Der Reuters Trend Report 2020 ist draußen – und wie jedes Jahr eine spannende Lektüre. Für das frisch begonnene Jahr sieht er Medien und Journalismus vor ein paar richtungsweisenden Grundsatzentscheidungen, erkennt aber auch ein richtig boomendes Zukunftsfeld. Read More
Die drei wichtigsten Trends hier im Überblick – samt einer kurzen und wie immer subjektiven Einschätzung für den deutschen Markt. Den gesamten Report gibt es hier.
Trend 1: Audio boomt wie noch nie und wird zum großen Zukunfts-Thema
Erst mal das Gute vorweg: Das Thema Audio dürfte im Jahr 2020 einen weiteren Aufschwung nehmen. Keine ganz neue Erkenntnis und hier im Blog schon mehrfach beschrieben, aber es ist ja immer wieder schön, so etwas auch von anderer Seite bestätigt zu bekommen.
Viele der Befragten stützen ihre positive Meinung dazu vornehmlich auf das Thema Podcasts. Was ja auch unbestreitbar ist. Podcasts haben in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Die Szene hat sich professionalisiert und ist inzwischen vielfach eine echte Alternative zum „richtigen“ Radio. Vorbei die Zeiten, in denen Podcaster in fragwürdiger Qualität irgendwas erzählt haben.
Häufiger Einwand: Die Finanzierung von Podcasts sei weiterhin schwierig. Stimmt, solange man dieses Thema auf direkte Finanzierung beispielsweise durch Werbung beschränkt. Damit ist tatsächlich noch nicht viel zu verdienen. Ihre eigentliche strategische Stärke (von den inhaltlichen Vorzügen mal abgesehen) sind eher im Bereich (Content-)Marketing zu finden. Für Riesen wie Spotify, iTunes oder auch Audible (und damit wiederum Amazon) sind Podcasts ein unverzichtbares Kundenbindungsinstrument, um mal ein echtes Wortmonster zu gebrauchen. Aber selbst dann, wenn man aus Podcasts nicht gleich eine ganze Strategie bauen will, sind sie als Content-Marketing-Tool hoch spannend.
Noch ein Wort zu den immer noch eingeschränkten Monetarisierungs-Möglichkeiten für Podcasts: In den USA werden für dieses und das kommende Jahr Wachstumsraten von jeweils rund 30 Prozent für Erlöse aus Podcasts erwartet. Gut, wir sind hier nicht in den USA, aber trotzdem…
Und für Journalismus? Aus meiner Sicht: inzwischen unverzichtbar. Der Trend aus den USA macht sich inzwischen auch in Deutschland breit. Kaum mehr eine große Medienmarke, die nicht eines oder mehrere Audio-Formate im Portfolio hat. Dass es die Mittelständler mal wieder verschlafen…ja, mei. In ein paar Jahren gehen dann wieder die hektischen und am Ende nutzlosen Nachhol-Arbeiten los, aber das muss uns ja jetzt noch nicht interessieren.
Was man nicht unterschätzen sollte dabei: die Rolle der Hardware. Allen voran stehen Smart-Speaker und mobile Gadgets, weil bei ihnen naturgemäß die Sprache dominiert oder zumindest eine immer wichtigere Rolle spielt.
Aber auch Kopfhörer (ja, richtig gelesen) sollte man keineswegs unterschätzen. Ich war in den vergangenen Wochen mal wieder in den USA unterwegs. Vor allem in New York und Washington läuft fast niemand mehr ohne Airpods durch die Gegend. Und die neuen Pro-Modelle von Apple spielen dabei eine besondere Rolle. Nicht nur wegen des Coolness-Faktors, sondern auch, weil sie inzwischen mehr sind als Kopfhörer.
Tatsächlich sind sie auf dem Weg zur Fernbedienung des ganzen Audio-Lebens, einschließlich der Kommunikation. Kaum anzunehmen, dass andere Hersteller nicht auch ihre künftigen Modelle so positionieren werden.
Trend 2: Die Suche nach dem richtigen Umgang mit Plattformen
Bis heute soll es Medienhäuser geben, die das besinnungslose Posten eigener Inhalte in Social-Media-Kanäle für eine Digitalstrategie halten. Das ist es noch nie gewesen. Inzwischen aber wird die Frage existenziell, nicht nur aus finanziellen Gründen: Wie halten wir es mit Facebook, Twitter und all den anderen?
Das hat vor allem damit zu tun, dass soziale Netzwerke der Bindung an eine eigene Marke nicht sehr zuträglich sind. Im Gegenteil, inzwischen können sie eine kontraproduktive und toxische Wirkung auf Journalismus ausüben. Weil sie zunehmend mehr zu inhaltlichen Giftschleudern geworden sind, in denen Wahrheit und Lüge, seriöse Quellen und glatte Erfindungen für den Durchschnitts-Nutzer kaum mehr zu unterscheiden sind.
