Rezo hat ein neues Video veröffentlicht (genauer gesagt: er tritt in einem Video bei anderen YouTubern auf). Er hofft erkennbar auf eine Wiederholung des spektakulären CDU-Zerstörer-Videos. Was er abliefert, ist ein müder Aufguss altbekannter Schenkelklopfer und (ungewollt) eine wunderbare Zustandsbeschreibung des medial-digitalen Elends des Jahres 2019. Read More
Rezo mag Tageszeitungen, speziell die „Bild“, nicht sonderlich. Das wäre bis vor einem Vierteljahr niemandem eine Schlagzeile wert gewesen, womöglich nicht mal einen Klick. Schaut man sich das Video an, muss man sagen: zurecht. Rezo haut in bekanntem Duktus drauf, offensichtlich inspiriert von der Hoffnung, dass es demnächst heißen wird: Nach der CDU hat er jetzt auch die Zeitungen zerstört. Ähnlich platt-pauschalisierend mit Hang zur pathetischen Theatralik wie beim Klima-Video („Die CDU macht unser Klima kaputt, echt krass, Alter“) schwafelt er jetzt auch über Zeitungen und Journalisten. Erkenntniswert: null. Unterhaltungswert: knapp über Luke Mockridge im Fernsehgarten. Alles so gehalten, dass es eine Social-Media-Gesellschaft verstehen und weiterteilen kann: Pauschalisierungen und Plattitüden allerorten.
Vielleicht war das früher auch schon so, möglicherweise ist es auch nur ein Phänomen dieser Zeit. Wie auch immer, wer differenziert, wer erkennt, dass es zwischen Schwarz und Weiß meistens ganz viele Grautöne gibt (und grau ist bekanntermaßen langweilig), der hat im Netz schon verloren. Jeder Text brauche eine Punchline, hat Sascha Lobo mal geschrieben/gesagt und damit das ganze Elend prima beschrieben: Die Punchline kann auch platt und hanebüchen sein. Hauptsache, es gibt eine.
Der fatale Hang zur Punchline
Soziale Netzwerke, Smartphone, Echtzeit: Das alles verstärkt den fatalen Hang zur Punchline noch. Wer jemals versucht hat, bei Twitter eine differenzierte, sachliche und argumentationsgetriebene Debatte hinzubekommen, weiß, was ich meine. Irgendwann kommt jemand und brüllt den ganzen Laden nieder. Wobei, zugegeben: Die Grundidee alleine ist ja schon absurd, dass man es auf 240 Zeichen hinbekommen könnte, ein komplexes Thema argumentativ vernünftig aufzubereiten. Oder in einem Dreiminüter bei YouTube. Oder einem Share-Pic. Da muss zugespitzt und polemisiert werden, sonst nimmt dich keiner wahr, Baby.
Zudem widerspräche das einer weiteren grundlegenden Idee des (sozialen) Netzes: dass Dinge geteilt werden sollen.
Der Impuls wird eher durch ein „Genau so ist es!“ als durch ein gefühltes „Müsste man sich noch mal ausführlich durch den Kopf gehen lassen“ ausgelöst. Schon mal drüber nachgedacht, warum Populisten aller Herren Länder die erfolgreichsten Nutzer sozialer Medien sind? Warum keine Partei in Deutschland bei Facebook und Twitter so erfolgreich ist wie die AfD?
Wer braucht Bildblog, wenn er Rezo hat?
Das ist bei Rezo nicht viel anders: Ein paar mittelflotte Sprüche im Krass-Alter-Duktus lassen sich schneller teilen als wenn beispielsweise die Kollegen vom „Bildblog“ in langen und intensiven Recherchen erklären, was genau an einer Geschichte aus „Bild“ so falsch ist. Und die Schlussfolgerung, dass (Zeitungs-)Journalisten alle doof sind, begreift auch der flachgeistigste YouTuber. Würde man ihm sagen, dass es auch bei der „Bild“ ausgezeichnete Journalisten gibt, würde das nur das Weltbild stören.
Die Erkenntnis ist nicht neu, in diesem Zusammenhang aber interessant: Ein beträchtlicher Teil der Nutzer teilt Geschichten im Netz, ohne sie überhaupt gelesen zu haben. Man geht dem confirmation bias auf den Leim. Journalisten sind doof, die Bild ganz besonders? Krass ey, gleich mal teilen. Die CDU macht das Klima kaputt, Merkel ist doof, es gibt genügend dieser Dinge, die man raushauen kann, ohne sie gelesen zu haben. Da machen linke, rechte und junge Populisten keinen Unterschied.
Und schließlich: Zu den Tücken des confirmation bias gehört auch, dass die eigene Überheblichkeit und Ignoranz nicht gestört werden. Rezo, der das Print-Zeug angeblich nie liest und sich lautstark wundert, „wer so was zuhause hat“ (jeden Tag ein paar Millionen, Meister, darüber kannste jetzt mal nachdenken), ist so ein Inbegriff digtal-urbaner Großstadt-Arroganz: Das eigene Weltbild für die einzige Möglichkeit halten und sich gleichzeitig wundern, wenn das andere nicht so sehen. Da erstaunt es nicht, wenn eine Gesellschaft immer weiter auseinander driftet.