Rezo auf den Titeln von „Spiegel“ und „Stern“, die Grünen als neue stärkste Partei, Kanzler Habeck ante Portas (oder doch lieber Frau Baerbock?) und die ganze Politik im Umbruch, die Jugend übernimmt das Kommando: Das aktuell als plausibel erscheinende Weltbild ist von allem symptomatisch dafür, wie sich Journalismus und soziale Netzwerke inzwischen gegenseitig hochschaukeln: immer schneller, lauter, schriller, zugespitzter. Da wird aus einem harmlosen YouTuber plötzlich ein Mann, der Regierungen stürzen kann und eine Partei wird innerhalb von zwei Jahren von der kleinsten zur größten Partei. Read More
Julia Klöckner hat gerade Ärger. Die Ministerin hat ein Video drehen und veröffentlichen lassen, das man auch ohne bösen Willen als zumindest sehr wohlmeinend für Nestlé bezeichnen könnte. Man kann Frau Klöckner dafür auch kritisieren, zu einem echten Skandal taugt das allerdings nicht. Zumindest dann nicht, wenn man Wähler für so mündig hält, dass sie sich schon selbst einen Reim darauf machen kann, warum Frau Klöckner sich plötzlich anhört wie die Pressesprecherin eines Konzerns.
Aber was heißt schon Skandal in diesen aufgeheizten Tagen, in denen ein Youtuber ausreicht, um ein ganzes Land in eine gefühlte Regierungskrise taumeln zu lassen? Frau Klöckner jedenfalls muss sich gerade einem kleineren Shitstorm in den sozialen Medien stellen, der es prompt auch in die etablierten, die richtigen Medien schafft. Journalisten schreiben schließlich auch über das, was die Leute so reden und die reden aktuell viel über Frau Klöckner. Oder sagen wir es so: vielleicht nicht viel, aber zumindest laut, ganz nach Art des Social-Media-Hauses.
Journalismus im Zeitalter des Rezo: Schnell, kurzatmig, immer auf der Suche nach dem nächsten Hashtag
So funktionieren inzwischen Wechselwirkungen: Im Netz fangen sie das Brüllen an, im kurzatmigen Journalismus wird eine Geschichte daraus und am Ende wundern wir uns, dass jetzt nicht nur im Netz, sondern auch in der richtigen Welt schlechte Stimmung herrscht. Man wird ja wohl noch schlecht gelaunt sein dürfen bei so viel Elend in Deutschland!
Inzwischen hat sich auch Rezo zu dem Klöckner-Skandalvideo geäußert. Er findet das erwartungsgemäß nicht so dolle, nutzt seinen frisch erworbenen und von deutschen Redaktionen verliehen Status als Sprecher einer ganzen Generation (darunter geht es in Deutschland gerade nicht, man verliert nicht mehr ein paar Wähler, sondern ganze Generationen). Generationensprecher Rezo jedenfalls hat der Ministerin eine kleine Watschn mitgegeben, zu einer ganzen Zerstörung hat es diesmal nicht gereicht. In der Redaktionen aber bekommen sie Schnappatmung und bei „Bild“ haben sie das dann sogar in den Stand einer Beinahe-Topmeldung erhoben:
So viel zu Wechselwirkungen und zum journalistischen Opportunismus. Dass „Bild“ und viele andere in den Jahren zuvor als profunde Kenner von YouTube und Sprachrohre junger Menschen aufgefallen wären, lässt sich nicht behaupten. Inzwischen aber hebt sogar der „Spiegel“ Rezo auf den Titel, treibt das irre lustige Wortspiel „Revoluzzer“ und erhebt ein paar Youtuber ernsthaft in den Stand einer neuen APO. Was man halt so macht, wenn die Debatten im Netz gerade mal wieder völlig am Rad drehen.
Kleiner Einschub zwischendrin: Reden wir schon noch von der Generation, von der auch Journalisten noch bis vor kurzem behaupteten, sie interessiere sich nicht für sehr viel mehr als ihre Handys und Selfies bei Insta? Einschub beendet.
Aber so geht das inzwischen andauernd im Netz. Manchmal reicht eine Kleinigkeit und schon wird rausposaunt, irgendwas, Hauptsache schnell und Hauptsache viele Likes. Die aktuell unvermeidliche Sophie Passmann, ebenfalls Kandidatin für den Titel Generationensprecherin, hat sich beispielsweise letzte Woche ein wenig echauffiert. Darüber, dass doch wohl ganz offensichtlich niemand auf die Idee komme, Torsten Schäfer-Gümbel (alter weißer Mann, somit böse) einfach mit TSG abzukürzen, während man bei Frauen… Sie wissen schon. Blöd nur, dass TSG schon seit etlichen Jahren ein feststehendes Kürzel für Schäfer-Gümbel ist. Für über 1000 erhitzte Likes bei Twitter hat es trotzdem gereicht, den Buchverkäufen tut es auch gut – und überhaupt: Man muss ein bisschen zuspitzen und laut sein, wenn man im Netz überleben will, das geht schon in Ordnung. Und FJS (googeln, Jungvolk!) sitzt oben im Himmel und weiß vor Lachen nicht mehr wohin.
