In der Theorie weiß ich schon länger, was mich an sozialen Netzwerken stört. In der Praxis erst seit dem vergangenen Wochenende. Mit der Konsequenz, dass ich mich besser nicht mehr an Orten aufhalte, die schlechte Laune machen. Read More
Ich betone das gerne immer wieder: Ich bin der mutmaßlich toleranteste Mensch auf der Welt. Niemand muss meiner Meinung sein. Jeder darf glauben, was er will. Die Grenze ist das Grundgesetz. Ich halte ganz und gar nichts davon, Meinungen regulieren zu wollen, wie das ein bekannter Kolumnist unlängst gefordert hat. Kurz gesagt: Man hätte meinen Beitrag gut oder schlecht finden können. Ganz nach Gusto. Man kann ihn sogar kommentieren und man kann der Auffassung sein, dass ich unrecht habe.
Stattdessen passierte in einer Miniatur-Ausgabe das, was gerne im sozialen Netz passiert: Die ganze Geschichte eskalierte ein bisschen. Menschen, die ich gar nicht oder kaum kenne, bezeichneten mich plötzlich als dummen, alten, weißen Mann. Damit kann ich leben, vor allem, wenn die Kritik von alten, weißen Männern kommt. Es hat mich niemand wirklich beleidigt. Gemessen an dem, was sonst im Netz so passiert: Pillepalle.
Trotzdem, bei dieser Sache habe ich begriffen, warum ich soziale Medien immer weniger nutze: Die „Debatten“ sind gerne hart am Rand. Man muss permanent damit rechnen, dass irgendjemand beginnt loszubrüllen. Und dass der Blick aufs Wesentliche, auch für mich selbst, verloren geht. Über den Klimagipfel in Madrid wird kaum gesprochen, stattdessen debattieren wir über eine Zugfahrt von Greta Thunberg in einem deutschen ICE. Das ist so entlarvend wie deprimierend zugleich.
Zumal solche Debatten schnell etwas persönliches, aggressives, autoritäres bekommen. Vor allem, wenn du alt, weiß, männlich bist. Dann dauert es nicht lange und diese Totschlagkeule wird geschwungen, zumindest vom neuen deutschen linken Spießertum, das ich übriges als genauso unangenehm empfinde wie das neue deutsche rechte Spießertum. Einer der Kommentatoren beispielsweise meinte, es sei erstaunlich, welche Reflexe Greta Thunberg bei alten Männern auslöse. Lustig: Wir haben zuhause auch über das Thema gesprochen, Frau und Tochter und ich. Wir waren weitgehend der gleichen Meinung. Meine Tochter ist im Greta-Alter. Und nun? Dürfen die Greta kritisieren und ich nicht?
Natürlich kenne ich auch die Mechanismen, ich weiß, warum sich an sich friedliebende Menschen im Schutze des Netzes plötzlich in aggressive Kotzbrocken verwandeln. Darüber ist ausreichend viel geschrieben worden, ich könnte nichts Erhellendes mehr dazu beitragen. Aber erstaunt bin ich trotzdem immer wieder. Zumal ich mich, frei nach Habeck, dabei ertappe, bei Facebook oder Twitter schneller mal einen Ton anzuschlagen, der nicht so ganz zu mir passt.
Ich muss mich dann immer zurücknehmen, indem ich mir selbst ein Übernacht-Social-Media-Verbot auferlege. Das war eine der wirklich fürs ganze Leben brauchbaren Dinge, die ich bei der Bundeswehr gelernt habe. Jeder durfte sich dort über alles und jeden formal beschweren. Sogar der Schütze über den General. Einzige Bedingung: Zwischen Vorfall und Beschwerde muss mindestens eine Nacht liegen. Hat mir früher nicht ganz eingeleuchtet, halte ich heute für sehr weise. Weil ich es selbst merke: Wenn ich eine Nacht darüber geschlafen habe, kommen mir viele Social-Media-Debatten ziemlich kleingeistig und albern vor. Ich beziehe mich in diese Attribute ausdrücklich mit ein.
Debatten laufen, das ist das grundsätzliche Problem der sozialen Netzwerke, immer mehr entlang von schwarz-weiß Schemata. Kritik an Greta? Dann bist du auch gegen den Klimaschutz und vermutlich AfD-Sympathisant. Skeptische Anmerkungen zu Greta, das ist wie Welpen aussetzen oder Bambi töten. Und wenn es ganz dumm läuft, bekommst du dafür auch noch Applaus aus einer Ecke, aus der du ihn ganz sicher nicht haben willst.
Davon abgesehen bleibt in solchen Debatten kaum mehr Zeit für die vielen Aspekte, die solche Geschichten nun mal haben. Und für Zwischentöne schon gar nicht mehr. Ich fand die Reaktion der Bahn auch nicht sonderlich schlau. Und ich finde, dass die arme Greta zu einer Projektionsfläche für Dinge gemacht wird, die sie gar nicht erfüllen kann. Davon abgesehen, dass ich weiß, wie Hypes und übermenschliche Erwartungshaltungen enden: Irgendwann erwischt sie mal jemand mit einem Burger bei McDonalds und dem darauf folgenden Gewitter des linken Spießertums möchte man lieber nicht ausgesetzt sein.
Das alles zerschellt an einem so banalen und nichtigen Thema wie einer Zugfahrt und einem Foto bei Instagram.
Das sind sinnlose Debatten, es ist Zeitverschwendung, es macht schlechte Laune.
Weswegen ich jetzt nicht den Habeck mache. Aber ich verordne mir selbst Social-Media-Zurückhaltung bei solchen Dingen. Ich poste gerne mal wieder was, wenn die Straubing Tigers Deutscher Meister werden, wenn 1860 in die Bundesliga zurückkommt oder wenn ich in Urlaub bin. Berufliche Sachen wie Links auf Texte oder sowas: In Gruppen oder bei LinkedIn. Ansonsten halte ich in sozialen Netzwerken künftig die Klappe. Schon alleine deswegen, weil ich ahne, dass ich einigen damit einen echten Gefallen tue.
Gehabt euch wohl.