Ein Blick auf neue Zahlen und ein kleines Jubiläum zeigt: Der Kampf um die Zukunft ist für die meisten Tageszeitungen in Deutschland endgültig verloren. Ein Abgesang. Read More
Ursprünglich hatte ich mir für 2020 das Folgende vorgenommen: Das erste Mal in der Geschichte dieses Blogs, die inzwischen schon erstaunliche 16 Jahre geht, nichts, aber auch gar nichts zum Thema (Tages-)Zeitungen zu bloggen.
Dafür gab (und gibt) es eine Reihe Gründe. Der Erste: Das Thema hat, seit ich vor eineinhalb Jahrzehnten das erste Mal darüber geschrieben habe, erheblich an Diskussionspotenzial verloren. Damals konnte man noch leidenschaftlich darüber debattieren, ob Zeitungen eine Zukunft haben. Mit der Behauptung, dass es um diese Zukunft eher mau bestellt ist, gehörte ich mit ein paar anderen zu einer Minderheit.
Teilweise war das lustig. Man drückte uns einfach das Attribut „Blogger“ auf, was so viel bedeuten sollte wie: kannste eh nicht ernst nehmen. Diese Phase zog sich vergleichsweise lang, die Debatten wurden irgendwann ermüdend. Sie brachten kaum mehr Neues hervor. Das hat sich geändert, weil wir inzwischen weniger von vagen Prognosen, sondern von handfesten Zahlen sprechen können. Und die waren und sind für Tageszeitungen unerfreulich, ohne Aussicht auf Besserung. 2018 hatte ich geschrieben, dass es sich dabei um das letzte Jahr handle, in denen die Blätter noch gegensteuern könnten, danach nehme das Schicksal seinen Lauf.
Tatsächlich waren 2018 und auch 2019 keine kompletten Katastrophenjahre. Aber sicher auch nichts, was man als Wendepunkt bezeichnen könnte.
2020 wäre das erste zeitungsfreie Jahr in diesem Blog gewesen. An der Formulierung erkennen Sie: Der Vorsatz hat gerade mal den ersten Monat des neuen Jahres überstanden.
Aber kommen wir noch mal auf 2019 zurück. Das Jahr, aus dem sich ein paar mittelfristige Trends herauslesen lassen.
Erstens: Take the money and run
Das sagen die Engländer gerne, wenn sich jemand am besten aus einem Geschäft verabschieden soll. Diese Idee haben auch letztes Jahr wieder einige beherzigt, allen voran DuMont in Köln. Da wird wohl außer den angestammten Kölner Blättern vom klassischen Zeitungsgeschäft nicht mehr viel übrig bleiben. Das war der prominenteste Fall des letzten Jahres.
Aber auch in weniger bekannten Häusern lässt sich eines erkennen: Tageszeitungen werden ab sofort zu einem Käufermarkt. Für kleinere und auch mittelgroße Häuser kommt gerade vieles zusammen. Sie betreiben ein veraltetes inhaltliches Modell. Das in den letzten Jahren immer größer gewordene technische Gap lässt sich nicht mehr schließen. Dazu kommt fehlendes Digital-Know-how auf inhaltlicher und strategischer Ebene. Und ein Braindrain, den man schon vor Jahren prognostizierte. Gab es früher zuverlässig einen gewaltigen Überschuss an Bewerbern für Volontariate und Redakteursstellen, ist es heute beinahe mitleiderregend, wie Redaktionen um neue Leute betteln.
Nach außen wird das nicht kommuniziert, intern aber ist schon lange klar: Man muss nehmen, was man bekommt. Vor allem Regionalzeitungen sind für junge, begabte Journalisten häufig keine echte Option mehr.
Die Konsequenz ist also klar: Die Großen (von denen gibt es ja immer noch etliche) schlucken die Kleinen. Dass sie ganz geschlossen werden und wir amerikanische Zustände bekommen, wird auf absehbare Zeit nicht passieren. Wohl aber werden wir eine Konzentration sehen. Ohne eine bestimmte kritische Masse, ohne eine echte Konzerngröße sind Regionalzeitungen in den nächsten Jahren nicht mehr überlebensfähig.
Zweitens: Stagnation statt Innovation.
Es ist fünf Jahre her, da kam aus der Szene der Regionalzeitungen das kollektive: Wir haben verstanden! Man arbeitete an den Digital-Angeboten, viele holten sich eigene Online-Chefs, häufig sogar in die Chefredaktionen. Den letzten, konsequenten Schritt gingen viele nicht mehr: Der Onliner wurde eher doch „nur“ Mitglied der Chefredaktion. Die entscheidenden Stellen besetzen immer noch in vielen Fällen die Print-Apologeten.
