Der ORF hat sein Facebook-Engagement erheblich reduziert – und bei mir mein übliches quartalsweises Zweifeln ausgelöst: Müssen wir da wirklich alle sein oder überwiegen die Nachteile nicht eindeutig die Vorteile? Ich muss zugegeben: So stark wie in diesem Quartal waren meine Zweifel noch nie. Read More
„Facebook ist (…) nicht das einfachste Biotop für seriöse Nachrichtenmedien: ein Kooperationspartner, der gleichzeitig Konkurrent ist, der seine Spielregeln nicht kommuniziert und ständig ändert – und wo mittlerweile tendenziell jene die besseren Karten haben, die auf Emotionen setzen, Affekte bedienen und Empörung bewirtschaften.“
Das Fazit des ORF klingt plausibel, auch wenn ich zugebe, mir nicht sicher zu sein: Ist es wirklich eine gute Idee, dass ich die potenzielle Jauchegrube verlasse? Oder wäre es nicht besser, dafür zu sorgen, dass aus Facebook wieder ein wenigstens etwas besserer Ort wird?
Der Konflikt beschäftigt mich jetzt schon geraume Zeit. Oft genug sitze ich vor Facebook und denke mir: Drecksladen. Nicht nur wegen der ständigen Datenlecks und des zweifelhaften Umgangs mit dem Thema Privatsphäre. Nicht nur wegen des undurchdringlichen Algorithmus. Ich glaube zudem nicht, dass Medien irgendeinen wie auch immer gearteten Anspruch auf Facebook-Reichweite haben. Zu den größeren Missverständnissen der letzten Jahre gehörte der Irrglauben, Facebook sei eine Art Dienstleister für Redaktionen.
Die Facebook-Zombies
Nein, was mich wirklich ärgert: wie sich Menschen zu Facebook-Zombies machen lassen. Man muss nur mal beobachten, wie Zombies einfach nur die Timeline runterscrollen und dabei immer und immer wieder neuen, algorithmusgesteuerten Zeittotschlagskram serviert bekommen. Das sind die Momente, in denen ich die hehren Theorien bezweifle, wie sehr Social Media den Horizont weite, die Nutzer auf spannende neue Themen bringe und die Interaktion fördere.
Und ja, Facebook kann sehr wohl etwas dafür: Es gehört inzwischen zum Allgemeinwissen, dass der Laden alles versucht, um die User so lange wie möglich an ihre Seite zu binden. Klar kann man sagen: selbst schuld, wenn sich jemand da rein ziehen lässt. Das hat man übrigens bei Rauchern auch lange gesagt. Bis man irgendwann erkannt hat, dass nicht nur den Süchtigen eine Schuld trifft, sondern auch den, der den Stoff mit voller Absicht zur Verfügung stellt.
Nebenbei bemerkt: Ich finde es im Netz immer noch höchst interessant, wie sehr Menschen alle großen Plattformen von nahezu jeder Verantwortung befreien wollen, sei es beim Datenschutz, beim Urheberrecht oder eben beim gezielten Süchtigmachen von Usern.
Facebook geht nur noch im Zustand maximaler Selbstkontrolle
Ich ertrage Facebook jedenfalls nur noch im Zustand maximaler Selbstkontrolle. Reinschauen, gezielt posten, evtl. mit ein paar Leuten kommunizieren, die man mag, dann wieder raus. Alles andere macht schlechte Laune (die bekomme ich, zugegeben, inzwischen aber auch zunehmend bei Twitter).
Bevor Einwände kommen: Ja, ich habe bei Facebook schön öfter eine interessante Geschichte gefunden, die dann irgendwie nutzbringend war. Ich war in nette Debatten verstrickt und finde immer wieder etwas, was ich witzig und originell finde.
Auf der anderen Seite: Ich war noch nie so weit von einem halbwegs ausgewogenen Weltbild entfernt. In meiner Timeline beispielsweise gibt es unter rund 1000 Kontakten nach meinem Wissen keinen einzigen, der Trump gut findet. Alle (ausnahmslos: alle) sind gegen die AfD. Statistisch gesehen kann das aber nicht sein.
Keiner mag Helene Fischer, alle fahren mindestens einmal im Jahr in einen sehr Social-Media-kompatiblen Urlaub. Den Kommentaren und Analysen zufolge, die mir von Medienseiten und Journalisten in meine Timeline gespielt werden, ist mein Weltbild das einzig richtige und ich lebe in einem Umfeld, in dem wir nordkoreanische Meinungsvielfalt haben. In meinem echten Leben übrigens kenne ich AfD-Anhänger und sogar jemanden, der bei einem Helene Fischer-Konzert war. Freiwillig.
(Ich mache mich darüber übrigens nicht lustig: Ich mag die AfD nicht, kriege bei Helene Fischer Ohrenschmerzen und fahre mindestens einmal im Jahr in einen Social-Media-kompatiblen Urlaub. Tendenziell freue ich mich auch, wenn meine Beiträge geliked werden).
