Im vermeintlich sozialen Netz ist gerade mal wieder die Hölle los gewesen. So höllisch, dass es zunehmend zu einem unwirtlichen Ort wird. Man muss nicht mal ausgeprägte Digital-Skepsis besitzen, um sich zu denken: Social Media ist ganz schön krank geworden. So unwohl jedenfalls habe ich mich dort noch nie gefühlt.Read More
Ich bin weder Psychologe noch Wissenschaftler. Deshalb kann ich es auch nur aus dem Bauch heraus begründen, warum ich dein Eindruck habe, dass wir zunehmend mehr an einem intoleranten, lauten und toxischen Ort leben. Es ist jedenfalls zu einem Ort geworden, wo schnell geblafft und gemotzt wird.
Dabei habe ich mich bisher immer auf der richtigen Seite gewähnt. Auf der Seite von liberalem Denken, von Toleranz, Optimismus und Technikfreundlichkeit. Allmählich gewinne ich allerdings den Eindruck, dass die Idee, nur das eigene Weltbild sei das Richtige, gepaart mit Sturheit und Ignoranz auf allen Seiten verbreitet ist. Nicht nur auf der, von der ich bisher dachte, es sei die Falsche.
Die Vorgeschichte: Das Rützel-Scharmützel
Die Kollegin Anja Rützel hat mal wieder eine ihre zumeist ziemlich unterhaltsamen TV-Kritiken geschrieben. Ob die Kritik dieser Veranstaltung gelungen war, kann ich nicht beurteilen. Es ging um irgendeine Preisverleihung, bei der viele Influencer und Komiker anwesend waren. Angeblich heißt das „About you Award“, kam bei Pro 7 und wenn man weiß, dass Heidi Klum und Tom Kaulitz die Hauptattraktion des Abends waren, weiß man alles über diesen Abend.
Da mir die allermeisten Influencer wahlweise unbekannt oder egal oder beides sind und ich die meisten deutschen Comedians eher unkomisch finde, habe ich mir das nicht angeschaut. Und ich habe keine Ahnung, ob Anja Rützel mit ihrer Kritik völlig daneben lag. Aber was heißt schon daneben? Das ist das Wesen der Kritik. Sie ist reine Ansichtssache. Wer sich über eine Kritik aufregt, hat nicht kapiert, was eine Kritik ist.
Anja Rützel jedenfalls fand den Auftritt der Komikerin (oder was auch immer) Enissa Amani irgendwie eigenartig. Den Rützelschen Beschreibungen nach (wie gesagt, ich hab mir das nicht angetan) war er das wohl auch. Frau Amani möchte, wenn ich das richtig verstanden habe, nicht mehr als Komikerin bezeichnet werden, ließ aber offen, als was dann. Und sie kündigte an, auswandern zu wollen, wenn sie noch einmal als Komikerin bezeichnet werde. Das veranlasste Anja Rützel zu einem „Sicherheitshalber noch mal: Komikerin“. Das ist lustig, aber keineswegs: beleidigend, diskriminierend, herabwürdigend. Wer sich vor Millionen-Publikum derart aufplustert, muss auch mal einen kleinen Schlenker vertragen.
Genau das tat und tut die Nicht-Komikerin Amani allerdings nicht. Natürlich kann man sich fragen, warum man einer solchen Sendung überhaupt mehr als zwei Zeilen der Erwähnung gönnt. Auf der anderen Seite: Anja Rützel ist hauptberufliche Dschungel-Kritikerin und somit abonniert auf das süffisante Zerlegen von TV-Trash.
Jedenfalls, und damit beginnt der unschöne Teil der bis dahin harmlosen Geschichte, hatte und hat Anja Rützel eine ganze Reihe Hater an der Backe. Leute, die sie im sozialen Netz als alles Mögliche beschimpften. Ob und wie weit die Komikerin dahinter steckte, darüber kann man streiten. Sicher aber ist: Sie tat auch nicht gerade viel dafür, den Shitstorm abzublasen und der wütenden Meute Einhalt zu gebieten. Stattdessen lasen sich Social-Media-Botschaften so, auch von den Komikerin Amani selbst:
In den weiteren Tweets von irrlichternden Fans wurde sie dann u.a. als „AfD-Nutte“ beschimpft und alles andere zitiere ich hier absichtlich nicht. Weil man eine Ahnung hat, auf welchem Brüllaffen-Niveau diese Debatte ablief (und teilweise immer noch läuft).Ich bekam diese Antwort. pic.twitter.com/IzHeuIn2me
— Anja Rützel (@aruetzel) April 21, 2019
Das ist – leider – so furchtbar typisch für das, was in Netzwerken passiert, die ich mal wirklich mochte. Es herrschen die Lauten, die Aggressiven, die Schreihälse. Leider nicht nur auf der Seite, auf der man es ohnehin vermuten würde. Sondern inzwischen fast überall.