Selbst da, wo die Ü60-Generation abtrat, setzte man bei der Auswahl der Chefredakteure gerne auf bewährte Print-Männer, die Online zwar als Notwendigkeit, aber keineswegs als Leidenschaft begreifen. Als radikale Ausnahme fallen mir die Kollegen aus Minden ein, die sich mit Benjamin Piel eine Ausnahmeerscheinung unter den Zeitungsmachern an die Spitze des Blattes holten.
Sonst? Viel Stagnation, kaum Evolution, Revolution gleich gar nicht. Manchmal denke ich, dass viele eine eigene Facebook-Seite für eine Digital-Strategie halten. Überzeugende, stringente Ideen, die Technik, Inhalt und auch eine Finanzierungsoption einschließen? Mangelware.
Stattdessen verweist man gerne darauf, dass die E-Paper-Abonnenten stetig mehr werden. Kurz gesagt: Seit 2015 tut sich nicht mehr viel. Manchmal habe ich den Eindruck, viele Häuser haben verstanden, dass sie sich noch auf ordentlichem Niveau durch die nächsten Jahre hangeln können, mehr aber auch nicht. Anders kann ich mir die Ideen- und Mutlosigkeit der letzten Jahre nicht erklären. Und vielleicht ist es ja auch tatsächlich so: Auf Dauer ist das alte Verlagsmodell nicht mehr zu retten. Siehe oben: Take the money and run.
Drittens: Das Lokale, die große vergebene Chance
Zu den erstaunlichsten Phänomen der Zeitungs-Branche gehört das Lokale. Niemand würde bestreiten, dass Lokales großartiger Lesestoff ist. Dass Geschichten aus der Heimat der Hauptgrund dafür sind, dass Menschen zu einem lokalen Medienangebot greifen. Fast alle sind sich auch einig in der Analyse, dass man Lokalredaktionen und ihre Inhalte deutlich stärken müsste.
Die Praxis dagegen: Die Kollegen im Lokalen ackern sich mühsam durch den Alltag. Ihre personelle und technische Ausstattung ist häufig grotesk schlecht. Nach wie vor müssen, vor allem in kleinen Lokalredaktionen, Vereinsschriftführer, pensionierte Oberstudienräte und begabte Hausfrauen das Blatt füllen. Und auch im internen Ranking liegen, allen Sonntagsreden zum Trotz, die Kollegen aus dem Lokalen ganz hinten. Stattdessen immer noch im Rennen: Mähliche Leitartikel des Politik-Chefs, Interviews mit Ministerpräsidenten, Ministern oder Bischöfen, bei denen der Chefredakteur in Begleitung von zwei oder drei Vasallen eine Doppelseite vollschreibt. Man muss Ex-Bild-Chef Kai Diekmann nicht mögen. Aber seine Analyse in der letzten Ausgabe des „Journalist“ war so knackig wie treffend: „Die haben den Schuss nicht gehört.“
Auch hier hilft der Blick nach Ostwestfalen: Wenn man sieht, mit welcher Begeisterung und Leidenschaft Benjamin Piel dort jeden Tag Zeitung macht – so müssten es eigentlich alle tun. Ein uneitler Blattmacher mit unverhohlener Liebe zur Provinz. Was nebenbei auch noch das Argument entkräftet, es gebe keine guten Geschichten im Lokalen.
Tatsächlich ist das Lokale nach wie vor die größte vergebene Chance im Journalismus.
Die Geschichte des iPad steht sinnbildlich für die letzten Jahre
Eigentlicher Auslöser des neuerlichen Bloggens über Tageszeitungen war aber ein ganz anderes Datum. Vor genau zehn Jahren stellte Steve Jobs das iPad vor. Das Gerät, das Springer-Chef Döpfner zu dem Satz veranlasste, jeder Verleger müsste Apple auf Knien danken. Das taten die Verlage bekanntlich nicht. Auch wie Geschichte des iPad verlief nicht ganz so, wie man 2010 hätte denken können.
Trotzdem ist es bezeichnend, wie wenig die Tageszeitungen aus dem einstmals gepriesenen Tablet gemacht haben. Noch heute sind selbst die iPad-Angebote von großen Häusern wie der SZ eher unentschlossene Hybriden zwischen E-Paper und Webseite. Auch bei längerem Nachdenken fällt mir kein einziges sehenswertes deutsches Angebot ein. Auch hier gilt: Bei den größeren Häusern sind sie meistens zumindest ok, bei den kleineren keine Erwähnung wert.