Meine Prognose zudem: Insbesondere nach so absurden Diskussionsschlachten wie um die Umweltsau oder Greta im ICE, aber auch dem zu erwartenden Getöse bei den künftigen international und nationalen Wahlen wird es einen Rückzug geben. Wahlweise (wenn man vernünftig ist) wieder zurück zu den seriösen Medien. Oder, was leider genauso wahrscheinlich ist, in den Bereich des „Dark Social“: Gruppen, Messenger, Chats. Dorthin, wo man unter sich ist, andere nicht stören und man je nach Sichtweise der eigenen Wahrheit nachgehen oder noch mehr Irrsinn verbreiten kann.
Naturgemäß betreffen solche Überlegungen vor allem Facebook. Wie geht man mit dem Unternehmen künftig um? Wenn die eigene Facebook-Seite als, hüstel, „Strategie“ möglicherweise ausgedient hat, was kommt dann? Auf Facebook komplett verzichten, das wird sich kaum jemand leisten können. Business as usual? Auch keine Lösung. Noch mehr Netzwerke bespielen, mehr kleine Seiten, eigene Gruppen, kurz: mehr „Dark Social“? An den fehlenden Antworten auf diese Fragen bemerkt man schnell, wie dringlich es 2020 für Medienhäuser sein wird, sich damit zu beschäftigen. Und wie sehr es Zeit wird, sich Strategien zurechtzulegen, die diesen Namen verdienen. Goldene Zeiten an sich für echte Social-Media-Strategen, während der Mittzwanziger, der die Kanäle vollschüttet, weil er sich bei Social Media auskennt, besser zum Auslaufmodell werden sollte.
Wobei sich generell die Frage stellt: Gäbe es mittlerweile nicht ohnehin andere, bessere Ideen zur Generierung von Reichweite?
Und Frage 2: Muss man die eigenen Plattformen weiterhin so lieblos behandeln, wie das an manchen Stellen immer noch getan wird?
Die Frage ist, man ahnt es, rhetorischer Natur. Soll heißen: Kümmert euch wieder mehr um eure eigenen Webseiten, Newsletter, Blogs. Um eure Podcasts, Videos und was es sonst alles gibt. Nirgendwo steht geschrieben, dass Medien nur noch im großen Reich des Mark Zuckerberg publiziert werden dürfen. Und wenn die Menschen wirklich eine zunehmende Social-Media-Müdigkeit verspüren sollten, wäre es prima, man würde Ihnen eine anständige Alternative bieten.
Weil ich gerade darüber sinniere, wie würde man so was dann nennen: Social-Media-Backlash?
Trend 3: Vertrauen in die eigene Leistung, Misstrauen in andere
Bei Reuters wundern sie sich etwas: Offensichtlich halten eine Menge Medienmacher die Leistungen und Perspektiven des eigenen Hauses für wenigstens befriedigend, wohingegen sie die Lage anderer weitaus skeptischer beurteilen. Das sieht dann grafisch so aus:
Das ist ein Phänomen, das ich schon seit vielen Jahren beobachte.
Rede mit den Leuten über die Lage des Journalismus/der Medien allgemein oder über die Situation bei anderen: skeptische Miene, sorgenvolle Einschätzungen. Frag sie nach der eigenen Situation: (fast) alles bestens! In Zahlen: Nur sechs Prozent zweifeln an der Lage des eigenen Unternehmens, während 16 Prozent die Situation des Journalismus als eher schlecht ansehen. Umgekehrt vertrauen 73 Prozent in den eigenen Laden, während dieser Wert bei der Bewertung des Journalismus um satte 27 Prozent zurückgeht.
Nachdem ich kein Psychologe bin, weiß ich nicht, woher ein solches Phänomen kommt. Ebenso wenig habe ich eine Ahnung, ob sich solches Verhalten in jeder Branche findet oder ob das doch eher medienspezifisch ist. Sicher bin ich mir allerdings darin, dass es sich um eine milde Form des Selbstbetrugs handelt.
Zudem glaube ich daran, dass dieser Selbstbetrug eine der Hauptursachen für die zunehmend schwierige Situation im Journalismus ist. Ich mache meinen Job in dieser Form jetzt seit rund 15 Jahren. Und in diesen 15 Jahren habe ich es ungezählte Male erlebt: Ein Chefredakteur oder Geschäftsführer, der mir eben noch eine düstere Übersicht über die Lage der Branche gegeben hat, schildert mir kurz darauf, warum sein Laden davon nicht oder kaum betroffen ist. Darunter, so viel Indiskretion sei erlaubt, auch Leute, die von der jüngeren Vergangenheit Lügen gestraft wurden.
Trotzdem wird sich daran wohl nichts ändern. Siehe die Zahlen für 2020: Probleme haben immer nur die anderen.