt es kein einziges Erlösmodell, das hochwertigen Journalismus in den Regionen tragen könnte. Die Anzeigenerlöse sind mickrig, die Klickzahlen nur durch Trash und Clickbaiting in die Höhe zu treiben. Plus-Modelle funktionieren eigentlich bei keiner Regionalzeitung. Nach Marktforschungsanalysen sind auch nur sechs Prozent der Deutschen dazu bereit, überhaupt für digitale Medieninhalte zu zahlen. Und da ist dann auch schon Netflix oder AmazonPrime drin, gegen die eine Lokalzeitung konkurrieren muss. Das ist die traurige Wahrheit. Und deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Verlage zu solchen Mitteln greifen. Es gibt einfach keinen Ausweg aus dem Zeitungssterben. So fatalistisch bin ich mittlerweile.