Bei Spotify gibt es eine neue Playlist. Die aber hat es in sich. Weil sie mittelfristig das klassische Formatradio in arge Bedrängnis bringen wird. Read More
Radiosender bringen mich regelmäßig zur Verzweiflung. Weil ich das Medium aus alter Verbundenheit eigentlich sehr mag, die täglichen Programme aber wahlweise unterirdisch dämlich sind (Formatradios!) oder als reine Wortprogramme für das Nebenbei-Laufen ungeeignet sind. Letzteres Problem habe ich durch intensiven Podcast-Konsum in den Griff bekommen. Ersteres löse ich durch Abschalten. Formatradios, egal welcher Ausrichtung, sind die Seuche.
Immer, wenn ich mich darüber mit Freunden und Kollegen unterhalten habe, fragten die mich irgendwann, wie ich es denn gerne hätte. Und ich habe regelmäßig gesagt: Ganz einfach, ich möchte ein Programm, das meine Musik spielt und mich regelmäßig zumindest mit dem Wichtigsten auf dem Laufenden hält. Ich brauche nicht alle zehn Minuten einen mittelinteressanten Wortbeitrag und Gewinnspiele und durchformatierte Moderatoren schon gleich gar nicht.
So einfach kann das sein. Und so simpel hat Spotify das jetzt umgesetzt, in Form einer schlichten, personalisierten Playlist. Sie basiert auf dem Musik-Algorithmus, der das spielt, was der User (vermutlich) gerne hört. Dazwischen kommen: Nachrichten und Wortbeiträge. Das ist erkennbar ein Angriff aufs Formatradio, womöglich muss man sogar konzedieren, dass Spotify mal eben mit „Daily Drive“ das Radio neu erfunden hat.
Das lineare (Format-)Radio sieht jedenfalls dagegen plötzlich ziemlich als aus. Auch wenn Spotify bis dato noch nicht moderieren kann, muss man dagegenhalten: Gerade diesen Vorteil, dass Moderatoren einer Sendung ihr eigenes Flair geben können, verspielen viele Sender leichtfertig. Indem sie ihre Moderatoren so gnadenlos durchformatieren wie ihre Programme. Manchmal, wenn ich aus unerfindlichen Gründen über eines der bayerischen Formatradios stolpere, frage ich mich ernsthaft, ob da ein Mensch moderiert oder vielleicht doch nur ein guter Sprechroboter.
(Kleiner Einschub: Exakt über dieses Thema habe ich mich vor gut einem Jahr mit der HR-Legende Werner Reinke und seiner wunderbaren Kollegin Marion Kuchenny unterhalten; vor diesem Hintergrund ist diese Podcast-Folge gleich nochmal etwas spannender geworden).
Was Gegner eines (Musik-)Algorithmus immer wieder gerne ins Feld führen: Es sei doch schade, wenn Musik so erwartbar sei, immer das Gleiche komme und man sich überhaupt nicht mehr überraschen lasse. Alles richtig. Und gleichzeitig das beste Argument gegen Formatradios. Kein Algorithmus kann jemals so öde sein wie die Heavy Rotation eines Formatradios.
Ein großer Schritt in die neue Audio-Welt
Zudem handelt es sich bei „Daily Drive“ nicht einfach nur auf eine Attacke auf das Formatradio. „Daily Drive“ ist ein großer Schritt in die neue Welt des Audios. Audio wird, so viel lässt sich sicher sagen, sowohl inhaltlich als auch strategisch mindestens so wichtig wie Video; womöglich sogar noch wichtiger. Weil Audio überall und schnell zu konsumieren ist, weil Hardware wie Bluetooth-Kopfhörer den Konsum noch leichter machen. Und weil man sie mühelos über das Zentrum unseres täglichen Lebens, des Smartphones, aus- und abspielen kann.
Kurz gesagt: Da entsteht in den kommenden Jahren ein riesengroßer Markt. Die ganzen Spotifys, Amazons, Googles, Deezers brauchen Inhalte, weil sie diese Inhalte kaum selbst erstellen werden. Dass die meisten Tageszeitungen diese Entwicklung mal wieder komplett verschlafen, wundert niemanden, der sich mit dem Medienmarkt der letzten 20 Jahre beschäftigt hat. Sie brauchen aktuelles Material, gute Podcasts und vermutlich noch viele andere Formate, an die wir heute noch gar nicht denken. Kann es sein, dass es ausgerechnet Gabor Steingart ist, der als einziger die grundsätzliche Dimension dieser Entwicklung begriffen hat (bitte lesen Sie hier noch einen großen Seufzer mit)?
Dabei befinden wir uns gerade am Beginn. „Daily Drive“ ist erst der Anfang, an dessen Ende viele neue Audio-Unternehmen stehen werden, die Komplettangebote liefern: Vom Podcast über das simulierte Live-Programm, von Alexa bis hin zu allem anderen, was sich irgendwie mit Sprache steuern und bespielen lässt.
Grund genug für Sender, Verlage und auch Journalisten, sich warm anzuziehen. Wenn sie allerdings schlau sind, begreifen sie das als Chance. Wenn sie dumm sind, fordern sie ein Leistungsschutzrecht für Audios.
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