Es gibt auch noch einen anderen, den vor allem für Medienmacher interessanten Aspekt: Man ist zunehmend weniger in der Lage, Größen im sozialen Netz einzufangen. Ob der Bundesliga-Club, der rotznasige Influencer, der darüber lamentiert, dass er nicht kostenlos in einen Club kommt oder eben jetzt die humorbefreite Komikerin: Die schreiben sich ihre Agenda inzwischen alle schön selber.
Die eigenen Erfahrungen: zu laut, zu viel, zu schnell
Ich habe mich jahrelang im sozialen Netz wohlgefühlt. Selbst jetzt würde ich aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht den Habeck machen. Trotzdem stört mich zunehmend, wie sehr aus dem sozialen Netz eine Kampfzone geworden ist.Meine eigene Bilanz der letzten zwei Jahre: Ich bin insgesamt von drei Leuten blockiert worden, die ansonsten gerne damit hausieren gehen, wie tolerant und weltoffen sie sind und wie wichtig Kritikfähigkeit gerade für Medienmenschen seien.
Weil ich wenig Lust auf öffentliche Debatten habe, nenne ich keine Namen. So viel verrate ich aber doch: Alle drei sind prominent, alle drei trefft ihr nächste Woche auf der re:publica, alle drei schmücken sich ihrer vermeintlichen Verdienste für ein besseres, liberaleres und im Ton grundsätzlich positives Netz. Mit einem von ihnen hatte ich eine bis dahin halbwegs friedliche, wenn auch kontroverse Debatte, einer war beleidigt, weil ich über sein Werk ein paar sanft-ironische Worte verlor und der Dritte war beleidigt aus Gründen, die ich bis heute nicht kenne.So unterschiedlich die Gründe waren, der Ablauf war jedes Mal gleich: schnelle, sehr verkürzte und damit potenziell missverständliche Kommunikation bei Twitter oder Facebook.
Wo man im echten Leben mühelos ein paar klärende Worte hätte sprechen können, eskaliert das virtuelle Leben schnell mal zu Blockaden und Entfreundungen.
Weil ich weder ein Heiliger bin noch daran glaube, dass man solche Schuldfragen auf eine Seite schieben kann: Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich im Netz schneller mal für meine Verhältnisse unfreundlich werde. Klingt nach Habeck, ich weiß – aber manchmal habe ich über mich selbst gestaunt, in welchem gereizt klingenden Ton ich Leute abgekanzelt habe.
Dabei ist das überhaupt nicht meine Art. Ich finde, dass (fast) jeder eine vernünftige Antwort verdient hat und ich halte es mit einer sehr amerikanischen Auslegung der Idee von Freiheit: Von mir aus kann jeder denken, was er will. Meine Grenzen, an denen ich beginne, etwas für inakzeptabel zu halten, sind wirklich sehr weit gefasst. Meistens halte ich es mit dem amerikanischen Motto: We agree to disagree. Wer wäre ich denn, ernsthaft zu glauben, dass ich besser als andere wüsste, wie die Welt funktioniert?
Die Konsequenz: Weniger ist mehr
Und nun? Den Habeck machen ist keine Option, weil ich immer noch glaube, dass es keine gute Idee ist, den Diskurs den Schreihälsen zu überlassen. Mich in den Zustand der Daueraufgeregtheit zu versetzen, ist allerdings gesundheitsschädlich und macht nur mittelmäßig viel Spaß. Aber vielleicht ist es ein Anfang, sich künftig nur noch auf das zu konzentrieren, was sich lohnt. Nicht jedes Rützel-Scharmützel ist es wert, sich sofort ins Getümmel zu stürzen. Frau Amani kann sich von mir aus auch den Titel „Nächste Bundeskanzlerin“ auf die Visitenkarte schreiben. Die Dauerbeleidigten sollen dauerbeledigt sein. Trending Topics als Hashtag sollte man eh nicht überbewerten und fast jeder, über den heute noch lautstark debattiert wird, ist morgen schon wieder vergessen.
So ist das nun mal. Sogar im digitalen Zeitalter.