Umgekehrt hat Friedrich Merz jetzt auch einen losgelassen. „Fridays for future“ mache es sich einfach, schreibt der Schattenkanzler, die wollten einfach alles abschalten. Julia Neubauer konterte, irgendwas eher Spöttisches und potenziell auch Unhöfliches. Das hätte man früher (!) bestenfalls auf Wahlplakaten oder in irgendwelchen Veranstaltungen kurz vor Wahlen durchgehen lassen, weil: Es ist ja Wahl, das muss man alles nicht so ernst nehmen.
Heute muss man es ernst nehmen, weil es jeden Tag ist, irgendwo im Netz. Zuspitzen, verkürzen, hashtagggen, gegenhashtaggen. Darin erkennen offenbar inzwischen auch Parteien ihr Wohl und leider auch immer mehr Redaktionen. Schließlich haben wir ebenfalls unser Rezo-Problem, als richtig cool werden wir Alten in den Redaktionen bei den Jungen nicht mehr wahrgenommen, weswegen wir Rezo auf die Titelseiten heben und in die Talkshows holen und den Parteien und Politikern damit vorhalten, wie verknöchert sie sind.
500 Zeichen, ein paar hingerotzte Plattheiten und Beschimpfungen, begleitet von einer johlenden Menge. Das ist der politische Diskurs. Auf einem Niveau, wie er sich auch in den Journalismus trägt. Weil, schließlich muss man ja begleiten, was so in diesem Netz passiert. Und hey, überhaupt: Will man womöglich auch als Zeitung oder Sender ganze Generationen verlieren? Gott bewahre, dann lieber größtmöglichen Opportunismus. Ich habe die Redaktionskonferenzen schon vor Augen, in denen gefragt wird: Können wir da nicht ein paar junge Leute fragen? Gibt es einen Youtuber, mit dem wir reden können? Der regionale Youtuber wird das neue Runterbrechen aufs Lokale.
Wir sollten uns also nicht allzu sehr wundern, wenn Trends immer schneller kommen und gehen, jedes Kleinstmilieu seine eigenen Wahrheiten hat und kaum die Zeit bleibt ein Thema ausreichend zu behandeln.
Die Grünen, der neue mediengetriebene Schulz-Zug
Beispielsweise die Grünen: Vor ein paar Jahren hatten sie schon mal ihren Höhenflug, Der endete vor gerade mal zwei Jahren (!) heftig: kleinste Partei im Bundestag, noch hinter AfD und FDP und der Linken. Heute sind sie in einigen Umfragen stärkste Partei in Deutschland, alle reden vom Klimawandel und von Rezo und keiner wundert sich, was eigentlich der socialmediagetriebene Kurzatmigkeits-Journalismus damit zu tun haben könnte. Statdessen spotten wir über Armin Laschet, der bei Anne Will nach der Europawahl über diesen rasanten Trend erstaunt. Tatsächlich aber gab es das in der Geschichte der Republik noch nie: von der kleinsten zur größten Partei in zwei Jahren. Und das liegt sicher nicht nur daran, dass Robert Habeck so nett ist.
Von sieben auf 26 Prozent in zwei Jahren, das ist ein bisschen wie der später entgleiste Schulz-Zug, der auch so ein Resultat der gegenseitigen Speisung von aufgeregtem Journalismus und dauererregter Atmosphäre im Netz war. Erst der Hype, dann die Häme, so geht das inzwischen andauernd. Frag nach bei Andrea Nahles, deren manchmal irritierende Auftritte erst durch die Netze gejagt und dann von den Medien ausgeschlachtet wurden. Ehe man dann am Ende, wie bei Schulz, achselzuckend feststellen musste, dass der Umgang mit Schulz und Nahles grenzwertig war. Aber egal, so lange man erst mal laut brüllen, spekulieren, fordern und persönlich niedermachen kann.
Insofern hat Rezo die Zeichen der digitalen Zeit schon gut verstanden. Wer leise ist, womöglich sogar Dinge reflektiert, hat kaum mehr eine Chance gehört zu werden, auch da sind sich Journalismus und soziale Netze zunehmend ähnlicher. Journalisten seien Rockstars, erzählte der Kollege Richard Gutjahr unlängst bei einer Veranstaltung in Nürnberg. Man darf davon ausgehen, dass in diesem Veranstaltungstitel nur Spurenelemente von Selbstironie enthalten waren. Selbstironie ist den Rockstars der digitalen Tage eher fremd, auch da machen die Rezos und Gutjahrs keinen großen Unterschied.
Und schließlich, wussten Sie, was Rezo 2018 so gemacht hat? Urlaub. Ganz fucking klimaneutral. Auf den Malediven.
Starker Artikel, starkes Ende. Like it.
„Wer leise ist, womöglich sogar Dinge reflektiert, hat kaum mehr eine Chance gehört zu werden, auch da sind sich Journalismus und soziale Netze zunehmend ähnlicher.“
Macht mich traurig. Weil wahr.