Wie das immer so ist bei Hypes: Jetzt kommen die ersten, die sagen, dass es mit dem Hype um Podcasts langsam zu Ende geht. Das ist blühender Unsinn – die Party geht jetzt erst richtig los. Read More
Zwei Meldungen und Zahlen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören, die aber dennoch interessant sind.
Die Erste: Angeblich gibt es erste Anzeichen für ein Abflauen des allgegenwärtigen Podcast-Hypes.
Die Zweite: Angeblich haben jetzt schon über 60 Prozent der deutschen Zeitungsverlage einen oder sogar mehrere Podcasts.
Zur ersten Geschichte: Bei Digiday.com ist die Rede von einem ersten Nachlassen des „Goldrausches“, eine deutsche Zusammenfassung findet sich hier. An der Formulierung von „Digiday“ erkennt man schon einiges:
Ein Goldrausch ist eben immer auch ein Rausch. Und dass man im Rausch schon mal Unfug macht, weiß jeder, der schon mal einem Rausch erlegen ist. Ein „slowing down“ heißt wiederum nichts anderes, als dass der Rausch langsam nachlässt.
Konkret sieht das beispielsweise so aus: Das Magazin „Politico“ reduziert bei zwei seiner sieben (!) Podcasts die Erscheinungsweise, einer soll ganz eingestellt werden. Dazu kommen noch ein paar andere kleine Beispiele von Podcasts, die zurückgefahren oder eingestellt werden. Das ist bei rund 850.000 Podcasts, die es aktuell weltweit geben soll, vermutlich ein stinknormaler Vorgang, der sich täglich wiederholt.
Klar ist aber auch: In solchen Hype-Phasen gibt es viele, die einfach mal ausprobieren. Und es gibt ebenso viele, die irgendwo mal gehört haben, dass man so einen Podcast jetzt unbedingt haben muss. Das Ergebnis: viele Podcasts, in denen man einfach was ausprobiert und ebenso viele, in denen fröhlich vor sich hin dilettiert wird. Das sind die ersten Kandidaten für sanftes Entschlafen.
Wer schon ein paar Tage im Netz unterwegs ist, wundert sich über so etwas nicht. Weil er dasselbe auch schon bei Blogs, Videos, Scrollytelling, DDJ und (hier bitte Hype Ihrer Wahl einsetzen) erlebt hat.
Bricht jetzt also gerade alles ein, was eben noch als das nächste große Monster-Ding gefeiert wurde? Auch das nicht. Man kann es Marktbereinigung nennen. Oder auch einfach nur: Normalisierung. Oder noch mal ganz anders: So ist das im Netz mit seinen unzähligen Möglichkeiten. So wie es großartige und erfolgreiche Blogs gibt, existieren eben auch unzählige, die auf ungefähr sieben Besucher im Monat kommen. So ist das auch bei Podcasts: Manches weniges läuft ausgezeichnet. Die Mehrheit der 850.000 Shows auf der Welt bleibt unbeachtet oder fristet ein mehr oder weniger auskömmliches Dasein in irgendeiner Nische. Ein klassisches Long-Tail-Phänomen also, zumindest aus Sicht von Distributoren wie iTunes oder Spotify.
Stimme wird zur neuen Benutzer-Oberfläche im Netz
An der grundsätzlichen Bedeutung des Themas Audio ändert sich nichts. Podcasts können im Großen wie im Kleinen funktionieren. Sie eignen sich für große Reichweiten genauso wie als klassisches B2B-Instrument. Audios – oder besser gesagt: Stimmen – werden zunehmend mehr zur neuen Benutzeroberfläche im Netz.
Und ja, auch das muss man in Hype-Situationen immer wieder sagen: Nur weil eine Sache boomt, rechtfertigt sie nicht schlechte und lieblose Produktionen. Kein Mensch braucht noch einen Laber-Podcast. Es gibt Perlen auf dem Markt. Und solche Podcasts, bei denen man sich fragt, was sich der Produzent dabei gedacht hat. Oder ob er überhaupt irgendwas gedacht hat.
Abschied vom Boom? Nicht die Spur.
Und damit kommen wir endlich zur zweiten Meldung. Sie erinnern sich, die mit den über 60 Prozent der deutsche Zeitungsverlage, die einen oder mehrere Podcasts im Portfolio haben. Zugegeben, ich habe gestaunt, als ich das gelesen habe. Das wäre das erste Mal gewesen, dass die deutschen Verlage bei einem großen Digital-Trend wenigstens halbwegs vorne mit dabei gewesen wären.
Das heißt, nee, man muss das gleich wieder einschränken. Über 60 Prozent der „befragten Chefredakteure“ gaben an, ihr Verlag würde regelmäßig Podcasts veröffentlichen. Nachdem man nicht alle Chefredakteure befragt hat, lässt sich natürlich auch nicht sagen, dass 60 Prozent der Verlage…aber lassen wir das, zumindest angehört hätte sich das gut. So innovativ irgendwie.
Man muss zweitens dazu wissen: Die Zahlen stammen vom BDZV, der sich wiederum diese Zahlen von der ihr überaus wohlgesonnenen Unternehmensberatung Schickler erstellen lässt. Wenn man sich das Prozedere ein paar Jahre am Stück angeschaut hat, dann weiß man: Schickler und BDZV, danach erscheint dir die Verlagsbranche wie ein Schlaraffenland innovativer, digitalaffiner Unternehmer.