Das ist in vielerlei Hinsicht bezeichnend. Natürlich rettet man ein Verlagshaus nicht mit einer guten App. Aber die Einschätzung „bestenfalls ok, meistens nicht der Rede wert“ trifft auf fast alles zu, was in den letzten Jahren trendete und von vielen Häusern verschlafen wurde. Welches Haus macht richtig gutes Social Media? Wo sind eigentlich die ganzen Podcasts der Zeitungen (mir fallen zwei oder drei ein)? Oder Audiostrategien, Ideen für die Stimme als neue Benutzeroberfläche? Sachdienliche Hinweise gerne in den Kommentaren. Aber außer den berühmten Ausnahmen, die wie immer die Regel bestätigen, finde ich da nichts.
Und so kommt es, wie es kommen muss:
In Deutschland werden gerade mal noch knapp 15 Millionen Tageszeitungen verkauft. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind das vier Prozent weniger. Im Segment der 15-20jährigen hat die Zeitung schon heute jegliche Relevanz verloren und ist bestenfalls ein Nischenmedium. Im wiedervereinigten Deutschland sieht das dann so aus (Hinweis: Die Diskrepanz zu den verlinkten IVW-Zahlen erklärt sich dadurch, dass bei Statista die Sonntagszeitungen- und Ausgaben nicht mitgezählt sind).
Wenn man sich zudem die Zahlen der digitalen Angebote ansieht, ahnt man schnell, wo das Problem liegt. Rund 660.000 verlorenen Zeitungsexemplaren steht lediglich ein Plus von 200.000 digitalen Ausgaben gegenüber. Wenn man hier also permanent von einem Plus spricht, ist das eine verblüffende Schönfärberei. In toto handelt es sich um einen Netto-Verlust von über 400.000, der unter dem Strich bleibt. Von den Rückgängen im Anzeigengeschäft reden wir an dieser Stelle noch gar nicht. Geht die Entwicklung in diesem Tempo weiter und die Zeitungen verlieren jedes Jahr unter dem Strich eine knappe halbe Million Leser – ich überlasse es gerne Ihnen, welche Schlüsse sie daraus ziehen.
Sind sie also noch zu retten, die Tageszeitungen alten Schlages? Am Beginn der neuen Dekade und nach einer verlorenen letzten und einem enttäuschenden 2019, dem Jahr des schulterzuckenden „Wird schon werden“, habe ich zumindest für mich selbst eine Antwort gefunden.
Ich glaube nicht, dass ich 2020 nochmal zum Thema Zeitungen bloggen muss. Zumindest nichts mehr, was in irgendeiner Weise überraschend wäre.
Ein Element sind auch die „Agenturen“ also, die Agenturmeldungen: nicht wenige Organe drucken sie ab und da man Agenturmeldungen über diverse Kanäle bekommt, ist die Agentur-Quote eben auch eine Meßgröße für eine Redaktion.
Wenn zu viele Redaktionstexte zu einem Thema abgedruckt werden – anstatt eigene Leute dranzulassen – dann ist klar, dass sich hier ein Ermüdungseffekt entwickelt weil man das Thema schon erfasst hat, weil es eben über viele Quellen verbreitet worden ist.
Was sich in jedem Falle lohnt, das ist, über einen Monat bei seiner Tageszeitung eine Statistik zu machen, wie viele „Agenturen“ pro Ausgabe gelaufen sind. Ob dieses Thema damit in der Folge abgefackelt war oder, was gut ist, ob es Fahrt aufnahm.
Auch ist es ein Weg sich zu vergegenwärtigen, wie man selbst mit der abonnierten Tageszeitung eine Strichliste führt. Konsequent über einen Monat hinweg:
1. Man schaut, liest. Oder, man liest nicht. Hierfür wird dann eben ein Häckchen oder ein Querstrich gemacht.
Hat man die Zeitung „durch“, summiert man beide Spalten „Häckchen“ und „Querstrich“, dann sieht man, wohin die Reise geht. Man kann, wenn man etwas selektiver vorgehen und Untergliederung für sich einrichten.
Wenn man dann ein halbes Jahr für jede Ausgabe die Strichliste sieht, dann weiß man, welche Bedeutung ein Organ für einen selbst hat.
UND: man liest auch noch viel bewusster!
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Irgendwann wird zudem jemand auf die Idee kommen, den CO2-Fußabdruck eines Zeitungsabos zu berechnen. Dann ist die ganze Sache endgültig tot.
