Soziale Netzwerke verkommen zur 360-Grad-Hölle. Was schade ist, weil sie mal ein Ort waren, an denen man sogar sowas wie Erkenntnis gewinnen konnte. Heute muss man froh sein, wenn man nicht sofort niedergebrüllt wird. Read More
Irgendwann in den letzten Tagen muss der Kabarettist Dieter Nuhr ein paar Späßchen über Gerta Thunberg gemacht haben. Ich habe sie nicht selber gesehen, bin aber kurz darauf am Thema Dieter Nuhr nicht mehr vorbeigekommen. Bei Twitter erntete Nuhr einen Shitstorm der Kategorie A und überhaupt waren sich viele Menschen einig: Der Nuhr hat seine besten Zeiten hinter sich. Und es gab sogar welche, die ernsthaft forderten, der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle Nuhr nicht mehr auf den Schirm lassen (interessant übrigens, dass sich bei solchen Forderungen Menschen auf der linken und der sehr rechten Seite des politischen Spektrums nicht unähnlich sind).
Soweit ich das im Nachhinein übersehen habe, waren Nuhrs Späße nicht übermäßig geistreich, man muss sie (und ihn) auch nicht zwingend mögen. Keinesfalls aber waren sie anstößig, geschmacklos oder sonst irgendwas, was zu so viel Aufregung hätte führen müssen. Es sei denn, die Empörungsmaschine Social Media läuft richtig heiß.
Einigermaßen zeitgleich wagten auch die Redakteure der „Zeit“ ungeheuerliches: Im Ressort „Streit“ ließen sie Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und den ehemaligen Innenminister Baum gegeneinander antreten. Maaßen ist bekannt dafür, auf dem rechten Flügel der Union zu stehen. Mit Rechtsradikalen ist er in seiner Zeit als Verfassungsschützer vergleichsweise mild umgegangen. Das und ein paar andere Sachen haben ihn dann seinen Job gekostet.
Im Streitgespräch in der „Zeit“ hat Maaßen denn auch nichts Überraschendes gesagt. Er hat seine Positionen dargelegt, so wie es auf der Gegenseite Baum ebenfalls tat. Ein normaler Vorgang in der Demokratie, in einem Streitgespräch zudem, meinen Sie? Den wütenden Kommentaren bei Twitter zufolge hätte man glauben können, die Zeit habe bekannt gegeben, künftig offizielles Parteiorgan der AfD zu sein.
Und nochmals zeitgleich eine ganz persönliche Beobachtung bei mir selbst: Bei Twitter und auch in anderen sozialen Netzwerken, in denen man schnell in eine Debatte hineingezogen werden kann, lese ich zunehmend mehr nur noch mit. Manchmal nicht mal mehr das. Mit Meinungsposts halte ich mich zurück und bei Instagram genieße ich es, dass es meistens einfach nur Fotos sind, die jemand postet. Kein Streit, kein Gebrüll, kein gegenseitiges Blockieren. Keine Shitstorms (zumindest meistens nicht).
Was ich umgekehrt nicht kapiere: Weder muss ich Nuhrs noch Maaßens Sicht der Dinge teilen, ich kann sie sogar für ausgesprochen blödsinnig halten (muss man auf der anderen Seite aber auch nicht). Wenn allerdings das Aussprechen wenig überraschender noch irgendwie verbotener Positionen zu einem solchen Drama einschließlich Forderungen nach einem Sendeverbot führen, haben wir ein veritables Problem.
Ein Hort der selbstverliebten Rechthaberei
Dabei gehöre ich nicht zu den Menschen, die mehr oder weniger theatralisch posten, sich aus den Netzwerken zurückzuziehen. Das habe ich auch nicht vor, es ist nur: so eine Art schleichender Prozess. Zu viel Rechthaberei, zu viele selbstverliebte Oberflächensurfer, zu viel plakatives entweder-oder. Sascha Lobo beispielsweise, der Großmeister des Plakativen, schrieb vergangene Woche in seiner Kolumne, die Greta-Hater seien die verbitterten Fensterrentner des Internet. Jubel in der Gemeinde, sowas lässt sich auch prima als Share-Pic posten (das ist das, was mich bei Lobo seit längerem stört; ich werde das Gefühl nicht los, dass selbst seine besseren Texte in erster Linie auf Social-Media-Tauglichkeit hin geschrieben werden).
Und in dem Moment, in dem ich das schreibe, ertappe ich mich bei einem wirklich saublöden Gedanken: Du müsstest jetzt, denke ich mir, schon erklären, natürlich tendenziell auf der Seite der Klimaschützer zu stehen, auch wenn ich Fräulein Thunbergs Auftritt von den Vereinten Nationen komplett daneben fand. Der Gedanke des Sich-Erklären-Müssens ist so saublöd wie bezeichnend zugleich. Wenn ich nicht juble, wenn Greta Thunberg etwas macht, bin ich automatisch böse, ein Fensterrentner, ein Klimaleugner? Natürlich nicht, aber in der Welt der 280 Zeichen, des Likens, Sharens und der ideologischen Eindeutigkeiten bleibt für die Zwischentöne wenig Platz. Die Großmeister des digitalen Publizierens haben das bestens begriffen. Und auch hier gilt: Der Unterschied zwischen rechts und links ist so groß nicht, beiden haftet etwas Autoritäres und Endgültiges an.
Das alles hat mit meinem grundsätzlichen Gedanken, als Journalist müsse man sich der öffentlichen Debatte stellen, nicht mehr viel zu tun. Weil es sich nicht um Debatten handelt, sondern zunehmend mehr um das Schema: Wer lauter brüllt, hat recht. Natürlich könnte man jetzt argumentieren: Man darf das Netz nicht den Schreihälsen überlassen. Daran ist schon was, ich fürchte nur, dass es dafür zu spät ist. Davon abgesehen, dass das soziale Netz in seiner Grundstruktur Diskussionen in allen Grautönen eher nicht fördert.
Ist das Journalismus, Debatte, Demokratie? Nein, weil all das Zuhören voraussetzen würde. Das, und die Idee, dass es neben dem eigenen viele andere legitime Weltbilder gibt. Mein Lieblingssatz wird in den USA gerne benutzt; zumindest wurde er das früher, ehe im Zeitalter der dröhnenden sozialen Netzwerke und noch lauter dröhnenden Präsidenten auch dort diese Idee unterging: We agree to disagree. Das funktioniert zunehmend weniger, in lauten Echokammern sowieso nicht.
Natürlich bleibe ich weiter bei Twitter und bei Facebook, schon alleine aus treudeutschem beruflichem Pflichtbewusstsein. Der Spaß, den es mir mal gemacht hat, ist allerdings zu einem großen Teil abhanden gekommen.