Die Angebote der Zeitungen klingen wie ein Abbild der Szene: Ein paar Gute, viel Mittelmaß und manches ist erstaunlich schlecht
Aber sei es drum, klingt ja trotzdem erst einmal vielversprechend. Und nachdem der BDZV auch eine Liste mit den podcastenden Verlagen in Deutschland gemacht hat, nehmen wir die doch gleich mal genauer unter die Lupe.
Die nackten Zahlen sehen so aus:
Insgesamt werden 45 Verlagsangebote genannt. Die „Zeit“ taucht aber zweimal auf. Ebenso das „Hamburger Abendblatt“ „Jetzt.de“ und die „Süddeutsche“ werden getrennt aufgeführt. Der Podcast „N-Land“ wird bei zwei Titeln angegeben, ist aber nur einer. Bei „Dalli Dalli“ früher, die Älteren erinnern sich, htten die strenge Jury jetzt gesagt: Das können wir leider nicht gelten lassen, wir müssen drei abziehen. Bleiben also: 41.
Desweiteren moniert die Jury: Der „General-Anzeiger“ in Bonn hat seinen einzigen Podcast zum 30.11. eingestellt, der einzige Podcast der „Märkischen Allgemeinen“ wurde zum letzten Mal nach der WM 2018 gesendet. Realistischerweise muss man also nochmal zwei abziehen. Macht jetzt: 39.
Erste kleine Zwischenbilanz also: Aus dem großen Trendthema Podcast, das mittlerweile von 60 Prozent der befragten Chefredakteure angegangen wird, sind aktuell 39 übrig geblieben.
Zur Einordnung: Im „Zeitungsland“ (BDZV) Deutschland gab es 2019 327 Tageszeitungen mit 1.452 lokalen Ausgaben.
Selbst wenn man nicht meine strengen Maßstäbe anlegt und auch sonst dem Thema „Zeitungen und Podcasts“ wohlwollend begegnet: Von 60 Prozent sind wir noch ein gutes Stückchen entfernt.
Und natürlich muss man wenigstens zwei Sätze zur Qualität loswerden, auch wenn zu ausführlichen Besprechungen Zeit, Lust und Platz fehlen. Man findet unter den Zeitungs-Podcasts buchstäblich alles: Richtig gut gemacht, sehr, sehr hörenswerte Folgen. Man findet leider auch Laber-Podcasts. Und solche, bei denen man sich denkt, dass wenigstens ein paar Euro Investition in technische Grundaustattung kein Fehler gewesen wären.
Warum Zeitungen exemplarisch für die Lage der Podcast-Nation sind
Man kann das Thema also mal wieder schnell schmunzelnd abhaken: Schickler und BDZV präsentieren die deutsche Zeitungen als ziemlich hip. Das ist deren undankbarer Job, man weiß aber auch: Dem ist halt nicht so. Davon abgesehen sind Verlage nicht die einzige Branche, die sich mit der Digitalisierung schwer tun und sich gerne mal die Lage schöner reden als sie ist. Genau genommen ist ein solches Verhalten klassische für Industrien und Branchen, die etabliert sind und sich dennoch erwartbar heftigen Disruptionen ausgesetzt sehen. Da machen Auto- und Zeitungshersteller keinen großen Unterschied.
Trotzdem lohnt es sich, das Thema „Zeitungen und Podcasts“ genauer zu betrachten. Weil man daraus eine ganze Menge mitnehmen kann, wenn man versucht, den Stand der Dinge beim Thema Audio zu erfassen.
Was auffällt (und das war schon bei allen anderen Hypes davor so): Es gibt immer noch erstaunlich viele, sowohl in Redaktionen als auch in Unternehmen, die ein Format oder einen Ausspielweg per se für ein Allheilmittel halten. Aktuell ist das eben bei Podcasts so. Noch dazu, wo die Verlockung auf der Hand liegt. Theoretisch reicht ein Mikro, in das irgendjemand irgendwas reinlabert (daher der Begriff „Laber-Podcasts“). Leider hören sich viele Podcasts auch genau so an. Erstaunlich, wie viel unbrauchbares Zeug auf dem Markt ist. Am schlimmsten finde ich übrigens die, die erstmal fünf Minuten dafür brauchen zu erklären, wer sie sind, was sie machen und warum sie es machen. Die Branche hat sich, zugegeben, professionalisiert. Es ist trotzdem noch ein langer Weg bis zu echter Spitzenklasse. Da machen die Verlags-Podcasts keine Ausnahme: ein paar wenige sehr gut, viel Mittelmaß, manches unfreiwillig komisch. Klingt ein bisschen wie der Querschnitt durch die gesamte Podcast-Landschaft.
Und auch das gilt für alle Hypes: Irgendwann entsteht ein Überangebot, egal ob an Blogs, an YouTubern oder jetzt eben an Podcasts. Wo jeder alles produzieren kann, bleibt das nicht aus. Märkte, die so funktionieren, kennen keine quantitative Marktbereinigung, nur eine qualitative. Soll heißen: Unabhängig davon, ob es nächstes Jahr 850.000 oder zwei Millionen oder nur 500.000 Podcasts auf der Welt gibt, es sind immer noch zu viele.
Mitschwimmen in der Masse ist also keine Strategie. Wer mit seinen Podcasts wirklich etwas erreichen will, muss schon etwas mehr leisten als nur Reinlabern ins Mikro.
Ist das also der Anfang vom Podcast-Ende? Gegenfrage: Weil Politico bei zwei von sieben Podcasts die Erscheinungsweise reduziert – ernsthaft jetzt?
Die Antwort gibt, wie immer in solchen Fällen, der Gartner Hype Circle. Vielleicht können wir uns dann jetzt allmählich in die Phase der Produktivität begeben.
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