Und wieder auf der ganz anderen Seite: Ein Journalist, ein Medien- und Kommunikationsmensch, der nicht bei Facebook ist? Geht das überhaupt? Noch dazu jemand wie ich, der über viele Jahre an das Gute und Positive im Netz geglaubt hat (und das meistens auch heute noch tut)?
Mein echtes Leben und Facebook haben immer weniger miteinander zu tun
Allerdings: Zunehmend oft fällt mir auf, wie weit meine Social-Media-Welt und mein echtes Leben auseinanderdriften. Im Netz und bei Facebook hatte ich die letzten Wochen das Gefühl, es gäbe kein anderes Thema auf der Welt als die EU-Urheberrechts-Geschichte. Dagegen Gespräche, die ich zu dem Thema im echten Leben hatte: null, rien, nada. Ich weiß nicht, was mir das als Journalist gebracht haben soll. Ich weiß jetzt nur, dass ziemlich viele Leute aus meiner Timeline gegen das neue Urheberrecht sind und nie wieder CDU wählen wollen, wobei das schon wieder lustig ist, weil der Anteil der CDU-Wähler in dieser Blase vermutlich überschaubar groß ist.
Im Übrigen habe ich mir dann noch gedacht, dass speziell diese Geschichte den drohenden Realitätsverlust und die Einseitigkeit von Weltbildern in der Facebook-Bubble wunderbar illustriert: Gefühlte 3000 Mal hatte ich etwas lange und mähliche Sascha-Lobo-Texte in der Timeline, in denen er das schrieb, was er meistens schreibt.
Zweimal, ganze zweimal, posteten Leute Texte von Jan Fleischhauer, dem Gottseibeiuns vom Spiegel.
Beide Male begannen die Posts mit einer halben Entschuldigung („Normalerweise mag ich den ja nicht so…“).
Bei Lobo stand da meistens ein leicht anbiederndes: „Was Sascha schreibt.“
Die Fleischhauer-Texte waren übrigens ziemlich gut.
So viel zu den immer neuen Perspektiven, die einem Social Media bietet.
Können also Journalisten in diesem Umfeld ernsthaft für sich in Anspruch nehmen, aus Gründen der Berufsethik auf Facebook sein zu müssen, damit man dort auch mit denen ins Gespräch komme, die vom rechten Weg abgekommen seien?
Das klingt plausibel, aber wenn ich mir die Kommentarspalten der diversen Medien so anschaue, dann sehe ich, dass man meistens unter sich bleibt. Und wenn man ausnahmsweise nicht unter sich bleibt, beschimpft man sich ein bisschen. Das ist jetzt der Dialog, die Interaktion, die wir immer preisen auf Facebook? Wer das glaubt, hält auch das britische Unterhaus für das größte Vorbild westlicher Demokratien.
Was genau ist jetzt eigentlich dieser viel gepriesene Dialog?
Es ist beinahe überall so, wohin man schaut, USA, England oder in milderer Form auch in Deutschland: Menschen können immer schlechter miteinander reden. Demokraten und Republikaner in den USA verachten sich gegenseitig. Remainer und Leaver in Großbritannien zusammenzubringen grenzt an Hexerei.
Und auch in Deutschland wird zunehmend seltener in Erwägung gezogen, dass die Gegenseite ausnahmsweise auch mal recht haben könnte. Ich habe keinen Beleg dafür, bin mir aber trotzdem beinahe sicher, dass diese zunehmenden Intoleranzen, gepaart mit kraftstrotzender Rechthaberei durch soziale Netzwerke und dabei insbesondere Facebook massiv gefördert werden.
Wie ist das eigentlich, Uploadfilter-Gegner, schon mal darüber nachgedacht, dass die AfD gerade eine große Kampagne gegen Upload-Filter und für mehr Freiheit im Netz fährt? So kompliziert kann das Leben sein.
Ich weiß nicht, wie ernst Mark Zuckerbergs neueste Einlassungen zum Thema Facebook zu nehmen sind. Vielleicht handelt es sich ja nur um clevere Taktik, aber selbst dann müsste man festhalten, dass Zuckerberg es aus taktischen Gründen für schlau hält, einzugestehen, dass er ein kleines und kaum mehr kontrollierbares Monster mit potenziell schädlichen Folgewirkungen geschaffen hat.
Schon klar, Twitter kann genauso miesepetrig machen und der Ton ist dort auch meistens nur so mittelfreundlich, aber Twitter ist viel kleiner und dort treffen sich eh meistens Medienmenschen, die bekanntermaßen ein sehr besonderer Schlag sind.
Soll das also wirklich Aufgabe von uns Journalisten sein, dieses Perpetuum mobile am Laufen zu halten, immer mit der schönen Begründung, man könne nicht aus, weil eben alle bei Facebook sind?
Bin seit 2009 nicht mehr bei Facebook und habe es seitdem keine einzige Sekunde vermisst. Geht prima ohne. Auch als Journalist. (Gerade als Journalist? Stichwort Filterbubble.) #saynotofomo #joyofmissingout(irrelevantstuff)