Tim: Längst geschehen:
https://www.ulenspiegeldruck.de/druckfrisch-themen/171-printmedien-im-vergleich-zu-elektronischen-medien.html
Das ist ja alles richtig. Aber die Auflage der Zeitungen ist nicht zurückgegangen, weil sie keine Ideen hatten. Der eigentliche Grund liegt in der technischen Entwicklung. Die Zeitungen haben ihre Funktionen als Organisatoren des Marktes verloren. Journalistische Informationen waren nicht die einzigen Informationen, die man in ihnen suchte, man brauchte sie auch, weil man ein Auto kaufen wollte oder eine Wohnung suchte. Diese Funktion und alle damit verbundenen Einnahmen haben sie verloren – was sie natürlich auch im Bereich der journalistischen Informationen schwächte. Die Zeitungen hatten bis zum Internet eine Rente, konnten die Preise für die Anzeigen selbst definieren, und mussten nicht innovativ sein. Wie sollen sie sich jetzt der Disruption entgegenstellen? Das wird nicht funktionieren.
@Thierry Chervel: Sicher hatte die technische Entwicklung einen Einfluss auf die Entwicklung der Auflage deutscher Tageszeitungen. Wenn man aber der Grafik der FAZ in dem Artikel https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/zeitungen-in-der-krise-medienwandel-und-internet-13089556.html von 2014 glaubt, geht die Gesamtauflage bereits seit 1983 zurück. Damals spielte das Internet noch keine große Rolle, das World Wide Web (WWW) gab es noch nicht. Mittlerweile existiert das WWW aber schon seit 30 Jahren – ein langer Zeitraum. Wieviel Zeit braucht die Branche denn noch?
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@Gustaf Mossakowski. Stimmt, das ist ein wichtiger Punkt. Es gab sicher schon vor dem Internet einige Faktoren, die am Status der Zeitungen sägten, in Deutschland und anderen Ländern zum Beispiel die Einführung des Privatfernsehens und damit das Problem der Mediennutzungszeit. Außerdem die kostenlosen Anzeigenblätter, die Zeitungen oft verzichtbar machten.
Den Niedergang der Tageszeitung auf mangelnde Anpassungsfähigkeit und Innovationfreude zurückzuführen greift etwas zu kurz. Den Anzeigenkunden sind erst ins Fernsehen abgewandert und und den letzten Jahren auch verstärkt ins Internet. Dadurch ist den Zeitungsverlagen auf der Einnahmeseite viel Geld verloren gegangen. Das zu kompensieren scheint vielen Zeitungen nicht zu gelingen, wie soll da jemand erwarten das eben diese Zeitungen Geld investieren um in neue Technik zu investieren? Hinzu kommt das für hochwertigen Content zu wenig gezahlt wird und sich die Content Creators zunehmen nach neuen Abnehmern umsehen müssen, sehr schön am Beispiel Fotografie abzusehen. Somit bleiben nur noch die Agenturen als Lieferanten für Content übrig. Aber gerade erst hat die BILD unter ihrem neuen Besitzer KKR ihr DPA Abo gekündigt und legt immer mehr Redaktionen zusammen. Es geht aus meiner Sicht nur um die Inhalte, die jungen Leser finden in den Printmedien immer weniger Inhalte die für sie relevant sind, deshalb kaufen sie eben auch keine Zeitungen mehr. Kein (junger) Mensch liest mehr Bedienungsanleitung, da wird lieber nach irgendwelchen Erklärvideos auf YouTube gesucht. Auch dem deutschen Fernsehsendern laufen die Kunden weg, ebenfalls Richtung Internet. Die Gewinner sind Plattformen wie Netflix, Spotify und Co., wen interessiert schon was vor Ort geschieht? Mein Resümee: durch den Sparzwang der Verlage nimmt die Qualität der Inhalte in den Tageszeitungen ab, hier vor allem bei den interessanten Lokalthemen. Die jungen Menschen suchen heute andere Themen und Inhalte und diese hauptsächlich auf Internetplattformen amerikanischer Prägung, d.h. die Lokalzeitung konkurriert mit Netflix und YouTube aber auch mit der Onlineausgabe der New York Times. Diese Medien bieten eine deutlich höhere Qualität bei ihrem Content weil sie finanziell besser aufgestellt sind. Somit geht die Schere bei der Qualität der Inhalte immer weiter auseinander und hinterlässt kleine regionale Tageszeitungen als Verlierer in einem globalen Markt. Die logische Konsequenz müsste eigentlich lauten: Fusionen und Kooperationen verschiedener Printmedien zu einer eigenen Plattform von bundesweiter Relevanz.
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