Eine Rede mit wenig ungewöhnlichen Inhalten. Und ein Foto. Mehr braucht es in Social-Media-Deutschland nicht mehr für eine mittelgroße Erhitzung, die nach ein paar Stunden wieder Platz macht. Vermutlich für den nächsten Aufreger. Read More
„Ich trete für eine bunte, offene und tolerante Gesellschaft ein, in der niemand ausgegrenzt wird. Ich beurteile die Menschen in meiner Umgebung nicht nach Herkunft, Hautfarbe oder Religion, sondern danach, ob sie – grob gesprochen – auch andere Meinungen als die eigenen gelten lassen. Ich bin tolerant bis an die Grenze der Selbstverleugnung, nur gegenüber einer Gruppe von Menschen will ich nicht tolerant sein: gegenüber den Intoleranten, die sich selbst zum Maß aller Dinge erheben und mir entweder ewiges Leben im Paradies versprechen, wenn ich ihnen folge, oder einen Logenplatz in der Hölle, wenn ich mich ihnen verweigere.“
Irgendwas Schlimmes an diesem Absatz gefunden? Kann man lassen, oder? Würde man irgendwo auf dieses Zitat stoßen, niemand würde großartig etwas dagegen einzuwenden haben. Außer den in diesem Zitat angesprochenen Intoleranten natürlich.
Das Zitat stammt von Henryk M. Broder. Gesagt hat er diese Sätze in einem Vortrag vor der Bundestagsfraktion der AfD. Die Fraktion hatte ihn eingeladen, Broder kam. Das was Broder dort sagte kann man richtig finden oder auch nicht.
Was man aus der Rede aber keinesfalls heraus lesen kann: irgendeine unterschwellige Sympathie für die AfD. Warum auch? Nicht für jeden, zu dem man als Redner eingeladen wird, muss man auch gleich herzliche Zuneigung empfinden. (Die komplette Rede gibt es u.a. hier).
Dann gab es aber auch noch etwas anderes. Ein Foto, das sehr schnell die Runde gemacht hat: Broder, wie er von der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel umarmt wird. Die Reaktionen waren wie erwartet heftig, der Satz, man müsse sich vor Broder schämen, gehörte zu den Allerharmlosesten.
Sich als Journalist in inniger Umarmung mit einem Politiker zu zeigen, ist eine ausgewachsene Dummheit. Da spielt es keine Rolle, von welcher Partei der Politiker kommt, obwohl, zugegeben: Von Alice Weidel würde ich mich noch sehr viel ungerner umarmen lassen. Auch Broder weiß, dass dieses Foto eine Dummheit war. Zumal die AfD das tat, was zu erwarten war: Sie streute das Bild auf allen Kanälen. Broder war der instrumentalisierte Dumme.
Das Bezeichnende daran: Im Zeitalter der Social-Media-Dauerempörung werden Dinge so schnell aus dem Kontext gerissen und zur Empörung hochgejazzt, dass den armen Usern nichts anderes übrig bleibt, als andauernd empört zu sein. Man sieht ein Bild, ein paar Kommentare, hat ein schnelles Like, Dislike oder sonstwas hin und blendet den Kontext aus.In diesem Fall also dreht sich Debatte darum, dass Broder sich von Weidel umarmen ließ. Womit – und auch das ist so bezeichnend für die Tage der sozialen Medien – auch noch der confirmation bias eintritt: Broder, das ahnte man doch gleich – AfD-Symphatisant, Wähler oder womöglich schon Mitglied? Man sieht das bestätigt, was man schon immer zu wissen glaubte.
Bleibt die Frage: Darf man als Journalist überhaupt mit der AfD reden?Gegenfrage: Warum sollte man das nicht dürfen?Was bleibt, ist das Gefühl, dass es so nun mal ost in unseren Tagen. Dass aus einem eher simplen Vorgang ein mittelgroßer Skandal gemacht wird. Dass man Kontexte ausblendet.Und dass die Toleranz spätestens da endet, wenn jemand eine andere Meinung hat. Da sind sich links und rechts ausnahmsweise gar nicht so unähnlich.
(Hinweis: Nur um ganz sicherzugehen, ich habe nicht die geringste Sympathie für die AfD).